Der Mensch soll niemals ein Werk so wohlberaten und rechtgetan glauben, um nicht so unbekümmert und selbstsicher in seinem Tun zu werden, daß seine Vernunft etwa müßig werden oder einschlafen könnte. Er soll sich stets mit den zwei Kräften, der Vernunft und dem Willen, erheben und sein Bestes in ihrer höchsten Auswirkung suchen und wider allen Schaden, außen und innen, weise sich sichern. So vernachlässigt er niemals etwas in irgendwelchen Dingen, sondern er nimmt mächtig zu ohne Unterlaß.
Meister Eckhart (1260 – 1328) in seinen „Reden der Unterweisung“
Asiaten wissen, daß die wahrhaft Eingeweihten und Berufenen – denen man in Europa sozusagen nie und in Asien höchst selten begegnet – allein durch ihre stets aufrecht erhaltene Verbindung ihres irdischen Bewußtseins mit der geistigen Welt eine eminent wichtige Aufgabe für die gesamte Menschheit erfüllen, indem sie geistige Kräfte und Schwingungen für ihre weniger empfänglichen Mitmenschen gleichsam übersetzen und umformen, und ihnen damit das Finden des eigenen geistigen Selbst nicht nur erleichtern, sondern überhaupt erst ermöglichen.
Otto Hellmut Lienert (1897 – 1965) in seinem Beitrag: „Joseph Anton Schneiderfranken – Bô Yin Râ“
Der vollständige Beitrag ist hier nachzulesen:
MAGISCHE BLÄTTERBUCH IX CIII. Jahrgang Frühling 2022
Fresko mit Katharina von Siena / wikipedia gemeinfrei
Wir waren eingeschlossen, oh ewiger Vater, im Garten deines Herzens. Du hast uns aus deinem heiligen Geist herausgezogen wie eine Blume die mit den drei Kräften unserer Seele erblüht, und in jede Kraft hast du die ganze Pflanze gesetzt, damit sie in deinem Garten Früchte tragen, damit sie zu dir zurückkehren mit den Früchten, die du ihnen gegeben hast. Und du würdest zu der Seele zurückkommen, um sie mit deiner Glückseligkeit zu erfüllen. Dort verweilt die Seele – wie der Fisch im Meer und das Meer in den Fischen.
Heilig ist Gott, der Vater des Alls. Heilig ist Gott, dessen Wille durch seine eigenen Kräfte erfüllt wird. Heilig ist Gott, der erkannt werden will und von den Seinen erkannt wird. Heilig bist du, der du durch das Wort das Seiende hast entstehen lassen.
Heilig bist du, dessen Abbild die gesamte Natur ist. Heilig bist du, dem nicht die Natur seine Gestalt gegeben hat. Heilig bist du, der du jeder Kraft überlegen bist. Heilig bist du, der du erhabener als alles Erhabene bist. Heilig bist du, der du alles Lob übersteigst.
Nimm in heiligen Worten dargebrachte Opfer an von meiner Seele und meinem Herzen, das sich dir zuwendet. Du Unaussprechlicher, Unsagbarer, in Schweigen Angerufener.
Aus dem Corpus Hermeticum (2. – 3. Jh. u.Z.) / A. Hermes Trismegistos: Poimandres
Wenn das Meer all seine Kräfte anstrengt, so kann es das Bild des Himmels gerade nicht spiegeln; auch nur die mindeste Bewegung so spiegelt es den Himmel nicht rein; doch wenn es still wird und tief, senkt sich das Bild des Himmels in sein Nichts.
Alle Wirklichkeit, die es gibt, alle Güte des Existierenden und Guten … können wir in einer einzigen metaphysischen Intuition des Seins und des Guten an sich geistig kosten und genießen.
… Dabei werden das Sein und die Güte, an denen alle Einzeldinge teilhaben, in einer einzigen lichtvollen Intuition erfasst, die unseren ganzen Geist mit Licht und Heiterkeit überflutet. Diese Intuition ist etwas so Gewaltiges, dass die heidnischen Philosophen sie für die höchste Seligkeit hielten, welche der Mensch je mit seinen natürlichen Kräften allein erlangen kann.
Thomas Merton (1915 – 1968) über Erleuchtung in seinem Buch „Aufstieg zur Wahrheit“, Einsiedeln 1952, S. 182 – 183
Das sind die wahren Armen im Geist. Sie erfüllt der Heilige Geist; er stürmt in ihre Seelen, er gießt all seinen Reichtum über den Menschen aus, überschüttet ihn mit seinem Schatz, den inneren wie den äußeren Menschen, seine inneren und seine äußeren Kräfte, die oberen und die niederen. Und des Menschen Tun besteht hier darin, daß er sich bereiten lasse, und dem Heiligen Geist eine Stätte und einen Platz gebe, damit er sein Werk in ihm vollenden könne.
Sein ist Leben, Aktivität, Geburt, Erneuerung, Ausfließen, Verströmen, Produktivität. In diesem Sinn ist es das Gegenteil von Haben, von Ichbindung und Egoismus. Sein im Sinne Eckharts heißt aktiv sein im klassischen Sinn, als produktiver Ausdruck der dem Menschen eigenen Kräfte, es heißt nicht „geschäftig“ sein im modernen Sinn. Aktivität bedeutet bei ihm „aus sich selbst ausgehen“ (Quint DPT 6)*, was er in vielen Bildern beschreibt: Er nennt Sein einen Vorgang des „Kochens“, des „Sich-selbst-Gebärens“, etwas, das „in sich selbst und über sich selbst verfließt“… Manchmal benützt er das Symbol des Laufens, um den aktiven Charakter zu beschreiben: „… lauf in den Frieden! Der Mensch, der sich im Laufen und in beständigem Laufen befindet, und zwar in den Frieden, der ist ein himmlischer Mensch. Der Himmel läuft beständig um, und im Laufe sucht er Frieden“. (Quint DPT 8)
Erich Fromm (1900 – 1980) in: „Haben oder Sein“. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft. Stuttgart 1976, S. 69 – 70 /
* Josef Quint (Hg.), Meister Eckhart. Deutsche Predigten und Traktate. München 1963
Der Übergang von einer Seinsstufe zu einer anderen wurde durch gewisse Darstellungs-Zeremonien, nämlich die Initiation, gekennzeichnet. Aber eine Wandlung des Seins kann nicht durch irgendwelche Riten bewirkt werden. Riten sind nur das Kennzeichen einer vollendeten Wandlung. Und nur in pseudo-esoterischen Systemen, in denen es nichts anderes als die Riten gibt, beginnt man den Riten eine unabhängige Bedeutung zuzusprechen. Man glaubt, dass ein Ritus, indem er in ein Sakrament verwandelt wird, dem Eingeweihten gewisse Kräfte vermittelt. Dies gehört wiederum zur Psychologie eines Nachahmungsweges. Es gibt keine äußere Initiation und kann sie auch gar nicht geben. In Wirklichkeit gibt es nur Selbst-Initiation. Systeme und Schulen können auf Methoden und Wege hinweisen, aber kein System oder keine Schule kann für einen Menschen die Arbeit tun, die er selbst tun muss. Inneres Wachstum, eine Wandlung des Seins hängt nur von der Arbeit ab, und die muss der Mensch an sich selbst tun.“
Fünfzehntes Kapitel aus „Auf der Suche nach dem Wunderbaren“ von Pjotr Demjanowitsch Ouspenski (1878 – 1947), S. 439 – 463
Den vollständigen Text vonOuspenski finden Sie hier:
MAGISCHE BLÄTTER BUCH V CII. JAHRGANG FRÜHJAHR 2021