Der indische Leere-Begriff, der im Großen Fahrzeug vor allem im Strang des Meditations-Buddhismus (chin. Ch ‚an; jap. Zen) lebendig geblieben ist, ist weniger ein spekulativer als ein spirituell-praktischer Begriff, der vom Vollzug radikaler Loslösung von allem in der Welt bis in die Bildhaftigkeit und das Wort hinein kündet. …
Hier erhält die Negative Theologie einen neuen Rang und bietet sich ihre lange in der Theologie vergessene Geschichte als Brücke an. Wie angedeutet, finden sich die ersten Spuren im Neuen Testament; sie führen dann über den Pseudo Dionysius zu den hochmittelalterlichen Theologen, zu Thomas und Bonaventura, zu den spanischen und rheinischen Mystikern, zu Nikolaus von Kues, aber auch zu Ignatius von Loyola. Allerdings müssen für beide Grundausrichtungen, die buddhistische wie die christliche, die philosophischen Wurzeln überprüft werden, da manche Barrieren auf dem Weg zu gegenseitigem Verstehen dort zu suchen und folglich zu beseitigen sind. Entscheidend ist, dass sich in diesem Feld Erfahrung und Reflexion, christlich gesprochen: Glaube und Vernunft, begegnen.
Hans Waldenfels (1931 – 2023)