Tu deine Augen auf und gehe zu einem Baum und siehe den an und besinne dich.
Jakob Böhme (1575–1624)
Aurora oder Morgenröte im Aufgang. Das 9. Kapitel: Von der holdseligen, freundlichen und barmherzigen Liebe Gottes – Die große himmlische und göttliche Geheimnis / http://12koerbe.de/lapsitexillis/aur-9.htm
Das Sehen des absoluten Sinn-Grundes, der der Sinn-Grund von allem ist, ist mithin nichts anderes, als geistig Dich, Gott, zu kosten, da Du die Süßigkeit selbst des Seins, des Lebens und der Einsicht bist.
Was anderes, Herr, ist Dein Sehen, wenn Du mich mit den Augen der Güte anschaust, als dass Du von mir gesehen wirst? Dadurch, dass Du mich siehst, gewährst Du, dass Du von mir gesehen wirst, der Du „der verborgene Gott“ (Jesaja 45,15) bist. Niemand kann Dich sehen. Nur insofern kannst Du gesehen werden, als Du es gewährst, dass Du gesehen wirst. Und Dich sehen ist nichts anderes, als dass Du den siehst, der Dich sieht.
Nikolaus von Kues (1401-1464) in: Das Sehen Gottes / De visione Dei
Zumindest einen Raum oder eine Ecke solltest Du für Dich haben, wo dich niemand findet, niemand stört, niemand beachtet. Dort solltest Du die Freiheit haben, dich von der Welt zu lösen und dich loszulassen, indem du alle feinen Saiten und Fasern der Spannung löst, die dein Schauen, dein Hören, dein Denken in der Gegenwart anderer Menschen bindet. Hast du einen solchen Platz gefunden, sei zufrieden damit und sei nicht verwirrt, wenn dich ein guter Grund davon wegruft. Liebe ihn und kehre zu ihm zurück, sobald du kannst.
Wenn du nicht in der Blase der Selbstbezogenheit gefangen bist und nicht immer alles auf dich beziehst, dann hört dein Ich auf, sich bedroht zu fühlen. Du hast nicht mehr ständig das Gefühl, dich verteidigen zu müssen, du bist weniger ängstlich, und du machst dir nicht dauernd Sorgen um dich. Je mehr dieses Gefühl der Verunsicherung schwindet, desto mehr zerfallen die Mauern, die das Ich um sich herum errichtet hatte. Du wirst leichter zugänglich für andere, und du bist bereit, zu ihrem Wohl zu handeln. Das Mitgefühl zerreißt die Blase des Ich.
O Seele, suche dich in Mir, und, Seele, suche Mich in dir. Die Liebe hat in Meinem Wesen, Dich abgebildet treu und klar, kein Maler läßt so wunderbar, o Seele, deine Züge lesen.
Hat doch die Liebe dich erkoren als meines Herzens schönste Zier: bist du verwirrt, bist du verloren: o Seele, suche dich in Mir.
In meines Herzens Tiefe trage Ich dein Porträt, so echt gemalt; sähst du, wie es vor Leben strahlt, verstummte jede bange Frage.
Und wenn dein Sehnen mich nicht findet, dann such‘ nicht dort und such‘ nicht hier: gedenk, was dich im Tiefsten bindet, und Seele, suche Mich in dir.
Du bist mein Haus und meine Bleibe, bist meine Heimat für und für: Ich klopfe stets an deine Tür, daß ich kein Trachten von mir treibe.
Und meinst du, ich sei fern von hier, dann ruf Mich, und du wirst erfassen, daß Ich dich keinen Schritt verlassen: und, Seele, suche Mich in Dir.
Warte, bis du in dich selber blickst – Erkenne, was dort wächst. O Suchender. Ein Blatt in diesem Garten Bedeutet mehr als alle Blätter, Die im Paradies du findest!
Wir haben … vom heiligen Johannes gesungen: lucerna lucens et ardens: er ist ein leuchtendes, ein brennendes Licht. Diese Leuchte gibt Wärme und Licht. Du empfindest die Wärme an der Hand und siehst doch kein Feuer, es sei denn, daß du oben hineinblicktest, und das Licht siehst du nur durch die Hornscheiben schimmern. Ach, wer doch den Sinn (in diesem Vergleich) wahrnähme und auf dieses Licht und diese Wärme häufiger achtete! Da ist die verwundende Liebe, die dich in diesen Grund führen wird. Und solange du sie in dir fühlst, sollst du dich antreiben und mit ihr voranstürmen und deinen Bogen auf das allerhöchste Ziel hin spannen.
Johannes Tauler (1300 – 1361) in seiner Predigt 44: Hic venit ut testimonium perhiberet de lumine / Er kam, Zeugnis von dem Licht zu geben (Joh. 1. 7)
Seele Christi, heilige mich! Leib Christi, erlöse mich! Blut Christi, tränke mich! Wasser der Seite Christi, wasche mich!
Leiden Christi, stärke mich! O guter Jesus, erhöre mich! Verbirg in deinen Wunden mich!
Von dir lass nimmer scheiden mich! Vor dem bösen Feind beschütze mich! In meiner Todesstunde rufe mich! Und lass zu dir dann kommen mich, damit ich möge loben dich mit deinen Heiligen ewiglich! Amen.
Das mittelalterliche Christusgebet wurde erstmals 1314/1320 in England in lateinischer Sprache bezeugt. Vermutlich ist es irischen Ursprungs. Anima Christi war eines der Lieblingsgebete des Ignatius von Loyola, der es an den Beginn seiner Geistlichen Übungen („Exerzitien“) stellte.