Lieben und im Sinn haben

Glaubt nicht, daß ich in eigenem Erleben
bis dahin gelangt sei.
Gewiß sollte kein Lehrer
von Dingen sprechen,
die er nicht selbst erlebt hat.
Doch zur Not genüge,
daß er liebe und das im Sinn habe,
wovon er spricht,
und ihm kein Hindernis bereite.
Doch wisset, daß es nicht anders sein kann.

Johannes Tauler (1300 -1361)

Alle Zeit in uns geboren

Im Geist von Johannes Tauler und Meister Eckhart bis zu Dorothy Day und Thomas Merton und vielen anderen Mystikerinnen und Mystikern, die uns etwas zu sagen haben, wünsche ich Leserinnen und Lesern von „Mystik aktuell“ gute Weihnachtstage!

Werner A. Krebber

In den grundlosen Abgrund seines Ursprungs zurückfließen

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Der Geist soll also frei sein, dass er an allen nennbaren Dingen nicht hange und dass sie nicht an ihm hangen. Ja, er soll noch freier sein: also frei, dass er für all seine Werke keinerlei Lohn erwarte von Gott. Die allergrößte Freiheit aber soll dies sein, dass er all seine Selbstheit vergesse und mit allem, was er ist, in den grundlosen Abgrund seines Ursprungs zurückfließe.

Meister Eckhart (1260 – 1328)

In: Meister Eckehart: Vom Wunder der Seele. Eine Auswahl aus den Traktaten und Predigten. Eingeleitet, neu durchgesehen und herausgegeben von Friedrich Alfred Schmid Noerr, Stuttgart 1963, S. 18

Reine Veränderung

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Eine der wichtigsten Aussagen über Mystik in der westlichen Hemisphäre ist das Buch „Die Wolke des Nichtwissens“. Der Name des Autors ist nicht bekannt; es ist gut, dass wir nicht wissen, wer es geschrieben hat. Es deutet auf eines hin: dass er, bevor er es schrieb, in einer Wolke des Nichtwissens verschwunden war. Es ist das einzige Buch in der westlichen Welt, das den Upanishaden, dem Tao Te Ching, nahe kommt, dem Dhammapada. Es gibt eine seltene Einsicht darin:

Zuerst nennt er es eine Wolke. Eine Wolke ist vage, hat keine definierbaren Grenzen. Sie ist ständig im Wandel; sie ist nicht statisch – niemals, nicht einmal für zwei aufeinanderfolgende Momente, ist sie dieselbe. Sie ist ein Fluss, sie ist reine Veränderung. Und es gibt nichts Substantielles darin. Wenn Sie es in der Hand halten, bleibt nur Nebel übrig, sonst nichts. Vielleicht werden deine Hände nass, aber du wirst keine Wolke in deiner Faust finden.

Chandra Mohan Jain (1931 – 1990) in „Theologia Mystica“

Gottes Entdeckung von uns

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Unsere Entdeckung Gottes ist in gewisser Weise Gottes Entdeckung von uns. Wir können nicht in den Himmel gehen, um ihn zu finden, weil wir nicht wissen können, wo der Himmel ist oder was er ist. Er kommt vom Himmel herab und findet uns. Er schaut uns aus den Tiefen seiner eigenen unendlichen Wirklichkeit an, die überall ist, und indem er uns sieht, gibt er uns ein neues Wesen und einen neuen Geist, in dem auch wir ihn entdecken. Wir kennen Ihn nur insofern, als wir von Ihm erkannt werden, und unsere Anschauung von Ihm ist eine Teilhabe an Seiner Anschauung von sich selbst.

Thomas Merton (1915-1968)

Gott ist Licht

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Im eigentlichsten Sinne ist Gott Licht, und je näher ihm etwas kommt, um so mehr empfängt es von dem Licht. Nichts Wahres wird erkannt außer durch Gott. Nicht, als spräche er so – wie wir; sondern er macht hell im Innern. Denn er ist das Innerste in jeder Seele und wirft von dem strahlenden Lichte seiner ewigen Vernunft einen Glanz über die dunklen Begriffe unseres Geistes.

Bonaventura (1221 – 1274)