Die Geburt der Mystik in der menschlichen Seele

Kachel von Josef Albers / Foto: (c) wak

Als der Urmensch diese irdische Welt betrat, und seine Augen das Licht empfingen; als er zum ersten Male die mannigfache Schönheit und die reizvolle Pracht der Natur um sich herum erschaute, und als er seine Blicke, einem unschuldigen Kinde gleich, nach oben erhebend die Sonne, den Mond und die unzählbaren Gestirne in dem hohen Gewölbe des Himmels betrachtete, da bewegte sich in seinem unbefleckten Herzen ein namenloses Sehnen, ein zartes, bebendes und geheimnisvolles Gefühl der Bewunderung, der Ehrfurcht und der Dankbarkeit. Dies war die Geburt der Mystik in der menschlichen Seele!

Aus dem Vorwort zu „Leben und Sprüche der Sufi-Meister des Islams“. Aus dem Persischen übersetzt von Hossein Kazemzadeh Iranschähr (1884 – 1962)

Abwechselnd zu Gott reiten

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Auf die Frage, wie es ihm ginge, antwortete Ibrahim:
Ich habe vier Reittiere,
auf denen ich abwechselnd reite zu Gott.
Wenn ein Glück mich trifft,
reite ich auf dem Pferde des D a n k e s.
Wenn ich eine Sünde verübt habe,
reite ich auf dem Pferde der B u ß e.
Wenn ein Leid mich überfällt,
steige ich auf das Pferd des D u l d e n s,
und wenn eine gute Tat von mir verübt wird,
dann reite ich auf dem Pferd der T r e u e!

Ibrahim Adham (8. Jh.)

… dass du dein Herz wach erhältst

Rabia von Basra / Archiv

O Mensch!
Durch die Augen führt kein Weg zu Gott!
Durch die Zunge erreichst du Ihn auch nicht.
Das Ohr ist nur der peinvolle Weg der Redner,
und Hände und Füße sind in Machtlosigkeit versunken.

Es bleibt nur ein Mittel,
und das ist dein Herz.
Strebe danach,
dass du dein Herz wach erhältst.
Und wenn es wach ist,
wird es bedürfnislos von Gott,
denn es wird in Ihm aufgehen.

Rabia von Basra (716 – 801)

Eins ums andere Mal wuchs ich wie Gras

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Eins ums andere Mal wuchs ich wie Gras:
Ich starb der mineralischen Welt und wurde zur Pflanze;
und der Pflanzenwelt starb ich und wurde zum Tier;
ich starb als Tier und wurde Mensch.
Warum sollte ich das Verschwinden durch den Tod fürchten?
Was Du Dir nicht vorstellen kannst, das werde ich sein!

Hakim Sanai (1072 – 1131)

Zugang zum Licht verschaffen

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Sufis verstanden sich schon immer auf die Alchemie des Herzens, durch die die Energie der Liebe das Individuum transformiert, damit das in der Dunkelheit der Nafs, oder des niederen Selbst versteckte Licht enthüllt wird. Sie entwickelten eine detaillierte Wissenschaft, so mit den Kammern des Herzens zu arbeiten, dass eine innere Transformation erreicht wird, die dem Sucher Zugang zum Licht seiner wahren Natur verschafft. Diese Arbeit ist nicht nur für den Einzelnen gedacht, sondern kann eine direkte Beziehung zu der ganzen Schöpfung und dem Herzen der Welt haben. Haben wir erst einmal die mysteriöse Verbindung zwischen unserer eigenen innersten Essenz und der Seele der Welt erkannt, können wir die Werkzeuge der inneren Transformation benutzen, um direkt mit der Weltseele zu arbeiten und der Anima Mundi helfen, ihr göttliches Licht zu enthüllen und zu erwachen.

Llewellyn VaughanLee (* 1953)

Der vollständige Beitrag kann hier gelesen werden: https://goldensufi.org/de/anima-mundi-die-seele-der-welt-erwecken/

Sufismus: Tiefe mystische Erfahrung

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Ich bin enorm beeindruckt von der Solidität und intellektuellen Sicherheit des Sufismus. Es besteht kein Zweifel, dass hier eine lebendige und überzeugende Wahrheit liegt, eine tiefe mystische Erfahrung des Geheimnisses Gottes, unseres Schöpfers, der in jedem Moment mit unendlicher Liebe und Barmherzigkeit über uns wacht.

Thomas Merton 1961 in einem Brief an Abdul Aziz

… als die eine untrennbare Wirklichkeit

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Die Eine untrennbare Wirklichkeit ist namenlos und enthält in sich alle Namen zugleich – immanent und transzendent. Absolut gesehen ist sie eigenschaftslos. Drückt sich die Eine Wirklichkeit in Klang, Farbe und Form aus, vibriert sie in Milliarden von unterschiedlichen Eigenschaften, in untrennbarer Einheit. Die Natur der einen Wirklichkeit ist grundsätzlich egolos. Universen, Galaxien, Sonne und Mond, alle Planeten und Wesen, alle Pflanzen und Tiere sowie alle Menschen sind untrennbar Teil dieser einen Wirklichkeit. Es ist allein die Dynamik der Liebe, die den Tanz aller Frequenzen ermöglicht. Die ganze Welt, alle Universen – vom Größten bis zum Allerkleinsten – vibrieren in absoluter Stille in und durch sie als die eine untrennbare Wirklichkeit.

Annette Kaiser (*1948)