Sanftmut und Liebe zur Welt

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Der Mystiker liebt diese Welt, liebt den Nächsten, tut alles für ihn, aber schon nicht mehr um Lohn, nicht um Dankbarkeitserweise zu erhalten. Er tut es umsonst, er weiß nicht einmal, daß er es tut. Es freut ihn, wenn der andere sich freut, daß er für ihn da ist, ohne es zu wissen. Es bedeutet eine Sanftmut, eine Liebe zur Welt, zu den Menschen, und nicht nur zum „Nächsten“, wie man sagt; jeder Mensch ist „der Nächste“, jedes Tier, jede Pflanze. Es ist die Sehnsucht nach anderen Welten, die Sehnsucht nach der großen Einheit von Diesseits und Jenseits, Erde und Himmel, wo alle Generationen in einem da sind, alle deine Wünsche, deine Gedanken, deine Hoffnungen erfüllt sind. Wenn du dich danach sehnst, kann der Weg beginnen.

Friedrich Weinreb (1910 – 1988)

Ein Pilger der sein Ziel nicht kennt

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Ich bin ein Pilger, der sein Ziel nicht kennt;
Der Feuer sieht und weiß nicht, wo es brennt;
Vor dem die Welt in fremde Sonnen rennt.

Ich bin ein Träumer, den ein Lichtschein narrt;
Der in dem Sonnenstrahl nach Golde scharrt;
Der das Erwachen flieht, auf das er harrt.

Ich bin ein Stern, der seinen Gott erhellt;
Der seinen Glanz in dunkle Seelen stellt;
Der einst in fahle Ewigkeiten fällt.

Ich bin ein Wasser, das nie mündend fließt;
Das tauentströmt in Wolken sich ergießt;
Das küßt und fortschwemmt, – weint und froh genießt.

Wo ist, der meines Wesens Namen nennt?
Der meine Welt von meiner Sehnsucht trennt?
Ich bin ein Pilger, der sein Ziel nicht kennt.

Erich Mühsam (1878 – 1934)

Hoffnung und Zuversicht

Gedenktafel in Erfurt für Meister Eckhart (1260 – 1328) / Foto (c) wak

Wahre und vollkommene Liebe soll man daran erkennen, ob man große Hoffnung und Zuversicht zu Gott hat; denn es gibt nichts, woran man besser erkennen kann, ob man ganze Liebe habe, als Vertrauen. Denn wenn einer den anderen innig und vollkommen liebt, so schafft das Vertrauen; denn alles, worauf man bei Gott zu vertrauen wagt, das findet man wahrhaft in ihm und tausendmal mehr. Und wie ein Mensch Gott nie zu sehr liebhaben kann, so könnte ihm auch nie ein Mensch zuviel vertrauen. Alles, was man sonst auch tun mag, ist nicht so förderlich wie großes Vertrauen zu Gott. Bei allen, die je große Zuversicht zu ihm gewannen, unterließ er es nie, große Dinge mit ihnen zu wirken. An allen diesen Menschen hat er ganz deutlich gemacht, daß dieses Vertrauen aus der Liebe kommt; denn die Liebe hat nicht nur Vertrauen, sondern sie besitzt auch ein wahres Wissen und eine zweifelsfreie Sicherheit.

Meister Eckhart (1260 – 1328) in „Erfurter Reden“

Zur Betrachtung des Göttlichen gelangen

Johannes Cassian / Bild: Archiv

Wer zur Wissenschaft des Schauens, zur Betrachtung des Göttlichen, zur Erkenntnis der heiligen Erfahrungen gelangen will, muß sich zunächst mit aller Hingabe und Kraft das Wissen der Praxis erwerben: Ohne dies läßt sich die Beschauung nicht erlangen.
Johannes Cassian (360 – 435)

Des göttlichen Unwissens wissend werden

Porträt Gustav Landauer von Hanns Ludwig Katz (1892 – 1940) / Foto: (c) wak

Vom Wissen soll man in ein Unwissen kommen. Dann sollen wir wissend werden des göttlichen Unwissens, und dann wird unser Unwissen geadelt und geziert mit dem übernatürlichen Wissen. Und hier, wo wir uns empfangend verhalten, sind wir vollkommener als wenn wir wirkten.

Meister Eckhart (1260 – 1328) in seiner Predigt „Vom Unwissen“. In: Meister Eckharts Mystische Schriften. In unsere Sprache übertragen von Gustav Landauer, 2. Auflage 1920. Bearbeitet und neu herausgegeben von Martin Buber