Gnadenhaft plötzlicher Durchbruch

Gedenktafel in Köln / Foto: (c) wak

Gleichzeitig mit dieser Begründung der mystischen Erfahrung Gottes in der Offenheit des menschlichen Intellekts gewinnt Weltes Eckhartdeutung eine Öffnung der Perspektive auf die Erfahrung des Absoluten in östlichen Religionen und Weltanschauungen. Seine Bezugnahmen auf den Zen-Buddhismus erfolgen zu Recht und mit tiefem Gespür für dessen Auffassung einer gnadenhaft plötzlichen Durchbruchsmöglichkeit aus dem Bereich des Kontingenten hinein ins „fruchtbare Nichts“ (englische Mystik) des alles bedingenden Absoluten.

Alois Haas in seinem Vorwort zur Neuausgabe von Bernhard Welte: Meister Eckhart. Gedanken zu seinen Gedanken. Freiburg / Basel / Wien 1992, S. 3 – 4

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Entdeckung der inneren Welt

Foto (c) wak

 

In seinem Grund … findet der Mensch den inneren Meister als das ‚Ziehen‘ und ‚Sich-Wenden` zu Gott, als Heiligen Geist (den Tauler viel ausdrücklicher nennt als Eckhart und Seuse). Dieser überformt den Menschen und vergottet ihn, zurück in den Ursprung, wo der Mensch von Ewigkeit „Gott in Gott” war.

Was dabei als ,Lauterkeit`, Bildlosigkeit‘, ,Weiselosigkeit‘ usw. beschrieben wird, weist übrigens in die Nähe jener ,Leerheit‘, wie sie im Mahayana-Buddhismus, auf dessen Hintergrund sich auch die Zen-Erfahrung ausspricht, als Kennzeichnung des Absoluten verstanden wird, d.h. ,bar jeder Bestimmung‘. Die von Tauler aufgezeigte eigentümliche Rolle der Verwirklichung des eigenen Nichts — im Nichts Gottes — kann hier ebenfalls nicht näher mit der entsprechenden Zen-Erfahrung verglichen werden. Sie ist für Tauler allerdings das wichtigste Moment auf dem Wege der Entdeckung der inneren Welt!

In diesem Vorgang der Vernichtung kommt der schmerzlichen Selbsterkenntnis sowie der Angst — dem ,Gejagtwerden‘, wie es Tauler wiederholt beschreibt — eine wesentliche Aufgabe zu, um den mystischen Durchbruch als Gottesgeburt im Menschen letztendlich zu ermöglichen. Dabei darf die Liebe als entscheidender Faktor nicht übersehen werden!

Emmanuel Jungclaussen (1927 -2018) in: Der Meister in dir. Die Entdeckung der inneren Welt nach Johannes Tauler. Freiburg / Br. 1975

Unseres Daseins bewusst werden

Wir sollten unser Denken dazu benutzen, uns des Undenkbaren bewusst zu werden und uns immer neuen Erfahrungen zu öffnen, so dass wir uns des rätselhaften Charakters der Welt und unseres Daseins bewusst werden. Dann wird alles für uns Bedeutung gewinnen, denn wir werden jedes Ding betrachten, als ob wir es nie zuvor gesehen hätten, und zwar unter jeglichen Verzicht auf alle vorangegangenen Bewusstseinsassoziationen, die wir gewöhnlich mit dem Ausdruck „Wissen“ bezeichnen.

Lama Anagarika Govinda – Schöpferische Meditation und Multidimensionales Bewusstsein, 185 – 189, Aurum-Verlag, Breisgau, 1977

 

Der vollständige Artikel ist hier nachzulesen:

MAGISCHE BLÄTTER
CI. JAHRGANG HERBST 2020
3. Quartalsausgabe August, September, Oktober, gebunden
ISBN.Nr. 978 -3-948594-03-9

HEFT 7 | August 2020 | TITELTHEMA: KUNST

https://verlagmagischeblaetter.eu/monatsschrift/magische-blaetter

Zen und / oder Mystik?

Wenn von Zen oder von Mystik die Rede ist, wird oft nicht deutlich, wie sehr beide mit unserer konkreten Lebenspraxis zu tun haben können. Und dass es bei Zen oder Mystik nicht um falsche und sich widerstreitende Alternativen geht.

Doch was ist Zen eigentlich? „Zen lehrt, dass die Buddha-Natur, oder die Möglichkeit, Erleuchtung zu erreichen, in jedem innewohnt, aber aus Unwissenheit brachliegt…“. Erreicht wird die Erleuchtung „mit einem plötzlichen Durchbruch der Grenzen des gewöhnlichen, alltäglichen, logischen Denkens“, beschreibt die „New Encyclopaedia Britannica“ den Sinn des Zen.

Und was ist dann Mystik? „Durch die mystischen Berührungen wird der Mensch aus seinem verteilten, gewöhnlich-tag-täglichen Bewusstsein herausgeholt. Er wird ,eingekehrt‘ und spürt nun, dass in seinem ,Herzen‘ etwas geschieht,“ schreibt Paul Mommaers in seinem Buch „Was ist Mystik?“. Um einem Missverständnis vorzubeugen. Mystik und Zen sind selbstverständlich nicht identisch. Sie sind jedoch auch keine feindlichen Geschwister, weil es beiden, Zen wie Mystik, um die Rückbindung des Menschen an seine eigene göttliche Dimension geht.

Wenn ich Dienstags zu meiner Meditationsgruppe von Bruder Siegfried gekommen bin, sah ich immer wieder wie wenig sich der Goldkern spiritueller Weisheit von institutionalisiert religiösen, konfessionellen oder ideologischen Grenzen irritieren lässt. In gegenseitiger Achtung gingen und gehen diese Menschen miteinander um, die sich wöchentlich treffen. Zunächst reden sie über einen Text. Doch dann meditieren sie in der Stille miteinander. Den Menschen dort geht es gemeinsam darum, loszulassen. Das Aufgeben der Anhänglichkeit an Dinge, Geschöpfe oder Gewohnheiten beispielsweise. Und sie wollen gemeinsam etwas für sich entdecken. Den Blick der Einfachheit. Den Einklang mit Gott. Den Grund der eigenen Existenz und des eigenen Nichts – mit all seinen Facetten. Das Erkennen des eigenen Selbst, das Schweigen. Damit Gott die Chance hat, sprechen zu können. Zu ihnen, zu mir.

Zen, hilft ihnen/mir dabei. Und die Rückbindung an eine jahrhundertealte Mystik, wie sie von Meister Eckhart oder seinem Schüler Johannes Tauler überliefert und heute noch in ihren Kernaussagen bedeutsam ist. „Wir suchen auf verborgene Weise das Eine, das weit über Vernunft und Erkenntnis steht“, hatte bereits im fünften Jahrhundert der spätantike Philosoph Proklus geschrieben. Worte, die ebenfalls an Aktualität nichts verloren haben. Und die jenseits imaginärer Grenzen von Zen und Mystik stehen.

Werner Anahata Krebber

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Seit kurzer Zeit ist der Text auch in niederländischer Sprache online: http://archive.org/details/DeWegNaarHetZelfGaan