Der rote Schläger denkt, daß er schlüge, und der Erschlagene denkt, er sei erschlagen: Sie wissen nicht, wie heimlich ich es füge, daß alle Dinge mich im Innern tragen.
Für mich ist nah, was ferne und versunken; Sonne und Schatten geben sich nichts nach; Götter erscheinen mir, die längst entschwunden; ein und dasselbe sind mir Ruhm und Schmach.
Wer mich verleugnet, kennt nicht seine Lage: Wenn er mich flieht, bin ich, was ihn beschwingt; ich bin der Fragesteller und die Frage; ich bin das Lied, das der Brahmane singt.
Die Götter sehnen sich nach meinen Gründen, den Heiligen Sieben laß‘ ich keine Ruh; du, Liebender des Guten, wirst mich finden und kehrst dem Himmel deinen Rücken zu.
Die seit der Aufklärung verbreitete Meinung, Mystiker seien weltfremd-unpraktische, phantastisch-verzückte, grotesk-abstruse Sonderlinge ohne Sinn für die konkrete Wirklichkeit, ist durchaus unzutreffend, wenigstens für die katholische Mystik, deren berufene Lehrer stets grundsätzlich vor solchen Einseitigkeiten warnten und zu klugem Maßhalten rieten. Wohl aber finden wir unter den Mystikern und Heiligen zwei einander gegenüberstehende Typen, zwei Hauptgattungen, die je nach ihrer persönlichen Anlage eine verschiedenartige Wirksamkeit entfalten. Die Einen ziehen sich so völlig als nur möglich von allen weltlichen Dingen für immer zurück und vertiefen sich ausschließlich in Gott und in die eigene Seele, in der sie ja Gott finden. Die Welt ist für sie versunken. Sie leben nach dem Augustinusworte „ Deum et animam scire cupio. — Nihilne plus — Nihil omnino“ / „Gott und die Seele möchte ich kennen lernen, nichts mehr, überhaupt nichts mehr“. So lebten die Asketen der thebäischen Wüste, so die irischen Mönche auf Island, so manche europäische Reklusen. — Die Andern halten wohl auch Gott in ihrer Seele fest und suchen „ Vergottung“, aber sie suchen zugleich auch ihre Umwelt zu „vergotten“. Während jene ihr Herz im Himmel haben und nur von ferne für die Welt beten, haben diese den Himmel in ihrem Herzen und lassen sein Licht in die Welt hinausstrahlen, indem sie Beispiel geben, lehren, raten, mahnen, tadeln und Frieden stiften. Diese beiden extremen Typen stehen sich aber nicht etwa als feindliche, unvereinbare Gegensätze gegenüber. Sie sind durch mannigfache Übergänge mit einander verbunden, und unzählige Fromme, Selige und Heilige der Kirche haben in glücklichster Harmonie persönliches Innenleben und soziales Gemeinwirken zu vereinigen gewußt, ja diese Verbindung erscheint schon in früher Zeit als das ausgesprochene Ideal des religiösen Lebens.
Wilhelm Oehl (1881 -1950) in „Bruder Klaus und die deutsche Mystik“ in: Zeitschrift für schweizerische Kirchengeschichte 11 (1917)
Wissenschaftler mögen uns erzählen, dass unser Universum vor dreizehn Milliarden Jahren mit dem Urknall begann, als von einem unendlich heißen und dichten singulären Punkt aus Materie in die Existenz kam. Aber die Mystiker kennen eine andere Wahrheit: wie aus einer ungeborenen und unsterblichen Leere die Existenz unaufhörlich als Fluss von Licht und Liebe in die Schöpfung kommt und dann die physische Form erhält. Und die Liebe bleibt, die Grundlage, die Essenz von allem – von jedem Teilchen und jedem Stern. Sie ist die Urenergie, die Kraft und Präsenz in der erschaffenen Welt. Und sie ist unsere göttliche Natur, die sich in unserem Körper und in unserer Seele immer entwickelt und verändert, auch wenn sie beständig ist.
Llewellyn Vaughan-Lee(* 1953) in: Liebender und Geliebter: Die mystische Liebe im Sufismus
Unsere Entdeckung Gottes ist in gewisser Weise Gottes Entdeckung von uns. Wir können nicht in den Himmel gehen, um ihn zu finden, weil wir nicht wissen können, wo der Himmel ist oder was er ist. Er kommt vom Himmel herab und findet uns. Er schaut uns aus den Tiefen seiner eigenen unendlichen Wirklichkeit an, die überall ist, und indem er uns sieht, gibt er uns ein neues Wesen und einen neuen Geist, in dem auch wir ihn entdecken. Wir kennen Ihn nur insofern, als wir von Ihm erkannt werden, und unsere Anschauung von Ihm ist eine Teilhabe an Seiner Anschauung von sich selbst.
Das Mantra Om mani padme hum wird auf das Herz-Zentrum bezogen. Aber wichtiger als die Lokalisation ist, dass wir uns bei der Rezitation – sei sie nun laut oder als innere Schwingung – die Gestalt des Avalokitesvara vergegenwärtigen, dem dieses Mantra zugeordnet ist. Avalokitesvara aber ist jener Aspekt des Erleuchteten – des Buddha -, der die Vollkommenheit aktiven Mitleids verkörpert. Wenn wir die Gegenwart Avalokitesvaras in uns fühlen, kann das Mantra seine Wirkung in uns ausüben. Wenn wir aber noch nie etwas von Avalokitesvara gehört haben und keine Vorstellung von ihm haben, werden wir ins Leere zielen, weil wir die Richtung des Mantras nicht kennen.
Ausschnitt aus: Weit über mich hinaus, Gespräche über Tantra und Meditation, herausgegeben von Birgit Zotz, Aquamarin Verlag, 2017
Der ganze Beitrag mit dem Gespräch Anagarika Govindas zur Mantra-Meditation kann hier gelesen werden: