Der Seher und das gesehene Objekt sind wie das Seil und die Schlange. Genauso wie das Wissen über das Seil sich nicht offenbart bevor nicht das falsche Wissen über die illusorische Schlange beseitigt wird, so wird auch das Selbst als Grundlage nicht verwirklicht, bevor nicht der Glaube verschwindet, dass die Welt wirklich ist.
Ich glaube an den Schrei des Sturms inmitten der Kanonade des Donners. Ich glaube an das Licht der leuchtenden Sterne, Ich glaube an die Sonne und den Mond; Ich glaube an den Blitz der Blitze Ich glaube an das Gezwitscher des Nachtvogels. Ich glaube an den Glauben der Blumen, ich glaube an den Felsen und die Erde, Denn in all dem erscheint deutlich Das Werk Gottes.
Welche Herrlichkeit! Ein Garten inmitten von Flammen! Mein Herz hat sich für jegliche Form geöffnet: Es ist eine Weide für Gazellen, und ein Kloster für christliche Mönche, und ein Tempel für Götzenbilder, und die Kaaba der Pilgernden, und die Tafeln der Thora, und das Buch des Korans. Ich folge der Religion der Liebe: Welchen Weg auch immer die Reittiere der Liebe einschlagen, das ist meine Religion und mein Glaube.
Zeiten-Ende. „Heinrich von Ofterdingen“ (Novalis). Zum wievielten Mal lese ich das Buch jetzt, und jedesmal finde ich Neues, das mich angeht, mich und meine Zeit.
Eben finde ich in einem sonderbaren Buch, das mir ein unbekannter Leser einmal zugeschickt hat, eine Stelle, die dazu paßt:
„Nicht vor dem Untergang des Abendlandes ist die Menschheit angelangt, wie manche wähnen, sondern sein späterer höchster Aufstieg erfordert die Opfer, die der wahre Mensch des Abendlandes heute zu beklagen hat . . . Hier ist Geduld und Glaube der Heiligen vonnöten.“
Wer das schreibt, der nennt sich Bô Yin Râ, aber er ist ein Deutscher, Joseph Anton Schneiderfranken. Das Buch ist 1922 in Basel erschienen.
Zeiten-Ende. Tagebuchzitat von Luise Rinser (1911 – 2002). Das vollständige Zitat ist zu lesen in der aktuellen-Sommer-Ausgabe der „Magischen Blätter“.
MAGISCHE BLÄTTER, BUCH X CIII. Jahrgang, Mai 2022, Heft 5 / Thema: VON JACOB BÖHME ÜBER DIE ROMANTIK ZUM BÖHME-BUND
Welche Herrlichkeit! Ein Garten inmitten der Flammen! Mein Herz hat sich für jegliche Form geöffnet: Es ist eine Weide für Gazellen, und ein Kloster für christliche Mönche, und ein Tempel für Götzenbilder, und die Kaaba der Pilgernden, und die Tafeln der Tora, und das Buch des Korans.
Ich folge der Religion der Liebe: Welchen Weg die Kamele der Liebe auch einschlagen, das ist meine Religion und mein Glaube.
Mystische Vollendung geschieht von Zeit zu Zeit in unserer menschlichen Erfahrung, und wenn es dazu kommt, bezeugt sie jene zwei tiefgründigen Einsichten im Herzen des christlichen Glaubens, nämlich dass die Liebe stärker ist als der Tod und dass sie die fundamentale Schöpfungskraft im Universum ist. Diese Bausteine stammen mehrheitlich aus der christlichen „inneren“ Tradition: aus dem Vierten Weg nach G. I. Gurdjieff und aus der Linie der christlichen Hermetik, die sich von Jakob Böhme im siebzehnten Jahrhundert über Valentin Tomberg bis in unsere Tage erstreckt.
Cynthia Bourgeault (* 1947): Mystische Seelenvollendung: Im Tod tritt hervor, wer wir wirklich sind.
Der vollständige Text von Cynthia Bourgeault ist hier zu lesen:
MAGISCHE BLÄTTER, BUCH IX CIII. Jahrgang, März 2022, Heft 3 / Thema: Theosophie
Es gibt Zeiten, in denen es für diejenigen, die nicht durch Form, Glauben oder Ideologie eingeschränkt sind, unbedingt notwendig wird, am Leben mitzuwirken, um neue Bilder, neue Weisen des Daseins zu schaffen. Dann wird der Mystiker so etwas wie eine Hebamme für die Imagination, der Bildern ins Leben verhilft, die heilen und etwas zurückbringen können. Das ist jetzt der Fall. Die Welt braucht die Bilder ihrer Zukunft oder sie stirbt.
Llewellyn Vaughan-Lee (*1953) in: Alchemie des Lichts. Die Arbeit mit den Urenergien des Lebens, The Golden Sufi Center, 2008, S. 81-82
„Der Schwebende“ von Ernst Barlach in der Kölner Antoniterkirche / Foto: (c) wak
Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens, dass ich Liebe bringe, wo man sich hasst, dass ich Versöhnung bringe, wo man sich kränkt, dass ich Einigkeit bringe, wo Zwietracht ist, dass ich Wahrheit sage, wo Irrtum ist, dass ich den Glauben bringe, wo Zweifel quält, dass ich die Hoffnung bringe, wo Verzweiflung droht, dass ich die Freude bringe, wo Traurigkeit ist, dass ich das Licht bringe, wo Finsternis waltet.
Herr hilf mir, dass ich nicht danach verlange, getröstet zu werden, sondern zu trösten. Dass ich nicht danach verlange, verstanden zu werden, sondern zu verstehen.
Dass ich nicht danach verlange, geliebt zu werden, sondern zu lieben. Denn: Wer gibt, der empfängt, wer verzeiht, dem wird verziehen, wer stirbt, der wird zum ewigen Leben geboren.
Mein Herz umfasst sämtliche Formen: Das Mönchskloster, den Tempel der Idole, Die Weide der Gazellen und die Kaaba des Gläubigen, Die Tafeln der Thora und den Koran. Die Liebe ist, wozu ich mich bekenne. Wohin meine Kamele sich auch wenden mögen, Die Liebe ist und bleibt mir Glaube und Gesetz.
Ob nun das Ziel der Gott des Christentums heißt oder die Weltseele des Pantheismus oder das Absolute der Philosophie, immer ist der Wunsch, es zu erreichen, und das Streben danach – solange dies ein echter Lebensprozess und nicht intellektuelle Spekulation ist – der eigentliche Gegenstand der Mystik. Ich glaube, dass dies Streben die wahre Entwicklungslinie der höchsten Form des menschlichen Bewusstseins darstellt.
Evelyn Underhill (1875 – 1941) in: Mystik. Eine Studie über Natur und Entwicklung des religiösen Bewusstseins im Menschen, München 1928, S. XIV