Das innere Antlitz empfängt sein Licht von der höchsten Leuchte, die ewig leuchtet, und deren Geheimnis niemals enthüllt werden kann. Es ist innerlich, weil es aus einer verborgenen Quelle kommt, und es ist übersinnlicher Art, weil es direkt von oben kommt.
Die Sufis haben die Worte „Licht über Licht“ dahingehend interpretiert, dass sie das Geheimnis beschreiben, wie das in unserem eigenen Herzen verborgene göttliche Licht zu Gott emporsteigt und uns die Sehnsucht und das Licht gibt, die wir für unsere Reise brauchen. Gott entzündet die Lampe göttlichen Lichts in den Herzen derer, die an die göttliche Einheit glauben. Für die Sufis ist dieses Licht lebendige Wirklichkeit, die als Liebe und Zärtlichkeit gefühlt wird, und gibt uns auch die notwendige Führung auf unserem Weg. Dieses Licht bringt uns zurück zum Göttlichen, von dem Schmerz der Trennung zur Umarmung der Vereinigung.
Llewellyn Vaughan-Lee (* 1953) in: Liebender und Geliebter: Die mystische Liebe im Sufismus
Das Sehen des absoluten Sinn-Grundes, der der Sinn-Grund von allem ist, ist mithin nichts anderes, als geistig Dich, Gott, zu kosten, da Du die Süßigkeit selbst des Seins, des Lebens und der Einsicht bist.
Was anderes, Herr, ist Dein Sehen, wenn Du mich mit den Augen der Güte anschaust, als dass Du von mir gesehen wirst? Dadurch, dass Du mich siehst, gewährst Du, dass Du von mir gesehen wirst, der Du „der verborgene Gott“ (Jesaja 45,15) bist. Niemand kann Dich sehen. Nur insofern kannst Du gesehen werden, als Du es gewährst, dass Du gesehen wirst. Und Dich sehen ist nichts anderes, als dass Du den siehst, der Dich sieht.
Nikolaus von Kues (1401-1464) in: Das Sehen Gottes / De visione Dei
Suche nichts als ein reines, einfaches Entsinken in das reine, einfache, unbekannte, namenlose, verborgene Gut, das Gott ist, und in alles, was sich in ihm enthüllen mag. Alles soll sich an sein Nichts halten: Nichts wissen, nichts erkennen, nichts wollen, nichts suchen, nichts haben wollen. Suche weder Empfindung noch Erleuchtung! Entsinke in dein Nicht-wissen und Nicht-wissen-wollen! Die Tiefe, die in Gott ist, ist ein solcher Abgrund, daß aller geschaffene Verstand sie nicht zu erreichen noch zu ergründen vermag. Dieser Tiefe soll der Mensch begegnen mit der eigenen Tiefe: das ist, dem grundlosen Abgrund einer unergründlichen Selbstvernichtung. Das heißt: könnte er ganz zu einem lauteren Nichts werden, das hielte er für recht und billig. Das kommt aus der Tiefe und der Erkenntnis seines Nichts.
Johannes Tauler (1300 – 1361) zugeschrieben
in: Der Weg der Meister, 2, ausgewählt und neu übertragen von P. Ermin Döll (1936 – 2021)
Die wahre verborgene Seele in uns, diese verhüllte psychische Entität, ist die Gottesflamme in uns, immer brennend, unauslöschlich selbst für jene geistige Unerwecktheit, die sich überhaupt noch keines spirituellen Selbstes, das unsere äußere Natur nur verdunkelt, bewußt ist. Sie ist eine Flamme aus Gott geboren, und als leuchtender Einwohner in der Unwissenheit flammt sie weiter in ihr, bis sie imstande ist, diese zum Wissen hinzuwenden. Sie ist der verborgene Zeuge und Aufseher, der heimliche Führer, das Daimonion des Sokrates, das innere Licht oder die innere Stimme des Mystikers.
Aurobindo: Der integrale Yoga. Hamburg 1957, Kapitel V.: Die psychische Transformation, S. 78
Während ich dieses schrieb, dachte ich an die Worte des angeführten Verses: dilatasti cor meum, du hast mir das Herz weit gemacht. Es scheint mir jedoch, dass die erwähnten Süßigkeiten ihren Ursprung nicht im Herzen, sondern in einer noch mehr inneren Stätte, gleichsam in einer verborgenen Tiefe haben. Ich meine, es müsse dies der Seelengrund sein, wie ich es nachher erkannt habe und noch sagen werde. Fürwahr, ich sehe in uns Geheimnisse verborgen, die mich oft in Erstaunen setzen; und wie viele wird es noch geben, die ich nicht weiß!
Ein neuer Typus der Heiligkeit, das ist wie der Ausbruch eines innersten Quells, das ist eine Erfindung. Es ist beinahe so etwas wie eine neue Offenbarung des Weltalls und der menschlichen Bestimmung. Es ist die Freilegung eines weiten Bereiches von Wahrheit und Schönheit, der bis dahin unter einer dicken Staubschicht verborgen war. Hierzu bedarf es eines größeren Genies, als Archimedes es brauchte, um die Mechanik und die Physik zu erfinden. Eine neue Heiligkeit ist eine sehr viel wunderbarere Erfindung.