Sanftmut und Liebe zur Welt

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Der Mystiker liebt diese Welt, liebt den Nächsten, tut alles für ihn, aber schon nicht mehr um Lohn, nicht um Dankbarkeitserweise zu erhalten. Er tut es umsonst, er weiß nicht einmal, daß er es tut. Es freut ihn, wenn der andere sich freut, daß er für ihn da ist, ohne es zu wissen. Es bedeutet eine Sanftmut, eine Liebe zur Welt, zu den Menschen, und nicht nur zum „Nächsten“, wie man sagt; jeder Mensch ist „der Nächste“, jedes Tier, jede Pflanze. Es ist die Sehnsucht nach anderen Welten, die Sehnsucht nach der großen Einheit von Diesseits und Jenseits, Erde und Himmel, wo alle Generationen in einem da sind, alle deine Wünsche, deine Gedanken, deine Hoffnungen erfüllt sind. Wenn du dich danach sehnst, kann der Weg beginnen.

Friedrich Weinreb (1910 – 1988)

Sich von allen Gedanken leer machen

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Wenn einer seinen Geist
im Ruhestand sehen will,
muß er sich von allen
Gedanken leer machen
und dann wird er jenen schauen,
der gleich einem Saphir ist
oder wie die Himmelsfarbe.

Der heilige Nilus. Zitiert in: Das Herzensgebet. Mystik und Yoga der Ostkirche, München-Planegg 1957

Wesensgrund der Seele

Jenseits aller Gedanken, Gefühle und Vorstellungen gibt es ein inneres Heiligtum, das wir nur selten betreten. Es ist der Wesensgrund der Seele, wo alle Anlagen und Fähigkeiten ihre Wurzeln haben und welches das wahre Zentrum unseres Seins ist.

Bede Griffiths (1906 – 1993)

Herz und Hirn lebendig werden lassen

Titelseite „Das Buch vom lebendigen Gott“

Wer Bô Yin Râs „Buch vom lebendigen Gott“ richtig erfassen will, der lese es, wie man etwas durchaus Neues liest, – lese es in Ruhe, mit äußerster Sorgfalt und Hingabe, bis der Sinn in Herz und Hirn lebendig wird und den eigenen Gedanken hilft, sich weiterzuspinnen, – lese es vor allem, ohne irgendwelche Maßstäbe bisherigen Wissens über Mystik, Okkultismus, Magie, Theosophie oder dergleichen Gebiete anzulegen: es würde nur das richtige Verständnis verschließen und aus dem „Buch vom lebendigen Gott“ ein Buch mit sieben Siegeln machen.

In: Das Vorwort zu Bô Yin Râs Buch vom lebendigen Gott von Gustav Meyrink

Das komplette Vorwort kann hier gelesen werden:

XVI. MAGISCHE BLÄTTER BUCH
CIV. Jahrgang – Winter 2023/2024

Das Lehrwerk und sein Vorhof (HEFT 47 | Dezember 2023)

EINZELBUCH, 427 Seiten, 20,00 € (zuzüglich Versandkosten) ISBN 978-3948-5941-4-5

Herausgeber: Verlag Magische Blätter – Ronnenberg | Schriftleitung: Organisation zur Umwandlung des Kinos

Bestellungen hier: kontakt@verlagmagischeblaetter.eu subject: BESTELLEN MAGISCHE BLÄTTER BUCH XVI

Bote des Gedankens

Johannes von Damaskus / Foto: wikimedia

Weiterhin unterscheidet sich der vernünftige Teil der Seele ins innerliche und ins ausgesprochene Wort. Das innerliche Wort ist eine Bewegung der Seele, die sich im überlegenden Teil ohne eine Aussprache vollzieht. Deshalb gehen wir oft auch stillschweigend eine ganze Rede in uns durch und unterhalten uns in den Träumen. Hauptsächlich mit Rücksicht darauf sind wir alle vernünftige Wesen. Denn auch die, die von Geburt aus stumm sind oder die infolge einer Krankheit oder eines Unfalls ihre Stimme verloren, sind nichtsdestoweniger vernünftige Wesen. Das ausgesprochene Wort aber macht sich in der Stimme und in den Dialekten (Mundarten) geltend, es ist also das Wort, das durch Zunge und Mund hervorgebracht wird. Darum heißt es auch hervorgebrachtes Wort. Es ist Bote des Gedankens. Mit Rücksicht darauf heißen wir auch redende Wesen.

Johannes von Damaskus (ca. 650 – vor 754)

Simone Weil zum „Vaterunser“

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Die unendliche Süße dieses griechischen Textes hat mich so sehr ergriffen, dass ich mich mehrere Tage lang nicht davon abhalten konnte, ihn immer wieder zu wiederholen. In der folgenden Woche begann ich mit der Weinlese. Ich rezitierte jeden Tag vor der Arbeit das Vaterunser auf Griechisch und wiederholte es sehr oft im Weinberg. Seitdem habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, es jeden Morgen einmal mit absoluter Aufmerksamkeit durchzusprechen. …

Manchmal kommt es vor, dass ich es aus purem Vergnügen noch einmal sage, aber ich mache es nur, wenn ich den Impuls wirklich verspüre. Die Wirkung dieser Übung ist außergewöhnlich und überrascht mich jedes Mal aufs Neue, denn obwohl ich sie jeden Tag erlebe, übertrifft sie bei jeder Wiederholung meine Erwartungen. Manchmal reißen die allerersten Worte meine Gedanken aus meinem Körper und transportieren sie an einen Ort außerhalb des Raums, wo es weder Perspektive noch Standpunkt gibt. Die Unendlichkeit der gewöhnlichen Wahrnehmungserweiterungen wird durch eine Unendlichkeit im zweiten oder manchmal dritten Grad ersetzt. Gleichzeitig herrscht Stille, die jeden Teil dieser Unendlichkeit der Unendlichkeit ausfüllt, eine Stille, die keine Abwesenheit von Klang ist, sondern Gegenstand einer positiven Empfindung ist, positiver als die des Klangs. Geräusche, wenn überhaupt welche, erreichen mich erst, nachdem ich diese Stille durchbrochen habe. Manchmal ist Christus auch während dieser Rezitation oder in anderen Momenten persönlich bei mir anwesend, aber seine Gegenwart ist unendlich realer, bewegender, klarer als bei dem ersten Mal, als er von mir Besitz ergriff.

Simone Weil (1909 – 1943) in einem Brief an Pater Perrin

Mehr zu ihr hier von Ronald Steckel: https://www.ardaudiothek.de/episode/das-innere-licht/schwerkraft-und-licht-4-6/rbbkultur/10433357/