Kontemplation: Revolutionäre Angelegenheit

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Kontemplation ist die einzige und letzte Antwort auf die unwirkliche und verrückte Welt, die unsere Finanzsysteme und unsere Werbekultur und unsere chaotischen und ungeprüften Emotionen uns zu bewohnen ermutigen. Kontemplative Praxis zu lernen, bedeutet zu lernen, was wir brauchen, um wahrhaftig und ehrlich und liebevoll zu leben. Das ist eine zutiefst revolutionäre Angelegenheit.

Rowan Williams (* 1950) / Von 2002 bis 2012 war er Erzbischof von Canterbury

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Selbst Wirklichkeit sein

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Auf jeden Fall
wollen wir nicht vergessen,
dass Zen immer danach strebt,
uns die Wirklichkeit
unmittelbar erkennen zu lassen.
Das bedeutet,
die Wirklichkeit selbst zu sein,
so daß wir
mit Meister Eckhart sagen können:
„Christus wird jede Minute
in meiner Seele geboren“ oder
„Gottes Istheit ist meine Istheit“.
Wir wollen dies
in unserem Bewusstsein behalten,
wenn wir uns bemühen,
Zen zu verstehen…

Einführung von Daisetsu Teitaro Suzuki (1870 – 1966) zu dem Buch seines Freundes Shibayama Zenkei (1894-1974), A Flower Does not Talk. / Zen in Gleichnis und Bild, München 1974. Suzuki schrieb dies einen Tag vor seinem Tod.

Die Wahrheit dieser Welt

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Der Buddha realisierte Dhamma, und zwar den Dhamma, der ständig in der Welt vorhanden ist. Man kann ihn mit Grundwasser vergleichen, was permanent im Boden vorrätig ist. Wenn jemand einen Brunnen auszuheben wünscht, dann muss tief gegraben werden, um den Grundwasserspiegel zu erreichen. Das Grundwasser ist bereits vorhanden, man braucht es nicht zu erschaffen, sondern einfach nur zu entdecken. Auf ähnliche Weise hatte der Buddha den Dhamma nicht erfunden oder gar verfügt, sondern er offenbarte lediglich, was bereits vorhanden war. Der Buddha schaute Dhamma in innerer Betrachtung. Deshalb sagt man vom Buddha, dass er erleuchtet war, denn Erleuchtung bedeutet, Dhamma zu erkennen. Dhamma ist die Wahrheit dieser Welt. Seit Siddhattha Gotama dies erkannt hatte, wurde er als der „Buddha“ bezeichnet; und Dhamma ist das, dessen Erkenntnis es anderen Menschen möglich macht, ein Buddha zu werden.

Ajahn Chah (1918 – 1992)

Anmerkung: Dhamma im Pali oder Dharma im Sanskrit umfasst die Gesamtheit der religiösen und ethischen Pflichten und zeigt damit den Weg, auf dem man zum transzendentalen Bewusstsein, zum reinen geistigen Selbst-Sein kommt.

Thomas Merton und Thich Nhat Hanh: Brüder und Dichter

Foto: Archiv

… Ich habe gesagt, dass Nhat Hanh mein Bruder ist, und das stimmt auch. Wir sind beide Mönche, und wir leben seit etwa der gleichen Anzahl von Jahren im klösterlichen Leben. Wir sind beide Dichter, beide Existentialisten. Ich habe mit Nhat Hanh weit mehr gemeinsam als mit vielen Amerikanern, und ich zögere nicht, das zu sagen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass solche Gemeinsamkeiten anerkannt werden. Es sind die Bande einer neuen Solidarität und einer neuen Brüderlichkeit, die sich auf allen fünf Kontinenten abzuzeichnen beginnen und die alle politischen, religiösen und kulturellen Grenzen überschreiten, um junge Männer und Frauen in jedem Land in etwas zu vereinen, das konkreter ist als ein Ideal und lebendiger als ein Programm. Diese Einheit der Jugend ist die einzige Hoffnung für die Welt. In ihrem Namen appelliere ich für Nhat Hanh. Tun Sie, was Sie können, für ihn. Wenn ich Ihnen etwas bedeute, dann lassen Sie es mich so sagen: Tun Sie für Nhat Hanh das, was Sie für mich tun würden, wenn ich in seiner Lage wäre. In vielerlei Hinsicht wünschte ich, ich wäre es.

Zuerst veröffentlicht im Magazin „Jubilee“ 1966, später in Mertons Buch „Faith and Violence“ 1968

Gefunden habe ich Thomas Mertons Anmerkungen hier:  https://plumvillage.org/thomas-mertons-words-on-thich-nhat-hanh/

Mehr zu den Verbindungen von Merton und Thich Nhat Hanh hier: http://fatherlouie.blogspot.com/2007/02/thich-nhat-hanh-connection.html

Warte bis du in dich selber blickst

Rumi / Bild: Archiv

Warte, bis du in dich selber blickst –
Erkenne, was dort wächst.
O Suchender.
Ein Blatt in diesem Garten
Bedeutet mehr als alle Blätter,
Die im Paradies du findest!

Dschalal ad-Din Muhammad Rumi (1207 – 1273)

Einfache tiefe Sehnsucht nach Gott

Willst du also beten, vergiss alles, was du getan hast oder vorhast zu tun. Weise alle Gedanken ab, gleich ob gute oder böse. Gebrauche beim Beten keine Worte, es sei denn, du fühlst dich innerlich dazu gedrängt. Betest du aber doch mit Worten, so kümmere dich nicht darum, ob es viele oder wenige sind. Beachte sie nicht, denke nicht daran, was sie bedeuten. Mache dir auch keine Gedanken um die Art des Gebetes. Es ist völlig gleich, ob es offizielle liturgische Gebete sind wie Psalmen, Hymnen, Wechselgesänge oder Fürbitten, und auch, ob du nur in Gedanken betest oder vernehmlich.
Nur eines habe im Sinn: in deinem Herzen eine einfache, tiefe Sehnsucht nach Gott zu hegen. Denke nicht darüber nach, wer oder was er ist oder wie er sich in seinen Werken offenbart. Ruhe in dem einfachen Bewusstsein, dass er „ist”. Ich bitte dich, laß ihn so, wie er ist. Versuche nicht, ihn genauer zu erfassen und tiefer einzudringen, sondern bleibe in schlichtem Vertrauen verwurzelt in Gottes Sein wie in festem Grund.
Diese von allen Gedanken freie Aufmerksamkeit, die im Vertrauen wurzelt und gründet, wird dich von allem Denken und Wahrnehmen frei machen und dir nur das reine Bewusstsein und das dunkle Innesein deines eigenen Daseins lassen. Dein ganzes Empfinden aber ist erfüllt mit lauterer Sehnsucht nach Gott, die spricht:

„Mein Sein bringe ich dir, Herr,
ohne nach einer deiner Eigenschaften zu fragen.
Ich schaue nur darauf: Du bist.
Nur das habe ich im Sinn, sonst nichts.

Erleuchtung ist eine Erhellung der Wirklichkeit

Erwählte des lebendigen Vaters / Thomas-Evangelium

 

Zur Wirklichkeit zu erwachen bedeutet, dass Form und Leerheit (Gott und Welt) zwei Aspekte der einen Wirklichkeit sind. Die Realisation dieser Wirklichkeit besagt, dass am Ursprung Bewusstsein steht, auch wenn der Mensch durch seine Körperidentifikation egobedingt ein grobstoffliches Universum wahrnimmt. Ein berühmtes Beispiel hierfür ist die Schlange, die man in einem Stück Seil im Dunkeln wahrzunehmen glaubt. Angst und Entsetzen werden ausgelöst durch etwas, was nicht existiert. Wird das Stück Tau als solches erkannt, verschwinden Angst und Entsetzen. Erleuchtung ist nichts anderes als eine Erhellung der Wirklichkeit. Wer erkennt, dass es keinen Unterschied zwischen Form und Leerheit, zwischen Samsara und Sunyata (Brahman), zwischen dieser Form und der Nichtform, gibt, ist auferstanden.

Die Wirklichkeit spricht sich in allem aus, was Form hat. Immer ist der Mensch Sohn und Tochter Gottes, wie das Thomasevangelium sagt: „Wenn man euch fragt: ‚Wer seid ihr?‘, sagt: ‚Wir sind seine Söhne und Töchter und wir sind die Erwählten des lebendigen Vaters'“ (Thomasevangelium, 50). – Auch wenn es der Verstand nicht begreift: Wiedererstehen wird immer nur die Erste Wirklichkeit, die wir hier und jetzt leben.

Willigis Jäger (1925 – 2020)

Die Wahrheit brennt in uns wie ein Licht

Foto: Marlies Schwochow +

 

Zen zu praktizieren bedeutet, das Licht in uns zum Leuchten zu bringen … Wir suchen im Zen nicht die Wahrheit, die uns irgendjemand irgendwo gegeben hat – wir begreifen und verstehen stattdessen: dass die Wahrheit, nach der wir suchen, schon längst in uns brennt wie ein Licht und nur bewusst ‚wahr‘-genommen zu werden braucht. Wir müssen sie nur entdecken.

Hans-Peter Hempel (* 1934)

Leben bedeutet jede Minute geboren zu werden

Foto: ©  wak

Die Geburt ist nicht ein augenblickliches Ereignis, sondern ein dauernder Vorgang. Das Ziel des Lebens ist es, ganz geboren zu werden, und seine Tragödie, dass die meisten von uns sterben, bevor sie ganz geboren sind.
Zu leben bedeutet, jede Minute geboren zu werden. Der Tod tritt ein, wenn die Geburt aufhört.

Erich Fromm (1900 – 1980)

Eins mit Gott sein: Franz Jalics (1927 – 2021)

Foto: © wak

 

Wenn ich hellwach bewusst bin, aber mein Bewusstsein leer ist, bin ich in meiner Mitte. Dort sind wir nur Geist und befinden uns am nächsten zu Gott, der reiner Geist ist. Es ist ein einfaches Bewusst-Sein, ein bewusstes Da-Sein. Dort ist der Mensch im höchsten Grad Ebenbild Gottes. Dort kann er eine Ahnung davon bekommen, was es bedeutet, eins mit Gott zu sein. Verweilt der Mensch dabei, ist er in reiner Anbetung. Es ist die Anbetung im Geist.

Franz Jalics (1927 – 2021) In: Der kontemplative Weg

Mehr zu Franz Jalics hier: https://web.archive.org/web/20171201041208/https://www.jesuiten.org/aktuelles/details/article/pater-franz-jalics-sj-wird-90-jahre-alt.html