Zen ist Bewusstsein ohne die Struktur einer besonderen Form oder eines besonderen Systems, ein transkulturelles, transreligiöses, transformiertes Bewusstsein. Deshalb ist es in gewissem Sinne „leer“. Aber es kann durch dieses oder jenes religiöse oder irreligiöse System hindurch scheinen, so wie Licht durch ein Glas hindurch scheinen kann, das blau ist oder grün, rot oder gelb. Wenn Zen überhaupt eine Vorliebe hat, dann zieht es einfaches Glas vor, das keine Farbe hat und eben „einfaches Glas“ ist.
ThomasMerton (1915 – 1968) in: Weisheit der Stille, 1975, S. 12
Alle Erscheinungen sind wie Reflexe im Spiegel. Sie sind strahlend rein und unbefleckt. Sie sind unerklärlich, unbeschreiblich, und doch entstehen aus ihnen ständig Ursachen und Handlungen. Die Essenz der Wirklichkeit ist ungeteilt, ist ohne einen Ort. So sollen alle Erscheinungen betrachtet werden.
Unsere geistige Natur lebt. Sie braucht also Nahrung. Wie aber alles Lebendige von der seiner Lebensform entsprechenden Speise sich nährt, so hat nur die Nahrung geistigen Lebens die Kraft, unsere geistige Natur zu erhalten. Die Lebenskraft regt sich zur eigenen Freude, eine Bewegung, die man Leben nennt. Deshalb muß die Lebensenergie ohne Erneuerung durch eine natürliche, ihr gemäße Nahrung erlahmen und erlöschen.
Nikolaus von Kues (1401 – 1464) in: Die Jagd nach Weisheit. Kapitel 1: Die Weisheit als geistige Nahrung
Fotographie Tolstois von Sergei Michailowitsch Prokudin-Gorski aus dem Jahr 1908
Ich habe ja nur dann ein wirkliches Leben, wenn ich Gottes Nähe fühle und ihn suche. Nun also, was suche ich noch, rief eine Stimme in mir; da ist er ja, er, ohne den man nicht leben kann. Gott erkennen und leben, das ist ein und dasselbe. Gott ist das Leben! Lebe, indem Du Gott suchst, dann wird es keine Leben ohne Gott geben!
Man vermag dem Worte nicht besser als mit Schweigen und Hören zu dienen. Räumst du ihm deine Seele gänzlich ein, so erfüllt es dich ohne Zweifel ganz und gar: ebensoviel wie du ihm einräumst, so viel strömt seines Wesens in dich ein, nicht mehr und nicht weniger.
Wer auf mystische Weise Gott erkennen will, muss über alle Vernunfterkenntnis hinaus, auch sich selbst lassend, sich in die Dunkelheit werfen. Dann wird er finden, wie das, was der Verstand für unmöglich hält, nämlich das Zugleich von Sein und Nichtsein, die Notwendigkeit selbst ist. Dionysius sagt, dass man, seine Erkenntnisse selbst mit Füßen tretend, ohne Wissen zu Gott streben muss, weil es dann zu jener Vereinigung kommt, in der es ohne Erkenntnis Gewissheit gibt, wo die Dunkelheit Licht und die Unwissenheit Wissenschaft ist. Niemand kann auf mystische Weise Gott schauen als allein in der Dunkelheit des Ineinsfallens der Gegensätze.
Jacob Böhme-Lesebuch (Paul Hankamer / Ronald Steckel)
Weil ichs aber nicht habe ergriffen, so lasse ichs meinem Gott und denen, so etwan Gott solches möchte zu erkennen geben, bis mir die Augen dessen Wesens, so es Gott gefiele, möchten eröffnet werden: denn es sind Geheimnisse, und ist dem Menschen ohne Gottes Befehl und Licht nicht damit zu schließen: So aber jemand dessen von Gott Erkenntnis und Erleuchtung hätte, möchte ich mich wohl lehren lassen, so ich dessen im Lichte der Natur möchte Grund haben.
Jacob Böhme (1575 – 1624): in: Von den letzten Zeiten, I, 28
In: Das Jacob Böhme Lesebuch. Aus Jakob Böhmes Schriften ausgewählt und eingeleitet von Paul Hankamer (1925). Neu herausgegeben, erweitert und mit einem Glossar versehen von Ronald Steckel (2022), Verlag Magische Blätter, Ronnenberg, S. 81 Mehr hier: https://verlagmagischeblaetter.eu/publikationsreihe/buecher
„Wer diese Predigt verstanden hat, dem vergönne ich sie wohl. Wäre niemand hier gewesen, ich hätte sie diesem Opferstock predigen müssen“. So Meister Eckhart (1260 – 1328) am Ende der Aussagen von Predigt 26. Diese fast sprichwörtlich gewordenen Zeilen sind hier wie bei anderen seiner Predigten Schlusspunkte, Schlusssteine. Sie führen Vorhergegangenes zu einem Ende: sehr direkt, kurz und knapp. Manche der Schlussätze sind ähnlich wie Affirmationen, bei denen eine Aussage, Situation oder Handlung positiv bewertet wird. Andere wirken wie Aufrufe oder Weckrufe zur Transformation. Bei nur wenigen der Sätze sind sie teilweise unverständlich, wenn der vorige Predigttext nicht gekannt ist. Bei den meisten von ihnen jedoch sind sie oft wie eigene meditative Artefakte, kontemplative Kleinode. Auf jeden Fall zu schade dafür, dass sie in der Fülle der Predigtgedanken unbeachtet untergehen. Ist doch auch daran zu erinnern, was Gustav Landauer in seinem Vorwort zu „Meister Eckharts Mystische Schriften“ schrieb. Er hatte sie 1903 herausgegeben, 1920 dann noch einmal sprachlich bearbeitet von Martin Buber. Landauer war der Überzeugung: “ Meister Eckhart ist zu gut für historische Würdigung; er muss als Lebendiger auferstehen.“
Diese Schlusssteine mögen am Ende diesen Jahres dazu anregen, ein paar der Gedanken Meister Eckharts mit in das kommende Jahr zu nehmen. (w.a.k.)
1 Dass Jesus auch in uns kommen und hinauswerfen und wegräumen möge alle Hindernisse und uns Eins mache, wie er als Eins mit dem Vater und dem heiligen Geiste ein Gott ist, auf dass wir so mit ihm eins werden und ewig bleiben, dazu helfe uns Gott. Amen.
4 Dass wir bereitet werden, die beste Gabe zu empfangen, dazu helfe uns der Vater der Lichter. Amen.
5 Dass wir nicht dahin gelangen, wo dieses Gut empfangen wird, das liegt nicht an ihm, sondern an uns.
6 Dass wir in solcher Weise wahrhaft drinnen bleiben mögen, dass wir alle Wahrheit unmittelbar und ohne Unterschiedenheit in rechter Seligkeit besitzen, dazu helfe uns Gott! Amen.
7 Dass wir die Gerechtigkeit um ihrer selbst willen und Gott ohne Warum lieben, dazu helfeuns Gott. Amen.
8 … Was die Seele in ihrem Grunde sei, davon weiß niemand etwas. Was man davon wissen kann, das muss übernatürlich sein, es muss aus Gnade sein: dort wirkt Gott Barmherzigkeit. Amen.
11 Dass wir uns innen finden im Tage und in der Zeit der Vernunft und im Tage der Weisheit undim Tage der Gerechtigkeit und im Tage der Seligkeit, dazu helfe uns der Vater und der Sohn und der Heilige Geist. Amen.
13 … Der Mensch, der gelassen hat und gelassen ist und der niemals mehr nur einen Augenblick auf das sieht, was er gelassen hat, und beständig bleibt, unbewegt in sich selbst und unwandelbar, – der Mensch allein ist gelassen. Dass wir so beständig bleiben und unwandelbar wie der ewige Vater, dazu helfe uns Gott und die ewige Weisheit. Amen.
15 Wir sollen Gottes Bild in uns tragen, und sein Licht soll in uns leuchten, wenn wir »Johannes« sein wollen.
16 Dass wir Eins werden, dazu helfe uns Gott. Amen.
18 Dass wir ebenso dahin gelangen, in dem ewigen Worte zu antworten, dazu helfe uns Gott. Amen.
19 Wir bitten Gott, unsern lieben Herrn, dass er hier mit uns wohne, auf dass wir ewiglich mit ihm wohnen mögen; dazu helfe uns Gott. Amen.
21 Darum spricht Sankt Lukas: »Ein Mensch hatte bereitet ein großes Abendmahl« (Luk. 14, 16). Dieser Mensch ist Gott und hat keinen Namen. Dass wir zu diesem Gastmahl kommen, dazu helfe uns Gott. Amen.
22 Dass wir so eins werden mit Gott, dazu helfe uns »ein Gott, Vater aller«. Amen.
23 Dass wir zu dieser Wahrheit kommen, dazu helfe uns die Wahrheit, von der ich gesprochen habe. Amen.
24 Nun, dass wir zu diesem ewigen Lichte kommen, dazu helfe uns Gott. Amen
26 Wer diese Predigt verstanden hat, dem vergönne ich sie wohl. Wäre hier niemand gewesen, ich hätte sie diesem Opferstocke predigen müssen. Es gibt manche arme Leute, die kehren wieder heim und sagen: »Ich will an einem Ort sitzen und mein Brot verzehren und Gott dienen!« Ich sage bei der ewigen Wahrheit, diese Leute müssen verirrt bleiben und können niemals erlangen noch erringen, was die anderen erlangen, die Gott nachfolgen in Armut und in Fremde. Amen.
27 Dass auch wir gut werden mögen und getreu, auf dass auch uns unser Herr eingehen heiße und ewig inne bleiben, wir mit ihm und er mit uns, dazu helfe uns Gott! Amen.
29 Dass wir so eins seien in der Einheit, die Gott selbst ist, dazu helfe uns Gott. Amen.
31 Dass wir eben diese Einheit seien und diese Einheit bleiben mögen, dazu helfe uns Gott. Amen.
32 Dass wir so leben mögen, dass wir es ewig erfahren, dazu helfe uns Gott. Amen.
33 Dass wir Gott so folgen, dass er uns in sich versetzen könne, damit wir mit ihm vereint werden, auf dass er uns mit sich selbst lieben könne, dazu helfe uns Gott. Amen.
35 Dass uns dies widerfahre, dazu helfe uns Gott. Amen.
36 Dass wir ihm alle folgen, auf dass er uns bringe in sich, wo wir ihn wahrhaft erkennen, dazu helfe uns Gott. Amen.
37 Bitten wir unsern Herrn, dass wir in die Erkenntnis kommen mögen, die da ganz ohne Weise und ohne Maß ist. Dazu helfe uns Gott. Amen.
38 Dass wir ebenso mit Gott vereint werden, dazu helfe uns die Wahrheit, von der ich gesprochen habe! Amen.
39 Wir bitten Gott, unsern lieben Herrn, dass wir Eins und innen – wohnend werden. Dazu helfe uns Gott. Amen.
40 Dass wir dies begreifen und ewiglich selig werden, dazu helfe uns der Vater und der Sohn und der Heilige Geist. Amen.
42 Und in diesem Einen sollen wir ewig versinken vom Etwas zum Nichts. Dazu helfe uns Gott. Amen.
44 Dass wir mit Gott ein Geist werden und wir in der Gnade erfunden werden, dazu helfe uns Gott. Amen.
45 Dass wir die göttliche Gleichheit göttlicher Ruhe so suchen und bei Gott finden mögen, dazu helfe uns Gott. Amen.
46 Dass wir in solcher Weise der Gerechtigkeit in der Weisheit nachfolgen und nach ihr hungern und dürsten, auf dass wir gesättigt werden, dazu helfe uns Gott. Amen.
48 Darum soll man der ersten Eingebung folgen und so voranschreiten; dann kommt man dahin, wohin man soll, und so ist‘s recht.
50 Und dass wir zu dieser Frucht kommen, dazu helfe uns die ewige Wahrheit, von der ich gesprochen habe. Amen.
52 Da ist Seligkeit, wo die Seele Gott nimmt, wie er Gott ist. Bitten wir unsern Herrn, dass wir so mit ihm vereint werden. Amen.
53 Dass wir zu diesem Erkennen kommen, dazu helfe uns Gott. Amen.
54 Dass wir zu dieser Vollkommenen Liebe gelangen, dazu helfe uns Gott. Amen.
56 Dass wir allem dem entwachsen, was nicht Gott ist, dazu helfe uns Gott. Amen.
57 In diese Geburt helfe uns der Gott, der von neuem als Mensch geboren ist. Dass wir schwache Menschen in ihm auf göttliche Weise geboren werden, dazu helfe er uns ewiglich. Amen.
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(Die Ziffern vor den Schlusssätzen beziehen sich auf die Nummerierung der Predigten, die Josef Quint 1963 herausgegeben und übersetzt hat.)
Immer wieder sagt Lao Tzu wei wu wei: Nicht tun. Tue Nicht-Tun. Handeln ohne zu handeln. Handeln durch Nichtstun. Du tust nichts und doch wird es getan…
Das ist keine Aussage, die sich logisch interpretieren lässt, oder gar syntaktische Übersetzung ins Englische; aber es ist ein Konzept, das das Denken radikal verändert, das Köpfe verändert. Das ganze Buch ist sowohl eine Erklärung und eine Demonstration dieses Konzepts.
Lao Tzu: Tao Te Ching. A Book about the Way and the Power of the Way. A New English Version bei Ursula K. Le Guin with the Collaboration of J.P. Seaton, Professor of Chinese, Shambala Boston & London, 2011