Wenn wir in unser Herz blicken und entdecken, was dort verwirrt und was klar ist, was bitter ist und was süß, dann finden wir nicht nur uns selbst. Wir begegnen dem Universum. Wenn wir den Buddha entdecken, der wir eigentlich sind, erkennen wir, dass alles im Universum ebenfalls Buddha ist. Wir kommen zu der Erkenntnis, dass alles und jedes erwacht ist. Alles ist gleichermaßen kostbar, heil und gut, und ebenso ist jedes einzelne Lebewesen kostbar, heil und gut.
Letztlich ist Tao der den Ursprung enthaltende und bewirkende göttliche oder gottheitliche Weltgeist oder Weltengrund, durchaus unpersonaler Art, der alles, das Gestaltlose, das Unsichtbare, sowie das Gestalthafte, das Sichtbare, durchwirkt und zugleich Leere und Fülle ist.
Für den Mystiker ist alles miteinander verbunden: Es gibt keinen Zustand, der von einem anderen losgelöst ist. Ein Mechanismus läuft immer in Beziehung zu einem anderen Mechanismus, wie unterschiedlich und unzusammenhängend sie auch erscheinen mögen. Um Einsicht in die Dinge zu gewinnen, dringt der Mystiker in die Tiefen des gesamten Mechanismus des Universums.
Mystische Vollendung geschieht von Zeit zu Zeit in unserer menschlichen Erfahrung, und wenn es dazu kommt, bezeugt sie jene zwei tiefgründigen Einsichten im Herzen des christlichen Glaubens, nämlich dass die Liebe stärker ist als der Tod und dass sie die fundamentale Schöpfungskraft im Universum ist. Diese Bausteine stammen mehrheitlich aus der christlichen „inneren“ Tradition: aus dem Vierten Weg nach G. I. Gurdjieff und aus der Linie der christlichen Hermetik, die sich von Jakob Böhme im siebzehnten Jahrhundert über Valentin Tomberg bis in unsere Tage erstreckt.
Cynthia Bourgeault (* 1947): Mystische Seelenvollendung: Im Tod tritt hervor, wer wir wirklich sind.
Der vollständige Text von Cynthia Bourgeault ist hier zu lesen:
MAGISCHE BLÄTTER, BUCH IX CIII. Jahrgang, März 2022, Heft 3 / Thema: Theosophie
Die Erleuchtung ist wie der Mond, der sich im Wasser spiegelt. Der Mond wird nicht nass, noch bewegt sich das Wasser. Obgleich sein Licht groß und strahlend ist, spiegelt sich der Mond auch in der kleinsten Pfütze. Der ganze Mond und auch das ganze Universum spiegeln sich im Wassertropfen auf einem Grashalm.
Es gibt einen Platz im Herzen, worin das ganze Universum enthalten ist – Himmel wie auch Erde, das Feuer, die Luft, Sonne, Mond und das Leuchten der Sterne. Alles ist darin enthalten. Wenn wir über unseren Verstand mit seinen Möglichkeiten des Messens und seinen Kategorien von Raum und Zeit hinausgehen, finden wir den tiefsten Grund des Universums. Dort sind Leben und Intelligenz.
Ohne den Ich-Gedanken kann es keine anderen Gedanken geben. Wenn andere Gedanken auftauchen, frage: „Wem kommen diese Gedanken? Mir. Wo entsteht dieses ‘Ich’?” Wenn man auf diese Weise nach innen taucht, die Quelle des Geistes aufspürt und das Herz erreicht, wird man zum höchsten Herrn des Universums. Dann gibt es kein Träumen mehr von Dingen wie innen und außen, richtig und falsch, Geburt und Tod, Freude und Leid, Licht und Dunkelheit, o grenzenloses Meer der Gnade und des Lichts, Arunachala, der Du den Tanz der Stille im Ballsaal des Herzens tanzt.