Blau ruft den Menschen ins Unendliche

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Je tiefer das Blau wird,
desto mehr ruft es den Menschen in das Unendliche,
weckt in ihm die Sehnsucht nach Reinem
und schließlich Übersinnlichem.
Es ist die Farbe des Himmels,
so wie wir ihn uns vorstellen
bei dem Klange des Wortes Himmel.

Wassily Kandinsky (1866 – 1944) in: Über das Geistige in der Kunst. 3. Auflage 1912, S.77

Sein ist zuallererst ein Wir

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Wirklichkeit bedeutet, »mit einem anderen zu sein« auf eine Weise, die offen ist für mehr Vereinigung und mehr Sein. Wenn das Sein schwindet, liegt es daran, dass die Liebesenergie ausgelöscht oder erstickt wurde. Zu sein bedeutet zu lieben, füreinander zu existieren. Ich bin nicht da, damit ich besitzen kann; vielmehr existiere ich, um von mir selbst zu geben, denn im Geben bin ich ich selbst. Sein ist zuallererst ein Wir, bevor es ein Ich werden kann. Kein Wesen kann aufstehen und sagen: »Ich habe es allein geschafft.« Kosmisches Leben ist an sich gemeinschaftlich. Das Universum wird durch die Energie der Liebe angetrieben, weil die Liebe das Herz des Universums ist.

Ilia Delio in ihrem Beitrag „Die Liebe als Urkraft des Universums“

https://chalice-verlag.de/ilia-delio-liebe-als-urkraft-des-universums-teilhard-de-chardin

Bücher von Ilia Delio finden sich hier: https://chalice-verlag.de/ilia-delio-buecher-und-texte/

Margarete Porete: Frei und göttlich

Eingangsgedicht ihres „Spiegel der einfachen Seelen“ / wikimedia ~ gemeinfrei

Der innere Zustand des Nicht-Wissens und des Nicht-Wollens befreit die Seele. In Wahrheit ist es doch ein Nichts, das uns über Gott vermittelt werden kann oder können wird. Gott ist so groß, dass die Seele nichts von ihm begreifen kann. Und dieses Nichts gibt ihr das Ganze, denn sie hat alles frei gegeben, ohne irgendein Warum. Dann gelangt sie zu einem Erstaunen, das man das Nicht-Denken von nahem Fern-Denken nennt, das ihr ganz nahe ist. Dann nämlich lebt die Seele nicht nur im Leben der Gnade und nicht nur im Leben nach dem Geist, sondern auch im göttlichen Leben, frei und göttlich. Dann nämlich hat Gott sie geheiligt durch Sich Selbst.

Die Begine Margarete Porete (1250-1310)

Siehe auch hier: https://www.feinschwarz.net/marguerite-poretes-widerstand/

Leere Gefäße ohne Löcher oder Sprünge

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Der Buddha verglich seine Zuhörer mit vier verschiedenen Arten von Tongefäßen. Das erste Tongefäß hat Löcher im Boden. Wenn man Wasser hineingießt, fließt es sofort wieder heraus. Anders gesagt, was immer man solche Personen lehrt, ist verschwendet. Das zweite Tongefäß verglich er mit einem, das Sprünge hat. Wenn man Wasser hineingießt, sickert es heraus. Diese Leute haben kein Erinnerungsvermögen. Sie können zwei und zwei nicht zusammenzählen. Sprünge im Verständnis. Den dritten Zuhörer verglich er mit einem Gefäß, das bereits vollständig gefüllt ist. Man kann kein Wasser hineingießen, weil es schon randvoll ist. Solche Menschen sind so voll mit Ansichten, dass sie nichts Neues mehr lernen können. Aber hoffentlich sind wir die vierte Art. Leere Gefäße ohne Löcher oder Sprünge. Vollkommen leer.

Ayya Khema (1923 – 1997)

Die Seele lebt frei und göttlich

Begine aus einem Totentanz / Archiv

Das Nicht-Wollen in Gott gilt mehr als das gute Wollen für Gott. Der innere Zustand des Nicht-Wissens und des Nicht-Wollens befreit die Seele. In Wahrheit ist es doch ein Nichts, das uns über Gott vermittelt werden kann oder können wird. Gott ist so groß, dass die Seele nichts von ihm begreifen kann. Und dieses Nichts gibt ihr das Ganze, denn sie hat alles frei gegeben, ohne irgendein Warum. Dann gelangt sie zu einem Erstaunen, das man das Nicht-Denken von nahem Fern-Denken nennt, das ihr ganz nahe ist. Dann nämlich lebt die Seele nicht nur im Leben der Gnade und nicht nur im Leben nach dem Geist, sondern auch im göttlichen Leben, frei und göttlich. Dann nämlich hat Gott sie geheiligt durch Sich Selbst.

Margarete Porete (1250-1310)

Von Zeit zu Zeit zu Gott aufschauen

Foto: (c) wak – Detail Bernwardtür Hildesheim

Hast du nur gewöhnliche Beschäftigungen, die keine gesammelte Aufmerksamkeit verlangen, dann schau mehr auf Gott als auf deine Arbeit. Hast du aber eine Arbeit, die deine ganze Aufmerksamkeit beansprucht, dann blicke wenigstens von Zeit zu Zeit zu Gott auf, gleich dem Seemann auf offenem Meer: um seine Richtung einzuhalten, schaut er mehr auf den Himmel als auf das Wasser, auf dem er dahinfahrt. So wird Gott mit dir, in dir und für dich arbeiten, und deine Arbeit wird dir Freude bereiten.

Franz von Sales (1567 -1622)

Wertvolle Predigten von überquellender Substanz

Baseler Ausgabe von Taulers Predigten

Wenn es auch kein umfangreiches Werk Taulers gibt, da man auf das Bücherregal stellen und mit den Augen liebkosen kann, so haben sich dafür wertvolle Predigten von überquellender Substanz erhalten. Zwar hat Tauler sie nicht selbst aufgezeichnet. Es sind Nachschriften von verschiedener Hand. Die Germanisten haben sich einige Zeit darüber gezankt, ob diese oder jene Predigt auch wirklich von Tauler stamme. Heute ist diese Frage gelöst. Ein Hauch von Taulers Geist kam unerwartet über die Philologen, worauf sie eine größere Anzahl von Predigten eindeutig als jene von Tauler erkannten. Diese Predigten machten Tauler zum liebsten Menschen auf Erden, und mit ihnen hat er das Erdreich angezündet, das will besagen, er hat in vielen in sich gekehrten Menschen einen innerlichen Brand entfacht, der nie mehr zu löschen war.

Walter Nigg in: Das mystische Dreigestirn: Meister Eckhart, Heinrich Seuse, Johannes Tauler. Zürich 1990, S. 93-94

Herz im Himmel – Himmel im Herzen

Meditationsbild des Nikolaus von Flüe / Archiv

Die seit der Aufklärung verbreitete Meinung, Mystiker seien weltfremd-unpraktische, phantastisch-verzückte, grotesk-abstruse Sonderlinge ohne Sinn für die konkrete Wirklichkeit, ist durchaus unzutreffend, wenigstens für die katholische Mystik, deren berufene Lehrer stets grundsätzlich vor solchen Einseitigkeiten warnten und zu klugem Maßhalten rieten. Wohl aber finden wir unter den Mystikern und Heiligen zwei einander gegenüberstehende Typen, zwei Hauptgattungen, die je nach ihrer persönlichen Anlage eine verschiedenartige Wirksamkeit entfalten. Die Einen ziehen sich so völlig als nur möglich von allen weltlichen Dingen für immer zurück und vertiefen sich ausschließlich in Gott und in die eigene Seele, in der sie ja Gott finden. Die Welt ist für sie versunken. Sie leben nach dem Augustinusworte „ Deum et animam scire cupio. — Nihilne plus — Nihil omnino“ / „Gott und die Seele möchte ich kennen lernen, nichts mehr, überhaupt nichts mehr“. So lebten die Asketen der thebäischen Wüste, so die irischen Mönche auf Island, so manche europäische Reklusen. — Die Andern halten wohl auch Gott in ihrer Seele fest und suchen „ Vergottung“, aber sie suchen zugleich auch ihre Umwelt zu „vergotten“. Während jene ihr Herz im Himmel haben und nur von ferne für die Welt beten, haben diese den Himmel in ihrem Herzen und lassen sein Licht in die Welt hinausstrahlen, indem sie Beispiel geben, lehren, raten, mahnen, tadeln und Frieden stiften. Diese beiden extremen Typen stehen sich aber nicht etwa als feindliche, unvereinbare Gegensätze gegenüber. Sie sind durch mannigfache Übergänge mit einander verbunden, und unzählige Fromme, Selige und Heilige der Kirche haben in glücklichster Harmonie persönliches Innenleben und soziales Gemeinwirken zu vereinigen gewußt, ja diese Verbindung erscheint schon in früher Zeit als das ausgesprochene Ideal des religiösen Lebens.

Wilhelm Oehl (1881 -1950) in „Bruder Klaus und die deutsche Mystik“ in: Zeitschrift für schweizerische Kirchengeschichte 11 (1917)

… dann kannst du auch andere zum Frieden führen

Nachfolge Christi – Antwerpen 1505 / wikimedia, gemeinfrei

Zuerst halte dich selbst im Frieden, dann kannst du auch andere zum Frieden führen. Ein friedfertiger Mensch stiftet mehr Nutzen als ein Gelehrter. Der leidenschaftliche Mensch kehrt selbst das Gute ins Böse; er glaubt das Böse leicht. Der gute, friedliebende Mensch wendet alles zum Guten. Wer in vollem Frieden lebt, denkt von keinem Arges.

Thomas von Kempen (1380 – 1471) in seiner „Nachfolge Christi“

Lass nicht ab an deiner eigenen Statue zu wirken

Buddhaskizze von Antony Gormley / Foto: (c) wak

Kehre ein zu dir selbst und sieh dich an. Und wenn du siehst, dass du noch nicht schön bist, so mache es wie der Bildhauer, der von einer Statue, die schön werden soll, hier etwas fortmeißelt, dort etwas glättet und da etwas reinigt, bis er der Statue ein schönes Gesicht gegeben hat. So mach’ du es auch: Nimm weg, was unnütz, richte gerade, was krumm ist, reinige, was dunkel ist und mache es hell. Lass nicht ab, an deiner eigenen Statue zu wirken, bis dir der göttliche Glanz der Tugend aufleuchtet und du sie auf ihrem heiligen Sockel stehend erblickst. Und wenn du soweit gekommen bist, dann hemmt dich nichts mehr, dann bist du ganz du selbst und ganz und gar reines, wahres Licht. Du bist eins mit dem Schauen, gewinnst Zutrauen zu dir, bist so hoch gestiegen, dass du keine Weisung mehr brauchst.

Plotin (204 – 270) in den „Enneaden“