Barmherzigkeit: Eine mystische Perspektive

Jan Zrzavý (1890 – 1977): Der barmherzige Samariter / Foto: © wak

Im Wort „Barmherzigkeit“ hören wir dagegen die tiefgründenden Pfeiler der griechisch-orthodoxen Kirche, wenn das „Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner“ im Jesusgebet erklingt, das Kyrie eleison, und das Gefühl von Gottes Erbarmen mit mir spürbar wird, von dem Jacques Lusseyran so häufig spricht. Dieses Wort trägt ein reiches und tiefgründiges Erbe der Hingabe; es beinhaltet etwas von dieser wunderschönen schöpferischen Weite. Falls wir tatsächlich ein „besseres“ Wort fänden, würden wir all das abschütteln. Wir würden eine lange Tradition abschneiden, die existiert und die unseren persönlichen christlichen Weg vertieft. Früher oder später werdet ihr darauf stoßen; ihr werdet das Herzensgebet entdecken. Praktisch alle wachsenden oder sich weiterentwickelnden Christen tun dies. Und ihr entdeckt das echte höhere Gefühlszentrum, die Lebendigkeit des Wortes „Barmherzigkeit“.

Cynthia Bourgeault (* 1947) in ihrem Artikel: Wie und wo finden wir mystische Hoffnung?
Mehr hier: https://chalice-verlag.de/cynthia-bourgeault-wie-finden-wir-mystische-hoffnung/

Zum mystischen Kern vordringen

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Im Herzen dieser Kirche ist das mystische Element, das sie am Leben hält, das Erbe Jesu. Zu diesem mystischen Kern immer wieder vorzudringen – das ist die letzte Grenzerfahrung der christlichen Mystik.

David Steindl-Rast (*1926)

Herz im Himmel – Himmel im Herzen

Meditationsbild des Nikolaus von Flüe / Archiv

Die seit der Aufklärung verbreitete Meinung, Mystiker seien weltfremd-unpraktische, phantastisch-verzückte, grotesk-abstruse Sonderlinge ohne Sinn für die konkrete Wirklichkeit, ist durchaus unzutreffend, wenigstens für die katholische Mystik, deren berufene Lehrer stets grundsätzlich vor solchen Einseitigkeiten warnten und zu klugem Maßhalten rieten. Wohl aber finden wir unter den Mystikern und Heiligen zwei einander gegenüberstehende Typen, zwei Hauptgattungen, die je nach ihrer persönlichen Anlage eine verschiedenartige Wirksamkeit entfalten. Die Einen ziehen sich so völlig als nur möglich von allen weltlichen Dingen für immer zurück und vertiefen sich ausschließlich in Gott und in die eigene Seele, in der sie ja Gott finden. Die Welt ist für sie versunken. Sie leben nach dem Augustinusworte „ Deum et animam scire cupio. — Nihilne plus — Nihil omnino“ / „Gott und die Seele möchte ich kennen lernen, nichts mehr, überhaupt nichts mehr“. So lebten die Asketen der thebäischen Wüste, so die irischen Mönche auf Island, so manche europäische Reklusen. — Die Andern halten wohl auch Gott in ihrer Seele fest und suchen „ Vergottung“, aber sie suchen zugleich auch ihre Umwelt zu „vergotten“. Während jene ihr Herz im Himmel haben und nur von ferne für die Welt beten, haben diese den Himmel in ihrem Herzen und lassen sein Licht in die Welt hinausstrahlen, indem sie Beispiel geben, lehren, raten, mahnen, tadeln und Frieden stiften. Diese beiden extremen Typen stehen sich aber nicht etwa als feindliche, unvereinbare Gegensätze gegenüber. Sie sind durch mannigfache Übergänge mit einander verbunden, und unzählige Fromme, Selige und Heilige der Kirche haben in glücklichster Harmonie persönliches Innenleben und soziales Gemeinwirken zu vereinigen gewußt, ja diese Verbindung erscheint schon in früher Zeit als das ausgesprochene Ideal des religiösen Lebens.

Wilhelm Oehl (1881 -1950) in „Bruder Klaus und die deutsche Mystik“ in: Zeitschrift für schweizerische Kirchengeschichte 11 (1917)

„Dann haben wir ja wieder Diakoninnen“

Cover der dritten Ausgabe des Beginenbuches

In diesen Tagen, wo im Vatikan unter anderem die Rolle der Frauen in der Kirche erörtert wird, habe ich diese Erinnerung wieder im Kopf. Gertrud Hofmann erzählte gern diese Geschichte. Jene Frau, die Mitte der 80er Jahre die Tradition der Beginen neu begründet hat. Als sie bei einem Prälaten im Essener Generalvikariat war, rief der begeistert aus: „Dann haben wir ja wieder Diakoninnen“. Die Sache lief dann doch anders; hätte aber was werden können. (wak)

Gertrud Hofmann, Werner Krebber: Die Beginen. Geschichte und Gegenwart (= Topos-plus-Taschenbücher. Band 530). 2. aktualisierte Auflage. Butzon & Bercker, Kevelaer 2008, ISBN 978-3-8367-0530-1 ~(Das Buch dürfte noch in Antiquariaten zu finden sein)

Jacques Gaillot + – Uns an dem Projekt Jesu Christi beteiligen

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Wir wurden als Christen nicht dazu berufen, für das Überleben der Kirche zu sorgen, sondern für das Wohl und Heil der Menschheit. Wir sind nicht Mitglied der Kirche, um die Strukturen und die Kircheninstitutionen besser zum Funktionieren zu bringen, sondern um uns an dem Projekt Jesu Christi zu beteiligen, das da heißt: Die Menschen sollen das Leben in Fülle haben.

Jacques Gaillot (1935 – 2023)

wikipedia schreibt zur Person Jacques Gaillot unter anderem: „Am 13. Januar 1995 wurde Gaillot unter anderem angeblich auf Druck der französischen Regierung, insbesondere des Innenministers Charles Pasqua, von Papst Johannes Paul II. als Bischof von Évreux abgelöst und auf den Titularsitz von Partenia versetzt. Zu seinem Abschiedsgottesdienst in Évreux reisten etwa 50.000 Katholiken aus ganz Frankreich in 300 Bussen und drei Sonderzügen an.

Bischof Gaillot kündigte zunächst an, sich tatsächlich an diesen, im heutigen Algerien gelegenen Ort zu begeben und seine Arbeit von dort aus fortzusetzen; aufgrund der politischen Situation Algeriens nahm er davon jedoch bald Abstand. Darauf ließ er die im 5. Jahrhundert untergegangene Diözese als „Diözese ohne Grenzen“ im Internet wiederaufleben. Mit Hilfe der modernen Kommunikationsmittel kommunizierte er bis zu seinem Tod 2023 von seinen Klosterräumen in Paris aus über das Internet mit Menschen in aller Welt.“

In das Licht Gottes versetzt

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In ihrem Gebet versetzt uns die Kirche in das Licht Gottes, das in den Dunkelheiten der Welt leuchtet, damit wir davon erfasst und verwandelt werden durch die Gegenwart des neugeborenen Erlösers. Er kann in uns geboren werden und wahrhaft leben, indem er unsere Gedanken und Handlungen durch sein Licht verwandelt.

Thomas Merton (1915 – 1968) in: Seasons of celebration, p 108-109

Gefunden habe ich dieses Zitat hier: https://www.aimintl.org/de/2015-05-29-13-29-50/bulletin-112/p-thomas-merton

Gott überall in gleicher Weise erkennen

Erfurter Gedenktür für Meister Eckhart / Foto: (c) wak

Ein Mensch gehe auf dem Felde [und spreche sein Gebet] und erkenne Gott, oder er sei in der Kirche und erkenne Gott: wenn er Gott darum, weil er an einem Ruheplatz ist, eher erkennt, so kommt das von seiner Schwäche, nicht von Gott, denn Gott ist in allen Dingen und an allen Orten gleich und ist bereit, soweit es an ihm ist, sich überall in gleicher Weise zu geben, und der erkennte Gott richtig, der ihn überall in gleicher Weise erkennte.

Von der Erkenntnis Gottes. In: Meister Eckharts mystische Schriften. In unsere Sprache übertragen von Gustav Landauer. Bearbeitet und neu herausgegeben von Martin Buber Berlin 2. Auflage 1920, S. 63

Kirche in seinem Herzen bauen

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Der eine Kirche in seinem Herzen baut
Und sie überallhin mitnimmt
ist viel heiliger als der, dessen Kirche
nur ein eintägiges Haus des Gebets ist.

Morris Abel Beer (*1887 – unbekannt)

Das Erbe Jesu

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Im Herzen dieser Kirche ist das mystische Element, das sie am Leben hält, das Erbe Jesu. Zu diesem mystischen Kern immer wieder vorzudringen – das ist die letzte Grenzerfahrung der christlichen Mystik.

David Steindl-Rast (*1926)