Teilhard de Chardin: Die Tiefe in uns berühren

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Die großartige Erkenntnis Teilhards lautet, dass das Unpersonale „wesentlich unliebenswert“ ist. Erst wenn uns der evolutionäre Impuls in einem Gesicht, in einem Herzen begegnet, berührt er auch diese Tiefe in uns und führt uns entlang eines evolutionären Weges, der nur von der Liebe navigiert werden kann. Die Liebe ist die richtungsweisende Energie der Evolution und führt zum Bewusstsein, dessen Höhepunkt nichts anderes ist als die vollständige Entpuppung der Liebe. Der wesentliche Modus der Liebe ist persönlich, und wenn wir versuchen, das Persönliche einzustellen, kommen die Räder der Evolution knirschend zum Stillstand.

Cynthia Bourgeault: „Gott ist eine Person!“ Enstatische Personifizierung gemäß der Evolutionsanschauung von Teilhard de Chardin

Der vollständige und umfangreiche Beitrag von Cynthia Bourgeault ist hier zu lesen.

MAGISCHE BLÄTTER, BUCH X
CIII. Jahrgang, Mai 2022, Heft 5 / Thema: VON JACOB BÖHME ÜBER DIE ROMANTIK ZUM BÖHME-BUND

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Iwan S. Turgenew: Christus

Foto: (c) wak

Ich sah mich als Jüngling, fast noch als Knaben in einer niedrigen Dorfkirche. — Die Flämmchen der dünnen Wachskerzen glühten wie kleine rote Punkte vor den alten Heiligenbildern.

Ein kleiner regenbogenfarbiger Lichtschein umgab jedes einzelne Flämmchen. Es war düster und dämmerig in der Kirche … Vor mir aber standen eine Menge Leute. Lauter schlichte, blonde Bauernköpfe. Von Zeit zu Zeit neigten sie sich, beugten sich herab und erhoben sich wieder gleich reifen Kornähren, wenn der sommerliche Wind wie eine sanfte Woge über sie hinstreicht. Mit einem Male kam jemand von hinten heran und trat neben mich.

Ich wandte mich nicht nach ihm um — aber ich fühlte sofort: dieser Mensch ist — Christus.

Rührung, Neugier und Angst bemächtigten sich meiner im selben Augenblick. Ich nahm mich zusammen … und sah meinen Nachbar an.

Ein Gesicht wie das aller anderen — ein Gesicht, das allen Menschengesichtern gleicht. Die Augen blicken ein wenig aufwärts, andächtig und ruhig. Die Lippen sind geschlossen, aber nicht zusammengepreßt: die Oberlippe ruht gleichsam auf der unteren; der kurze Bart ist in der Mitte geteilt. Die Hände gefaltet und unbeweglich. Auch die Kleidung ist dieselbe wie bei allen übrigen.

»Wie kann das Christus sein!« dachte ich bei mir. »Solch einfacher, einfacher Mensch! Es ist unmöglich!«

Ich kehrte mich ab. Doch ich hatte kaum den Blick von diesem einfachen Menschen abgewandt, als mich wiederum das Gefühl überkam, als stünde wirklich Christus an meiner Seite.

Noch einmal nahm ich mich zusammen … Und wieder erblickte ich dasselbe Antlitz, das allen Menschengesichtern gleicht, dieselben alltäglichen, wenn auch unbekannten Züge.

Da wurde es mir plötzlich schwer ums Herz — und ich kam zu mir. Nun begriff ich erst, daß gerade solch ein Antlitz — ein Antlitz, das allen Menschengesichtern gleicht — Christi Antlitz sei.

Iwan S. Turgenew (1818 – 1883) in: Gedichte in Prosa. Übertragen von Theodor Commichau, Leipzig 1922

Nichts ist ohne TAO

Foto: (c) wak


Halte danach Ausschau –
du siehst es nicht;
horche darauf –
du hörst es nicht;
fasse danach –
du ergreifst es nicht;
begegne ihm –
du siehst kein Gesicht;
folge ihm –
du siehst keinen Rücken;
aufgehend ins Helle –
ohne Licht;
sich bergend im Dunkeln –
ohne Nacht;
gestaltlose Form –
zeichenloses Bild –
Ursprung: TAO.
Nur wer den Ursprung erfährt,
kann ganz im Augenblick sein;
ewig durchfließt ihn der Lebensstrom,
TAO.
Strömend hierhin, dorthin –
alles stammt aus ihm;
nichts ist ohne TAO.

Zitiert von Willi Massa in seinem Beitrag „Logos und Mysterium. Einheit und Verschiedenheit westlicher und östlicher Mystik“. In: Zu dir hin. Über mystische Lebenserfahrung von Meister Eckhart bis Paul Celan. Herausgegeben von Wolfgang Böhme. Frankfurt/M. 1990, S. 21

Keine Weisung mehr brauchen

Foto: © wak

 

Kehre ein zu dir selbst und sieh dich an. Und wenn du siehst, dass du noch nicht schön bist, so mache es wie der Bildhauer, der von einer Statue, die schön werden soll, hier etwas fortmeißelt, dort etwas glättet und da etwas reinigt, bis er der Statue ein schönes Gesicht gegeben hat. So mach’ du es auch: Nimm weg, was unnütz, richte gerade, was krumm ist, reinige, was dunkel ist und mache es hell. Lass nicht ab, an deiner eigenen Statue zu wirken, bis dir der göttliche Glanz der Tugend aufleuchtet und du sie auf ihrem heiligen Sockel stehend erblickst. Und wenn du soweit gekommen bist, dann hemmt dich nichts mehr, dann bist du ganz du selbst und ganz und gar reines, wahres Licht. Du bist eins mit dem Schauen, gewinnst Zutrauen zu dir, bist so hoch gestiegen, dass du keine Weisung mehr brauchst.

Plotin (204 – 270) in den „Enneaden“

Bertolt Brecht: Solche Engel gefallen mir

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Daß der Engel des Güstrower Ehrenmals (Bronze 1927) mich überwältigt, ist nicht verwunderlich. Er hat das Gesicht der unvergeßlichen Käthe Kollwitz. Solche Engel gefallen mir. Und obwohl man weder einen Engel noch einen Mann je hat fliegen sehen, so ist doch das Fliegen glorios dargestellt.

Bertolt Brecht (1898 – 1956) Notizen zur Barlach-Ausstellung, in Sinn und Form, Viertes Jahr, 1952, Erstes Heft. Mehr hier: https://www.ernst-barlach-stiftung.de/ernst-barlach/plastiken/guestrower-ehrenmal/

Innere Dimension / Sufi-Mystik und Doing Nothing / 27. Oktober 2019 in Köln – Herzliche Einladung

Man fragte ihn, an welchen Zeichen man die Heiligen Gottes unter den Menschen erkenne? Er sagte: an der Anmut der Zunge, an schönen Eigenschaften, an frischem Gesichte, an der Liberalität der Seele, und an der Bereitwilligkeit Entschuldigungen anzunehmen.

Ebu Abdallah es-Salimi (um 870)

 

„Der Sufismus ist die innere Dimension des Islam; aber er hat, wie jede mystische Strömung einer Weltreligion,  ungezählte Facetten,“ betont Annemarie Schimmel, die sich zeitlebens mit den vielschichtigen Aspekten des Islam beschäftigt hat.

„Wenn man ihn beschreiben will, steht man bald vor einem blühenden Garten mit duftenden Rosen und klagenden Nachtigallen, die zu Symbolen für die göttliche Schönheit und die Sehnsucht der Seele werden, bald vor einer Wüste theoretischer, dem Uneingeweihten kaum verständlicher Abhandlungen in überaus kompliziertem Arabisch; dann wieder leuchten die eisigen Gipfel der höchsten theosophischen Weisheit in der Ferne auf…“

Sufis geht es nicht um abstraktes, theoretisches Wissen. Sie wollen den inneren Sinn der Worte erfassen.  Dieser tiefere Sinn, quasi zwischen den Zeilen des geschriebenen Wortes, öffnet ihnen den Pfad für die eigene existentielle Erfahrung.

Was also ist Sufismus? Ist er ein Weg zur höchsten Erkenntnis, ein Pfad der Liebe, ein Weg des Herzens?

Diesen und anderen Fragen um die mystische Dimension des Islam wollen wir am 27. Oktober nachgehen und sehen,  was uns seine Mystikerinnen und Mystiker für unseren eigenen spirituellen Weg sagen können.

Wer nur Interesse hat zum Doing Nothing zu kommen, ist herzlich eingeladen erst um 12:30 dazu zu kommen.

Organisatorisches:
Damit wir besser planen können, bitten wir um frühzeitige Anmeldung bei
Werner A. Krebber: Fon / AB 0209 / 20 56 95  am besten aber über Email: werner.krebber@web.de

Adresse der Veranstaltung: Rolandswerther Str 14  – 50937 Köln
(bei Kaluza/Westmeier klingeln)

Zum Mystikkreis Köln:
Wir treffen uns etwa ein Mal im Monat im Kölner Stadtteil Sülz, meist am ersten Sonntag des Monats. An diesen Sonntagen wird für beides Zeit sein – für stilles kontemplatives Sitzen und für das Studieren mystischer Texte & Themen sowie den gemeinsamen Austausch.

Der private Kurs ist auf 12 Teilnehmer beschränkt.
Kostenbeitrag für den ganzen Tag: 15,– Euro (+ ein freiwilliger Obolus für den Mittagstisch).
Kostenbeitrag nur für den Nachmittag: 10,– Euro.

Wir freuen uns auf Euer / Ihr Kommen

Rani www.doingnothing.de

und Werner https://mystikaktuell.wordpress.com/

 

Informationen auch hier: https://www.facebook.com/events/430138524301102/

Spiritualität ist eine Lesekunst

Foto: © wak

Spiritualität ist eine Lesekunst. Es ist die Fähigkeit, das zweite Gesicht der Dinge wahrzunehmen: die Augen Christi in den Augen des Kindes; das Augenzwinkern Gottes im Glanz der Dinge. Nicht Entrissenheit, sondern Anwesenheit und Aufmerksamkeit ist ihre Eigenart. Sie ist keine ungestörte Entweltlichung und Einübung in Leidenschaftslosigkeit. Sie ist lumpig und erotisch, weil sie auf die Straße geht und sieht, was dem Leben geschenkt ist und was ihm angetan wird. Es gibt also einen Vorhof der ausdrücklich religiösen Spiritualität, es ist die Aufmerksamkeit im alltäglichen Leben. Bin ich fähig, wahrzunehmen und zu empfinden. Wie lese ich die Schmerzen der Menschen und wie lasse ich mich von ihnen berühren? Wie gehe ich mit den Dingen des alltäglichen Lebens um? Bin ich fähig, sie als Gaben zu ehren oder bin ich ausschließlich Benutzer und Verfüger der Welt? Ehre ich das Wasser, die Stille, die Nacht, die Tiere, die Luft zum Atmen, oder wähne ich alles für mich und meinen Nutzen? Spiritualität ist gebildete Aufmerksamkeit.

Fulbert Steffensky (*1933)

Barlachs Schwebender Engel

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Ernst Barlach schuf im Jahr 1927 die bronzene Skulptur, die als „Schwebender Engel“, „Güstrower Ehrenmal“ oder „Der Schwebende“ bekannt geworden ist. Das Gesicht soll ein Porträt von Käthe Kollwitz sein. Die Originalplastik wurde 1937 aus dem Güstrower Dom entfernt und später eingeschmolzen, weil sie als so genannte „entartete Kunst“ galt. Heute existieren noch drei Nachgüsse.

Das Foto zeigt den Engel von Barlach in der Kölner Antoniterkirche. Darunter sind in der Platte die Daten des ersten Weltkrieges und die Zeit des sogenannten „Dritten Reiches“ zu sehen, so dass der Schwebende hier zu einem Friedensengel wurde. Im Hintergrund ist in der Nische mit dem Text „Vater vergib“ das Nagelkreuz von Coventry zu sehen, ein anderes Friedenssymbol.

Barlach selbst schrieb zu der Skulptur: „Für mich hat während des Krieges die Zeit stillgestanden. Sie war in nichts anderes Irdisches einfügbar. Sie schwebte. Von diesem Gefühl wollte ich in dieser im Leeren schwebenden Schicksalsgestalt etwas wiedergeben.“