Sich mit dem Mittelpunkt in eins setzen

Fotographik (c) wak

In taoistischer Schau ist die Göttliche Kunst vor allem eine Kunst der Wandlungen: Die ganze Natur verwandelt sich ständig und bleibt doch in einen einzigen Kreislauf gebannt; ihre Gegen­sätze kreisen um eine Mitte, die selbst nicht fassbar ist. Wer aber die Bewegung des Kreises verstanden hat, der erkennt die Mitte, die sein ewiges Wesen ist. Das Ziel der Kunst ist es, sich in diese kosmische Bewegung einzugliedern. Auf die einfachste Formel gebracht, besteht die künstlerische Meisterschaft darin, in einem Zug einen vollkommenen Kreis hinzumalen und dadurch sich selbst mit dem Mittelpunkt, der unausgesprochen bleibt, in eins zu setzen.

Titus Burckhardt (1908 – 1984): Sakralkunst als Spiegel eines zeitlosen geistigen Gehalts

Der vollständige Beitrag kann hier gelesen werden: https://chalice-verlag.de/sakrale-kunst-in-den-weltreligionen/

Wenn der Geist alles durchströmt…

Foto: (c) wak

Wenn der Geist
alles durchdringt und durchströmt,
und nichts ihm unerreichbar bleibt;
wenn er hinaufdringt zum Himmel
und unten die Erde umschlingt;
wenn er alle Wesen wandelt und nährt
und ohne Gleichnis noch Bildnis ist:
das heißt eins sein mit Gott.

Dschuang Dsi, Das wahre Buch vom südlichen Blütenland, Jena 1912

Das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheiden

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Die Menschen schauen nicht auf ihre Wahre Natur, die immer Eins ist, und deswegen glauben sie, besser zu sein als ihre Mitmenschen, und sind daher ständig eifersüchtig auf alle anderen. Die Menschen lesen wenig Wertvolles, zerstreuen sich, meditieren weder regelmäßig, noch gehen sie die Neun Stufen des Weges. Daher können sie auch nicht das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheiden.

Padmasambhava (8./9. Jahrhundert)

Aus seinem Herzen fließt das Erbarmen

Milarepa / Foto: (c) wak

Für den Weisen ist jenseits aller Gegensätze alles eins mit dem Absoluten. Wer das verwirklicht hat, der hat nicht mehr unterscheidendes Bewusstsein, sondern höchste Erkenntnis, in der er nicht mehr die Kreaturen schaut, sondern nur noch den Buddha, der in jedem Wesen ist; er schaut nicht mehr die Dinge, sondern nur noch die höchste Wahrheit. Aus seinem Herzen fließt das Große Erbarmen.

Milarepa (1052-1135)

Da Du uns schenkest die Gaben des Lichts

Foto: (c) wak

O heilsamer Weg,
der kraftvoll sich Bahn bricht!
Alles durchdringst Du:
die Höhen, die Tiefen, den Abgrund-
Du fügest und bindest alles in eins!

Durch Dich wogen die Wolken, wehen auf die Lüfte –
die Steine träufeln vom Saft,
Quellen sprudeln hervor,
durch dich quillt aus Erden das erfrischende Grün.

Darum sei Lob Dir, Du Klang allen Lobens,
Du Freude des Lebens
voll Hoffnung und Kraft,
voll des Rühmens,
da Du uns schenkest die Gaben des Lichts!

Hildegard von Bingen (1098 – 1179)

Gott und Gottheit: unter­schieden durch Wirken und Nichtwirken.

Als ich noch im Grunde, im Boden, im Strom und Quell der Gottheit stand, da fragte mich niemand, wohin ich wollte oder was ich täte: da war niemand, der mich gefragt hätte. Als ich aber ausfloß, da sprachen alle Kreaturen: „Gott“! Fragte man mich: „Bruder Eckhart, wann gingt Ihr aus dem Hause“, dann bin ich drin gewesen. So also reden alle Kreaturen von „Gott“. Und war­um reden sie nicht von der Gottheit Alles das, was in der Gottheit ist, das ist Eins, und davon kann man nicht reden. Gott wirkt, die Gottheit wirkt nicht, sie hat auch nichts zu wirken, in ihr ist kein Werk; sie hat niemals nach einem Werke ausgelugt. Gott und Gottheit sind unter­schieden durch Wirken und Nichtwirken.

Meister Eckhart (1260 – 1328)

Eins mit der stillen und freien Weite der Welt

Gedenktür an der Erfurter Predigerkirche / Foto: (c) wak

Der ganz frei und ganz still Gewordene, der ganz offen Gewordene ist bereit, jeden Ruf und jedes Zeichen anzunehmen. Das kann man auch das Wesen des reinen Seinlassens nennen. Von dem ganz still Gewordenen kann man sagen, er läßt alles sein, wie es ist und was es ist. Dadurch kann er mit allem auf eine neue und ganz verwandelte Art verbunden sein. Alles darf für ihn und vor ihm frei sich entfalten, ohne daß er ihm noch dreinreden wollte. Die Weite der Welt ist ihrer eigenen Ursprünglichkeit freigegeben. Wo ich solchermaßen still und offen bin und alles sein lasse, berühre ich auch alles und gönne ich alles allem. Ich bin in meiner Stille und freien Weite eins mit der stillen und freien Weite der Welt.

Bernhard Welte (1906 – 1983) in Meister Eckhart. Gedanken zu seinen Gedanken. Mit einem Vorwort von Alois M. Haas. Freiburg /Br. Durchgesehene Neuausgabe 1992, S. 37

Lass nicht ab an deiner eigenen Statue zu wirken

Buddhaskizze von Antony Gormley / Foto: (c) wak

Kehre ein zu dir selbst und sieh dich an. Und wenn du siehst, dass du noch nicht schön bist, so mache es wie der Bildhauer, der von einer Statue, die schön werden soll, hier etwas fortmeißelt, dort etwas glättet und da etwas reinigt, bis er der Statue ein schönes Gesicht gegeben hat. So mach’ du es auch: Nimm weg, was unnütz, richte gerade, was krumm ist, reinige, was dunkel ist und mache es hell. Lass nicht ab, an deiner eigenen Statue zu wirken, bis dir der göttliche Glanz der Tugend aufleuchtet und du sie auf ihrem heiligen Sockel stehend erblickst. Und wenn du soweit gekommen bist, dann hemmt dich nichts mehr, dann bist du ganz du selbst und ganz und gar reines, wahres Licht. Du bist eins mit dem Schauen, gewinnst Zutrauen zu dir, bist so hoch gestiegen, dass du keine Weisung mehr brauchst.

Plotin (204 – 270) in den „Enneaden“

… dass ich und Gott eines sind

Meister Eckhart. Predigten und Schriften. Ausgewählt und eingeleitet von Friedrich Heer

Ein großer Meister sagt: Sein Durchbrechen sei edler denn sein Entquellen. Das ist wahr. Als ich aus Gott floß, da sprachen alle Dinge: Gott ist. Und dies kann mich nicht selig machen; denn hierbei erkenne ich mich nur als Kreatur. Aber in dem Durchbrechen, da ich ledig stehe meines eigenen Willens, ledig sogar des Willens Gottes und aller seiner Werke, ja Gottes selber, da bin ich über allen Kreaturen und bin weder Gott noch Kreatur, sondern bin, was ich war und was ich bleiben werde nun und immerdar. Da bricht etwas in mich hinein, das mich bringen soll über alle Engel. In diesem Hineinbrechen empfange ich so großen Reichtum, dass Gott mir nicht genug sein kann mit allem, was er als Gott ist, und mit allen seinen göttlichen Werken; denn ich empfange in diesem Durchbrechen, dass ich und Gott eines sind. Da bin ich, was ich war, da nehme ich weder ab noch zu, denn ich bin da eine unbewegliche Ursuche, die alle Dinge bewegt. Allhier findet Gott keine „Stätte“ mehr im Menschen, denn der Mensch erringt mit dieser Armut, was er ewiglich gewesen ist und immer bleiben wird. Allhier ist Gott mit dem Geiste eins, und das ist die innerlichste Armut, die man finden kann.

Meister Eckhart (1260-1328) in seiner Predigt: „Warum wir sogar Gottes ledig werden“. Predigt über Matthäus 5,3 (Beati pauperes spiritu, quia ipsorum est regnum coelorum“ In: Meister Eckhart. Predigten und Schriften. Ausgewählt und eingeleitet von Friedrich Heer. Frankfurt/M. 1956, S. 191 ff.

Dein Ursprung ist in Dir selbst

Ramana Maharshi / Archiv

Es genügt, dass man sich ausliefert.
Sich auszuliefern heißt,
dass man sich dem Grund
des eigenen Seins übergibt.

Lass Dich nicht von dem Wahn blenden,
dieser Grund sei irgendein äußerer Gott.
Dein Ursprung ist in Dir selbst.

Ergib Dich ihm.
Das bedeutet,
dass Du den Ursprung suchen
und mit ihm eins werden musst.

Ramana Maharshi (1879 – 1950)