Bleibet bei euch selbst,
und kehrt euch nicht denen zu,
die große Worte machen.
Bleibt bei eurem inneren Menschen.
Johannes Tauler (1300 – 1361)
Wer immer
der tiefsten Sehnsucht
des menschlichen Herzens folgt,
ist „auf dem Weg“.
Es spielt keine große Rolle,
welchen Namen wir jenem Weg geben. …
Was zählt, ist das Gehen.
David Steindl-Rast (* 1926) in: Fülle und Nichts. Die Wiedergeburt christlicher Mystik. München 1985
Suche nichts als ein reines, einfaches Entsinken
in das reine, einfache, unbekannte, namenlose, verborgene Gut, das Gott ist,
und in alles, was sich in ihm enthüllen mag.
Alles soll sich an sein Nichts halten:
Nichts wissen, nichts erkennen, nichts wollen, nichts suchen, nichts haben wollen.
Suche weder Empfindung noch Erleuchtung!
Entsinke in dein Nicht-wissen und Nicht-wissen-wollen!
Die Tiefe, die in Gott ist, ist ein solcher Abgrund,
daß aller geschaffene Verstand sie nicht zu erreichen noch zu ergründen vermag.
Dieser Tiefe soll der Mensch begegnen mit der eigenen Tiefe:
das ist, dem grundlosen Abgrund einer unergründlichen Selbstvernichtung.
Das heißt:
könnte er ganz zu einem lauteren Nichts werden, das hielte er für recht und billig.
Das kommt aus der Tiefe und der Erkenntnis seines Nichts.
Johannes Tauler (1300 – 1361) zugeschrieben
in: Der Weg der Meister, 2, ausgewählt und neu übertragen von P. Ermin Döll (1936 – 2021)
„Wer diese Predigt verstanden hat, dem vergönne ich sie wohl. Wäre niemand hier gewesen, ich hätte sie diesem Opferstock predigen müssen“. So Meister Eckhart (1260 – 1328) am Ende der Aussagen von Predigt 26. Diese fast sprichwörtlich gewordenen Zeilen sind hier wie bei anderen seiner Predigten Schlusspunkte, Schlusssteine. Sie führen Vorhergegangenes zu einem Ende: sehr direkt, kurz und knapp. Manche der Schlussätze sind ähnlich wie Affirmationen, bei denen eine Aussage, Situation oder Handlung positiv bewertet wird. Andere wirken wie Aufrufe oder Weckrufe zur Transformation. Bei nur wenigen der Sätze sind sie teilweise unverständlich, wenn der vorige Predigttext nicht gekannt ist. Bei den meisten von ihnen jedoch sind sie oft wie eigene meditative Artefakte, kontemplative Kleinode. Auf jeden Fall zu schade dafür, dass sie in der Fülle der Predigtgedanken unbeachtet untergehen. Ist doch auch daran zu erinnern, was Gustav Landauer in seinem Vorwort zu „Meister Eckharts Mystische Schriften“ schrieb. Er hatte sie 1903 herausgegeben, 1920 dann noch einmal sprachlich bearbeitet von Martin Buber. Landauer war der Überzeugung: “ Meister Eckhart ist zu gut für historische Würdigung; er muss als Lebendiger auferstehen.“
Diese Schlusssteine mögen am Ende diesen Jahres dazu anregen, ein paar der Gedanken Meister Eckharts mit in das kommende Jahr zu nehmen. (w.a.k.)
1 Dass Jesus auch in uns kommen und hinauswerfen und wegräumen möge alle Hindernisse und uns Eins mache, wie er als Eins mit dem Vater und dem heiligen Geiste ein Gott ist, auf dass wir so mit ihm eins werden und ewig bleiben, dazu helfe uns Gott. Amen.
4 Dass wir bereitet werden, die beste Gabe zu empfangen, dazu helfe uns der Vater der Lichter. Amen.
5 Dass wir nicht dahin gelangen, wo dieses Gut empfangen wird, das liegt nicht an ihm, sondern an uns.
6 Dass wir in solcher Weise wahrhaft drinnen bleiben mögen, dass wir alle Wahrheit unmittelbar und ohne Unterschiedenheit in rechter Seligkeit besitzen, dazu helfe uns Gott! Amen.
7 Dass wir die Gerechtigkeit um ihrer selbst willen und Gott ohne Warum lieben, dazu helfeuns Gott. Amen.
8 … Was die Seele in ihrem Grunde sei, davon weiß niemand etwas. Was man davon wissen kann, das muss übernatürlich sein, es muss aus Gnade sein: dort wirkt Gott Barmherzigkeit. Amen.
11 Dass wir uns innen finden im Tage und in der Zeit der Vernunft und im Tage der Weisheit undim Tage der Gerechtigkeit und im Tage der Seligkeit, dazu helfe uns der Vater und der Sohn und der Heilige Geist. Amen.
13 … Der Mensch, der gelassen hat und gelassen ist und der niemals mehr nur einen Augenblick auf das sieht, was er gelassen hat, und beständig bleibt, unbewegt in sich selbst und unwandelbar, – der Mensch allein ist gelassen. Dass wir so beständig bleiben und unwandelbar wie der ewige Vater, dazu helfe uns Gott und die ewige Weisheit. Amen.
15 Wir sollen Gottes Bild in uns tragen, und sein Licht soll in uns leuchten, wenn wir »Johannes« sein wollen.
16 Dass wir Eins werden, dazu helfe uns Gott. Amen.
18 Dass wir ebenso dahin gelangen, in dem ewigen Worte zu antworten, dazu helfe uns Gott. Amen.
19 Wir bitten Gott, unsern lieben Herrn, dass er hier mit uns wohne, auf dass wir ewiglich mit ihm wohnen mögen; dazu helfe uns Gott. Amen.
21 Darum spricht Sankt Lukas: »Ein Mensch hatte bereitet ein großes Abendmahl« (Luk. 14, 16). Dieser Mensch ist Gott und hat keinen Namen. Dass wir zu diesem Gastmahl kommen, dazu helfe uns Gott. Amen.
22 Dass wir so eins werden mit Gott, dazu helfe uns »ein Gott, Vater aller«. Amen.
23 Dass wir zu dieser Wahrheit kommen, dazu helfe uns die Wahrheit, von der ich gesprochen habe. Amen.
24 Nun, dass wir zu diesem ewigen Lichte kommen, dazu helfe uns Gott. Amen
26 Wer diese Predigt verstanden hat, dem vergönne ich sie wohl. Wäre hier niemand gewesen, ich hätte sie diesem Opferstocke predigen müssen. Es gibt manche arme Leute, die kehren wieder heim und sagen: »Ich will an einem Ort sitzen und mein Brot verzehren und Gott dienen!« Ich sage bei der ewigen Wahrheit, diese Leute müssen verirrt bleiben und können niemals erlangen noch erringen, was die anderen erlangen, die Gott nachfolgen in Armut und in Fremde. Amen.
27 Dass auch wir gut werden mögen und getreu, auf dass auch uns unser Herr eingehen heiße und ewig inne bleiben, wir mit ihm und er mit uns, dazu helfe uns Gott! Amen.
29 Dass wir so eins seien in der Einheit, die Gott selbst ist, dazu helfe uns Gott. Amen.
31 Dass wir eben diese Einheit seien und diese Einheit bleiben mögen, dazu helfe uns Gott. Amen.
32 Dass wir so leben mögen, dass wir es ewig erfahren, dazu helfe uns Gott. Amen.
33 Dass wir Gott so folgen, dass er uns in sich versetzen könne, damit wir mit ihm vereint werden, auf dass er uns mit sich selbst lieben könne, dazu helfe uns Gott. Amen.
35 Dass uns dies widerfahre, dazu helfe uns Gott. Amen.
36 Dass wir ihm alle folgen, auf dass er uns bringe in sich, wo wir ihn wahrhaft erkennen, dazu helfe uns Gott. Amen.
37 Bitten wir unsern Herrn, dass wir in die Erkenntnis kommen mögen, die da ganz ohne Weise und ohne Maß ist. Dazu helfe uns Gott. Amen.
38 Dass wir ebenso mit Gott vereint werden, dazu helfe uns die Wahrheit, von der ich gesprochen habe! Amen.
39 Wir bitten Gott, unsern lieben Herrn, dass wir Eins und innen – wohnend werden. Dazu helfe uns Gott. Amen.
40 Dass wir dies begreifen und ewiglich selig werden, dazu helfe uns der Vater und der Sohn und der Heilige Geist. Amen.
42 Und in diesem Einen sollen wir ewig versinken vom Etwas zum Nichts. Dazu helfe uns Gott. Amen.
44 Dass wir mit Gott ein Geist werden und wir in der Gnade erfunden werden, dazu helfe uns Gott. Amen.
45 Dass wir die göttliche Gleichheit göttlicher Ruhe so suchen und bei Gott finden mögen, dazu helfe uns Gott. Amen.
46 Dass wir in solcher Weise der Gerechtigkeit in der Weisheit nachfolgen und nach ihr hungern und dürsten, auf dass wir gesättigt werden, dazu helfe uns Gott. Amen.
48 Darum soll man der ersten Eingebung folgen und so voranschreiten; dann kommt man dahin, wohin man soll, und so ist‘s recht.
50 Und dass wir zu dieser Frucht kommen, dazu helfe uns die ewige Wahrheit, von der ich gesprochen habe. Amen.
52 Da ist Seligkeit, wo die Seele Gott nimmt, wie er Gott ist. Bitten wir unsern Herrn, dass wir so mit ihm vereint werden. Amen.
53 Dass wir zu diesem Erkennen kommen, dazu helfe uns Gott. Amen.
54 Dass wir zu dieser Vollkommenen Liebe gelangen, dazu helfe uns Gott. Amen.
56 Dass wir allem dem entwachsen, was nicht Gott ist, dazu helfe uns Gott. Amen.
57 In diese Geburt helfe uns der Gott, der von neuem als Mensch geboren ist. Dass wir schwache Menschen in ihm auf göttliche Weise geboren werden, dazu helfe er uns ewiglich. Amen.
℘
(Die Ziffern vor den Schlusssätzen beziehen sich auf die Nummerierung der Predigten, die Josef Quint 1963 herausgegeben und übersetzt hat.)
Die Barmherzigkeit des Westens war die soziale Revolution, die Barmherzigkeit des Ostens war die individuelle Einsicht in das grundlegende Selbst bzw. die Leere. Wir brauchen beides. Sie sind beide in den traditionellen drei Aspekten des Dharma-Pfades enthalten: Weisheit ( prajna ), Meditation ( dhyana ) und Moral ( sila ). Weisheit ist intuitives Wissen über den Geist der Liebe und Klarheit, der hinter den vom Ego getriebenen Ängsten und Aggressionen liegt. Meditation bedeutet, in den Geist zu gehen, um dies selbst zu sehen – immer und immer wieder, bis es der Geist wird, in dem man lebt. Moral bedeutet, dies in der Art und Weise, wie man lebt, durch persönliches Beispiel und verantwortungsbewusstes Handeln wieder zum Vorschein zu bringen, letztlich in Richtung der wahren Gemeinschaft ( Sangha ) „aller Wesen“.
Gary Snyder (* 1930)
Als ob es die Toten gäbe!
Es gibt keine Toten,
es gibt nur Lebende –
auf unserer Erde
und im Jenseits.
Den Tod gibt es.
Aber er ist nur ein Moment,
ein Augenblick,
eine Sekunde,
ein Schritt:
der Schritt vom Vorläufigen
ins Endgültige,
der Schritt vom Zeitlichen
ins Ewige.
Michel Quoist (1921-1997)