Man vermag dem Worte nicht besser als mit Schweigen und Hören zu dienen. Räumst du ihm deine Seele gänzlich ein, so erfüllt es dich ohne Zweifel ganz und gar: ebensoviel wie du ihm einräumst, so viel strömt seines Wesens in dich ein, nicht mehr und nicht weniger.
Erfurter Gedenktür für Meister Eckhart / Foto: (c) wak
Ein Mensch gehe auf dem Felde [und spreche sein Gebet] und erkenne Gott, oder er sei in der Kirche und erkenne Gott: wenn er Gott darum, weil er an einem Ruheplatz ist, eher erkennt, so kommt das von seiner Schwäche, nicht von Gott, denn Gott ist in allen Dingen und an allen Orten gleich und ist bereit, soweit es an ihm ist, sich überall in gleicher Weise zu geben, und der erkennte Gott richtig, der ihn überall in gleicher Weise erkennte.
Von der Erkenntnis Gottes. In: Meister Eckharts mystische Schriften. In unsere Sprache übertragen von Gustav Landauer. Bearbeitet und neu herausgegeben von Martin Buber Berlin 2. Auflage 1920, S. 63
Das ist das letzte Ziel des Menschen, das Eine zu finden, das in ihm ist, das sein Wahres Wesen, das seine Seele ist, der Schlüssel zu der Tür des geistlichen Lebens, zum himmlischen Reich
Rabindranath Tagore (1861-1941) in: Sadhana. Der Weg der Vollendung. München 1921
Die echte Bindung von Mensch zu Mitmensch geht jedoch immer, mental gesprochen, über Gott. In ihm liegt der gültige Bezugspunkt. Alle andere Bindung zwischen Menschen, die um diesen fundamentalen Sachverhalt nichts weiß und ihn unberücksichtigt lässt, ist vergänglicher Rausch, vergängliches Gefühl, vergängliche Projektion des vergänglichen Ichs.
„Wer diese Predigt verstanden hat, dem vergönne ich sie wohl. Wäre niemand hier gewesen, ich hätte sie diesem Opferstock predigen müssen“. So Meister Eckhart (1260 – 1328) am Ende der Aussagen von Predigt 26. Diese fast sprichwörtlich gewordenen Zeilen sind hier wie bei anderen seiner Predigten Schlusspunkte, Schlusssteine. Sie führen Vorhergegangenes zu einem Ende: sehr direkt, kurz und knapp. Manche der Schlussätze sind ähnlich wie Affirmationen, bei denen eine Aussage, Situation oder Handlung positiv bewertet wird. Andere wirken wie Aufrufe oder Weckrufe zur Transformation. Bei nur wenigen der Sätze sind sie teilweise unverständlich, wenn der vorige Predigttext nicht gekannt ist. Bei den meisten von ihnen jedoch sind sie oft wie eigene meditative Artefakte, kontemplative Kleinode. Auf jeden Fall zu schade dafür, dass sie in der Fülle der Predigtgedanken unbeachtet untergehen. Ist doch auch daran zu erinnern, was Gustav Landauer in seinem Vorwort zu „Meister Eckharts Mystische Schriften“ schrieb. Er hatte sie 1903 herausgegeben, 1920 dann noch einmal sprachlich bearbeitet von Martin Buber. Landauer war der Überzeugung: “ Meister Eckhart ist zu gut für historische Würdigung; er muss als Lebendiger auferstehen.“
Diese Schlusssteine mögen am Ende diesen Jahres dazu anregen, ein paar der Gedanken Meister Eckharts mit in das kommende Jahr zu nehmen. (w.a.k.)
1 Dass Jesus auch in uns kommen und hinauswerfen und wegräumen möge alle Hindernisse und uns Eins mache, wie er als Eins mit dem Vater und dem heiligen Geiste ein Gott ist, auf dass wir so mit ihm eins werden und ewig bleiben, dazu helfe uns Gott. Amen.
4 Dass wir bereitet werden, die beste Gabe zu empfangen, dazu helfe uns der Vater der Lichter. Amen.
5 Dass wir nicht dahin gelangen, wo dieses Gut empfangen wird, das liegt nicht an ihm, sondern an uns.
6 Dass wir in solcher Weise wahrhaft drinnen bleiben mögen, dass wir alle Wahrheit unmittelbar und ohne Unterschiedenheit in rechter Seligkeit besitzen, dazu helfe uns Gott! Amen.
7 Dass wir die Gerechtigkeit um ihrer selbst willen und Gott ohne Warum lieben, dazu helfeuns Gott. Amen.
8 … Was die Seele in ihrem Grunde sei, davon weiß niemand etwas. Was man davon wissen kann, das muss übernatürlich sein, es muss aus Gnade sein: dort wirkt Gott Barmherzigkeit. Amen.
11 Dass wir uns innen finden im Tage und in der Zeit der Vernunft und im Tage der Weisheit undim Tage der Gerechtigkeit und im Tage der Seligkeit, dazu helfe uns der Vater und der Sohn und der Heilige Geist. Amen.
13 … Der Mensch, der gelassen hat und gelassen ist und der niemals mehr nur einen Augenblick auf das sieht, was er gelassen hat, und beständig bleibt, unbewegt in sich selbst und unwandelbar, – der Mensch allein ist gelassen. Dass wir so beständig bleiben und unwandelbar wie der ewige Vater, dazu helfe uns Gott und die ewige Weisheit. Amen.
15 Wir sollen Gottes Bild in uns tragen, und sein Licht soll in uns leuchten, wenn wir »Johannes« sein wollen.
16 Dass wir Eins werden, dazu helfe uns Gott. Amen.
18 Dass wir ebenso dahin gelangen, in dem ewigen Worte zu antworten, dazu helfe uns Gott. Amen.
19 Wir bitten Gott, unsern lieben Herrn, dass er hier mit uns wohne, auf dass wir ewiglich mit ihm wohnen mögen; dazu helfe uns Gott. Amen.
21 Darum spricht Sankt Lukas: »Ein Mensch hatte bereitet ein großes Abendmahl« (Luk. 14, 16). Dieser Mensch ist Gott und hat keinen Namen. Dass wir zu diesem Gastmahl kommen, dazu helfe uns Gott. Amen.
22 Dass wir so eins werden mit Gott, dazu helfe uns »ein Gott, Vater aller«. Amen.
23 Dass wir zu dieser Wahrheit kommen, dazu helfe uns die Wahrheit, von der ich gesprochen habe. Amen.
24 Nun, dass wir zu diesem ewigen Lichte kommen, dazu helfe uns Gott. Amen
26 Wer diese Predigt verstanden hat, dem vergönne ich sie wohl. Wäre hier niemand gewesen, ich hätte sie diesem Opferstocke predigen müssen. Es gibt manche arme Leute, die kehren wieder heim und sagen: »Ich will an einem Ort sitzen und mein Brot verzehren und Gott dienen!« Ich sage bei der ewigen Wahrheit, diese Leute müssen verirrt bleiben und können niemals erlangen noch erringen, was die anderen erlangen, die Gott nachfolgen in Armut und in Fremde. Amen.
27 Dass auch wir gut werden mögen und getreu, auf dass auch uns unser Herr eingehen heiße und ewig inne bleiben, wir mit ihm und er mit uns, dazu helfe uns Gott! Amen.
29 Dass wir so eins seien in der Einheit, die Gott selbst ist, dazu helfe uns Gott. Amen.
31 Dass wir eben diese Einheit seien und diese Einheit bleiben mögen, dazu helfe uns Gott. Amen.
32 Dass wir so leben mögen, dass wir es ewig erfahren, dazu helfe uns Gott. Amen.
33 Dass wir Gott so folgen, dass er uns in sich versetzen könne, damit wir mit ihm vereint werden, auf dass er uns mit sich selbst lieben könne, dazu helfe uns Gott. Amen.
35 Dass uns dies widerfahre, dazu helfe uns Gott. Amen.
36 Dass wir ihm alle folgen, auf dass er uns bringe in sich, wo wir ihn wahrhaft erkennen, dazu helfe uns Gott. Amen.
37 Bitten wir unsern Herrn, dass wir in die Erkenntnis kommen mögen, die da ganz ohne Weise und ohne Maß ist. Dazu helfe uns Gott. Amen.
38 Dass wir ebenso mit Gott vereint werden, dazu helfe uns die Wahrheit, von der ich gesprochen habe! Amen.
39 Wir bitten Gott, unsern lieben Herrn, dass wir Eins und innen – wohnend werden. Dazu helfe uns Gott. Amen.
40 Dass wir dies begreifen und ewiglich selig werden, dazu helfe uns der Vater und der Sohn und der Heilige Geist. Amen.
42 Und in diesem Einen sollen wir ewig versinken vom Etwas zum Nichts. Dazu helfe uns Gott. Amen.
44 Dass wir mit Gott ein Geist werden und wir in der Gnade erfunden werden, dazu helfe uns Gott. Amen.
45 Dass wir die göttliche Gleichheit göttlicher Ruhe so suchen und bei Gott finden mögen, dazu helfe uns Gott. Amen.
46 Dass wir in solcher Weise der Gerechtigkeit in der Weisheit nachfolgen und nach ihr hungern und dürsten, auf dass wir gesättigt werden, dazu helfe uns Gott. Amen.
48 Darum soll man der ersten Eingebung folgen und so voranschreiten; dann kommt man dahin, wohin man soll, und so ist‘s recht.
50 Und dass wir zu dieser Frucht kommen, dazu helfe uns die ewige Wahrheit, von der ich gesprochen habe. Amen.
52 Da ist Seligkeit, wo die Seele Gott nimmt, wie er Gott ist. Bitten wir unsern Herrn, dass wir so mit ihm vereint werden. Amen.
53 Dass wir zu diesem Erkennen kommen, dazu helfe uns Gott. Amen.
54 Dass wir zu dieser Vollkommenen Liebe gelangen, dazu helfe uns Gott. Amen.
56 Dass wir allem dem entwachsen, was nicht Gott ist, dazu helfe uns Gott. Amen.
57 In diese Geburt helfe uns der Gott, der von neuem als Mensch geboren ist. Dass wir schwache Menschen in ihm auf göttliche Weise geboren werden, dazu helfe er uns ewiglich. Amen.
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(Die Ziffern vor den Schlusssätzen beziehen sich auf die Nummerierung der Predigten, die Josef Quint 1963 herausgegeben und übersetzt hat.)
Wenn der Mensch zum Geist der Einheit erwacht und die Einheit hinter allen Dingen sieht, ändert sich sein Blickwinkel Die Sichtweise wird anders, und seine Einstellung ändert sich dadurch. Es gibt nichts und niemanden, der von ihm getrennt ist, so dass er alles als das Selbst eines jeden Wesens erlebt. Wenn das Bewusstsein des äußeren Selbst verschwunden ist, dann ist alles, was vor ihm erscheint, sein Selbst.
Das Mantra Om mani padme hum wird auf das Herz-Zentrum bezogen. Aber wichtiger als die Lokalisation ist, dass wir uns bei der Rezitation – sei sie nun laut oder als innere Schwingung – die Gestalt des Avalokitesvara vergegenwärtigen, dem dieses Mantra zugeordnet ist. Avalokitesvara aber ist jener Aspekt des Erleuchteten – des Buddha -, der die Vollkommenheit aktiven Mitleids verkörpert. Wenn wir die Gegenwart Avalokitesvaras in uns fühlen, kann das Mantra seine Wirkung in uns ausüben. Wenn wir aber noch nie etwas von Avalokitesvara gehört haben und keine Vorstellung von ihm haben, werden wir ins Leere zielen, weil wir die Richtung des Mantras nicht kennen.
Ausschnitt aus: Weit über mich hinaus, Gespräche über Tantra und Meditation, herausgegeben von Birgit Zotz, Aquamarin Verlag, 2017
Der ganze Beitrag mit dem Gespräch Anagarika Govindas zur Mantra-Meditation kann hier gelesen werden:
Gott atmet uns in der Kontemplation ein und wir müssen dann ganz in Ihm aufgehen. Später atmet der Spirit oder Atem Gottes uns wieder aus, damit wir lieben und Gutes tun.
Jacob Böhme Lesebuch / Gedenktafel an einer Wohnung Böhmes im damaligen Görlitz / Fotos (c) wak
… Er ist ein ewiger Sucher und Finder, als nämlich sich selber in großen Wundern; und was Er findet, das findet Er in der Kraft: Er ist das Eröffnen der Kraft, Sein ist nichts gleich, und Ihn findet nichts, als nur was sich in Ihm aneignet, das gehet in Ihn ein, was sich selber verleugnet, das es sei; so ist der Geist Gottes darinnen Alles, denn es ist Ein Wille im ewigen Nichts, und ist doch in allen, wie Gottes Geist selber.
Jacob Böhme (1575 – 1624) in: Vierzig Fragen von der Seele. 1. Frage 34
In: Das Jacob Böhme Lesebuch. Aus Jacob Böhmes Schriften ausgewählt und eingeleitet von Paul Hankamer (1925). Neu herausgegeben, erweitert und mit einem Glossar versehen von Ronald Steckel (2022), Verlag Magische Blätter, Ronnenberg, S. 160
Wer gewöhnt ist, unreflex, doch aufmerksam zu achten auf die Weise seines Gebets und der im Gebet kommenden Antwort, der wird finden, dass viele dieser Antworten sein eigenes bewusstes Wissen sprengen, und als Neues, Größeres, bisher Unbekanntes sich zeigen. … Nenne man es, wie man wolle. Jeder von uns macht die Erfahrung, dass zumindest bisweilen, in entscheidenden Lagen, eine „Stimme“ zu ihm spricht, die er als fremd und doch urvertraut erlebt.
Selma Polat in: Luise Rinsers Weg zur mystischen Religiosität
Der ganze Beitrag von Selma Polat kann hier gelesen werden:
XII. MAGISCHE BLÄTTER BUCH | WINTER CIII. Jahrgang Winter 2022 / 2023 | Spuren (November | Heft 34)