Beginn des Thomas-Evangeliums / Wikimedia, gemeinfrei
Ich bin das Licht, das über ihnen allen ist. Ich bin das All, das All ist aus mir hervorgegangen, und das All ist bis zu mir ausgedehnt. Spaltet ein Holz, ich bin da. Hebt den Stein auf, und ihr werdet mich dort finden.
Die Leerheit des Selbst bedeutet nur die Leerheit von Selbst, nicht das Nicht-Sein von Selbst. Genauso ist es bei einem Ballon, der innen leer ist, nicht so, dass er deswegen nicht existieren würde. Dasselbe gilt für die Leerheit der Dharmas: Leerheit bezieht sich nur auf die Leerheit aller Phänomene und nicht auf die Nicht-Existenz aller Phänomene. Es ist wie bei einer Blume, die nur aus Nicht-Blumen-Elementen besteht. Die Blume ist leer von einer abgetrennten Existenz, aber das bedeutet nicht, dass sie nicht da wäre.
Thich Nhat Hanh (1926 – 2020) in einer Erläuterung zu seiner Neu-Übersetzung des Herz-Sutras
Als Scheich Abu Saìd (967 – 1049. Anm. wak), einer der berühmtesten Sufis des elften Jahrhunderts, einmal nach Tus kam, strömten in Erwartung seiner Predigt so viele Gläubige ins Derwischkloster, dass kein Platz mehr blieb. „Gott möge es vergeben“, rief der Platzanweiser: „Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen.“ Da beendete der Scheich die Versammlung, bevor sie begonnen hatte. „Alles, was ich sagen wollte und sämtliche Propheten gesagt haben, hat der Platzanweiser bereits gesagt“, gab er zur Erklärung, bevor er sich umwandte und das Derwischkloster verließ.
Navid Kermani (*1967) in seinem Roman „Dein Name“, Seite 902
Die Zeit ist da, und nicht verborgen Soll das Mysterium mehr sein. In diesem Buche bricht der Morgen Gewaltig in die Zeit hinein.
Verkündiger der Morgenröte, Des Friedens Bote sollst du sein. Sanft wie die Luft in Harf und Flöte Hauch ich dir meinen Atem ein.
Gott sei mit dir, geh hin und wasche Die Augen dir mit Morgentau. Sei treu dem Buch und meiner Asche, Und bade dich im ewigen Blau.
Du wirst das letzte Reich verkünden, Was tausend Jahre soll bestehn; Wirst überschwenglich Wesen finden, Und Jakob Böhmen wiedersehn.
Friedrich von Hardenberg / Novalis (1772 – 1801)
In seinem „An Tieck“ gerichteten Gedicht aus dem Jahre 1800 zeigt Novalis, welche Bedeutung die Begegnung mit dem Werk Jacob Böhmes (1575 – 1624) für ihn hatte. Die letzten Verse verherrlichen gleichsam Böhmes „Morgenröte im Aufgang“.
Jesus sprach: Ich bin das Licht, das über ihnen allen ist. Ich bin da All, das All ist aus mir hervorgegangen, und das All ist bis zu mir ausgedehnt. Spaltet ein Holz, ich bin da. Hebt den Stein auf, und ihr werdet mich dort finden.
„Wenn Übel die unbelebten und belebten Universen füllen, dann verwandle widrige Umstände in den Bodhipfad“
Atisha (um 980 – 1054)
Lass all deine Vorstellungen weg, und selbst wenn dann alles ganz übel ist, widerstehe dem nicht, sondern wende auch da die Praxis (Tonglen) an, indem zu offen bist, ehrlich bist, nicht wissend, neugierig bist, die Phänomene als flüchtig betrachtest, als Blumen am Himmel – und einatmest und ausatmest. Hinterher können wir schauen, ob es etwas zu tun gibt. Das kann durchaus der Fall sein… Aber erst still sein, erst zur Natur des ungeborenen Gewahrseins zurückkommen, erst bereit sein, den Schmerz wirklich zu fühlen, ihn reinlassen und alles, was an Schönem da ist, loslassen, herschenken. Dann haben wir eine gute Position, eine gute Ausgangslage, um wirklich klar zu sehen.
Pyar Troll / Rauch (*1960) in: Bodhichitta – Das erwachte Herz. Das Sieben-Punkte-Geistestraining für Weisheit und Mitgefühl. 2005, o.O., S.88
Wir werden ein heilig Priesterlich Leben führen, und alle von Gottes Weisheit und ewigen Wundern reden: denn die göttliche Magia hat Wunder ohne Zahl: je mehr gesuchet wird, je mehr ist da, und das ist die Vermehrung des Willens Gottes.
Jakob Böhme (1575 – 1624) in: 40 Fragen von der Seelen, 40. Frage, 4–10
Der ganze Beitrag „Vom Ende der Welt und dem ewigen Leben“ mit Gedanken von Jakob Böhme kann hier nachgelesen werden:
MAGISCHE BLÄTTER BUCH VIII CII. JAHRGANG WINTER 2021/2022
Die Schale muß zerbrechen, und das, was darin ist, muß herauskommen; denn, willst du den Kern haben, so mußt du die Schale zerbrechen. Und demnach: Willst du die Natur unverhüllt finden, so müssen die Gleichnisse alle zerbrechen, und je weiter man eindringt, umso näher ist man dem Sein. Wenn die Seele das Eine findet, in dem alles eins ist, da verharrt sie in diesem Einen.
Meister Eckhart (1260 – 1328) in seiner Predigt 24: Haec dicit dominus: honora patre tuum etc. (Ex. 20,12)
Peter Paul Rubens stellte Teresa von Avila so dar / Quelle: wikimedia
Such mich nicht in weiter Ferne, Da ich dir doch allzeit nahe! Mir genügt dein Sehnsuchtsruf, Und schon hast du mich gefunden. Such mich nirgends als in dir!
Wenn man das Gebet kennenlernen will …, so könnte man sagen: Während der Mystiker voraussetzt, dass er in seiner Seele irgendein kleines Fünkchen finden werde, das dann weiter leuchten und weiter brennen kann durch seine mystische Versenkung, so will der Betende gerade jenes Fünkchen, jenes selbsteigene Seelenleben erst erzeugen. Und das Gebet, aus welchen Voraussetzungen heraus es auch auftrete, erweist sich dadurch gerade in seiner Wirksamkeit, dass es die Seele anregt, jenes Fünkchen des Mystikers allmählich entweder aufzufinden, wenn es da ist und, verborgen zwar, in der Seele leuchtet, oder aber es selbst zum Aufleuchten zu bringen.
Rudolf Steiner (1861 – 1925) in: Das Wesen des Gebetes. Vortrag in Berlin, 17. Februar 1910