Alchymie ist wahrhaftig die Philosophia der alten Weisen

Martin Luther / Werkstatt Lucas Cranachs des Älteren, 1528 / wikimedia ~ gemeinfrei

Die rechte Kunst der Alchymie ist wahrhaftig die Philosophia der alten Weisen, die mir sehr wohl gefället, nicht alleine um ihres vielen Nutzes willen, den sie mitbringet, die Metalla zu schmelzen, zu scheiden, auszusieden und zuzurichten; item, Kräuter, Wurzeln und anderes zu destilliren und zu sublimiren, sondern auch um der Allegorien und heimlichen Deutung willen, die überaus schön ist, nämlich die Auferstehung der Todten am jüngsten Tage. Denn gleichwie in einem Brennofen das Feuer aus der Materie zieht und scheidet, was am Besten ist, ja den Spiritum, Geist, Leben, den Saft und Kraft, führets in die Höhe, daß es das Oberste am Helm einnimmt, dran klebt, und denn herab fließt; wie man solches siehet, wenn man Kräuterwasser brennet, oder daß man sonst etwas destilliret; da schwimmet das Feiste empor, und das Beste schwebet allezeit oben. Aber die unreinen Materien und Hefen läßts im Grunde bleiben, als ein todt Aas und nichtig Ding. Also auch, wenn man gebrannten Wein machet, da wird die ganze Substanz und Wesen durchs Feuer ausgezogen, und kömmt die Kraft in die Höhe; was übrig ist, bleibt unten im Grunde, und es riecht noch schmecket nicht, sondern es ist ein unförmlich Wasser. Dergleichen wird auch aus der Zimmetrinde und Muskatennuß alle Kraft und Macht ausgezogen und abgesondert, wenn man daraus ein Wasser brennet oder ein Oel zurichten will; da wird das Gute in die Höhe geführt, und was da übrig bleibet, das ist ohne Geruch und Schmack, gleichwie ein faul Holz. Eben dergleichen wird Gott auch thun durch den jüngsten Tag und letzte Gericht; damit wird er, als durch ein Feuer, abscheiden, absondern und abtheilen die Gerechten von den Gottlosen. Die Christen und Gerechten werden über sich in den Himmel fahren, und darinnen ewig leben; aber die Gottlosen und Verdammten werden als die Grundsuppe und Hefen in der Hölle bleiben, und darinnen verdammt sein, und im ewigen Joch bleiben.

Martin Luther (1483 – 1546) in seiner „Tischrede vom jüngsten Tage

Das Sprechen der Mystiker

Kirchenfenster von Josef Albers / Foto: (c) wak

Das Sprechen der Mystiker ist von zwei Grundzügen bestimmt: einmal dem inneren Drang, sich mitteilen zu müssen, da die Gewalt des Erfahrenen übermäßig ist; zum anderen von der Not, das, was man eigentlich sagen möchte, nicht angemessen ausdrücken zu können, da es alle Maße des Begreifens, Fühlens und Sprechens übersteigt. Von da her erklärt sich die innere Bewegung, die alle mystischen Texte durchströmt, die Fülle der Bilder, mit denen man das im Grunde Unsagbare zu umschreiben versucht; andererseits aber auch die Helligkeit und Durchsichtigkeit der geistigen Sprache aus dem Bemühen heraus, der Höhe des Gegenstandes — Gott, Seele und die Vereinigung beider — gerecht zu werden. Die Mystiker sehen sich also gedrängt, von etwas sprechen zu müssen, von dem sie wissen, daß es sich eigentlich dem Worte entzieht, da es „über alle Worte und Weise, ja über alles, das man nennen und begreifen kann“, hinausgeht. Meister Eckhart hat einmal in einer Predigt gesagt: „Wenn hier [in der Kirche] niemand gewesen wäre, so würde ich {diese Predigt] dem Opferstock gepredigt haben.“ So hören wir denn die Mystiker immer wieder von dem inneren Zwang sprechen, der sie von der Seligkeit der unio künden läßt, wie auch von dem Wissen, daß der Gegenstand ihrer Rede jedes Wort übersteigt. Große, weiträumige Bewegung im Gefüge der Sätze und Abschnitte, ferner Fülle der Bilder und endlich eine hohe Abstraktion sind die Folge der inneren Lage des Mystikers, wenn er sich mitteilt. Selbst unsere übersetzten Texte vermögen von der großartigen Verfassung dieser Rede noch einen Eindruck zu geben.

Einleitungskapitel: Das unangemessene Wort. In: Eckhart, Tauler, Seuse. Ein Textbuch aus der altdeutschen Mystik. Ausgewählt, übersetzt und mit Einführung, Erläuterungen und Bibliographien herausgegeben von Hermann Kunisch. Hamburg 1958, S. 11

Ihr Schmerz und unser Schmerz unterscheiden sich nicht

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Nur in dem Maß, in dem wir unseren persönlichen Schmerz erkennen, nur in dem Maß, in dem wir mit allen Aspekten des Schmerzes vertraut sind, können wir furchtlos genug, mutig genug und Krieger genug sein, um es mit dem Schmerz der anderen aufzunehmen. Das gelingt uns deshalb, weil wir erkannt haben, dass sich ihr Schmerz und unser eigener Schmerz nicht unterscheiden.

Pema Chödrön (* 1936) in: Beginne, wo du bist. Eine Anleitung zum mitfühlenden Leben. Braunschweig 1997, S. 15

Die Flamme seiner Liebe geht zum Herzen Gottes

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In dem Maße, wie der Mensch in sich eindringt, dringt er auch in Gott ein, und in dem Maße, wie er in Gott eindringt, gelangt er auch zu sich selbst. Will er Gott wirklich finden, so muß er bis zu jener Tiefe seiner selbst hinabsteigen, wo er nur mehr das Bild Gottes ist, wo sich an seinem Grundquell nur noch Gott findet. Vorher gelangt der Mensch unmittelbar stets nur zu Gott, wie sein Denken oder Bewußstein ihn widerspiegelt. Zweifelsohne geht seine Liebe weiter als seine Erkenntnis, so dass die Flamme seiner Liebe direkt zum Herzen Gottes geht. Allein es gibt auch Tiefen der Liebe, die nur möglich scheinen, wenn die letzten Falten des Seins klargelegt sind.

Henri Le Saux (1910 – 1973) in: Indische Weisheit – Christliche Mystik. Luzern 1968, S.120

Die Tiefe unseres Seins berühren

Man kann den geistlichen Bildern von Bô Yin Râ die Wirkung von Ikonen zusprechen. Sobald man sich in eines der Bilder vertieft, besteht die Möglichkeit, die einzelnen Bildbereiche zu durchwandern und immer neue Geistesräume zu erleben. Bô Yin Râ spricht von der Magie der Zeichen. Solche Zeichen sind Codeworte, die in uns selbst Bewusstseinslagen aufschliessen. Das ist mehr als alles Intellektuelle oder ästhetische Erfassen. Diese Art der Bildverkündigung berührt die Tiefe unseres Seins, unseren geistigen Organismus. Wir können uns dadurch von mancherlei Verkrampfung und innerer Verriegelung befreien. Bezeichnend ist, was Bô Yin Râ am Schluss seines Buches „Welten“, das einen Zyklus von 20 geistlichen Bildern enthält, sagt:

„Dass du dir selbst in vollem Maße zur Freude werden mögest, dazu gebe ich dir alle Lehre!“

Bô Yin Râ – Vortrag zu seinem 100. Geburtstag und zur Gedenkausstellung seiner Gemälde und seines Lehrwerks im Schlossmuseum in Aschaffenburg. Gehalten am 20. 11. 1976 von Prof. Max Nuss – Darmstadt

Der komplette Vortrag von Max Nuss (1893-1979) kann hier nachgelesen werden:

MAGISCHE BLÄTTER BUCH VIII
CII. JAHRGANG WINTER 2021/2022

Januar 2022: Sakralkunst

Mehr auch hier: https://verlagmagischeblaetter.eu/monatsschrift-magische-bl%C3%A4tter

Bestellungen: kontakt@verlagmagischeblaetter.eu

Das Ich im Selbst auflösen

Jung, Ignatius und Ramana | Bilder: Archiv

Das Ziel östlicher Praktik ist dasselbe wie das der westlichen Mystik: der Schwerpunkt wird vom Ich zum Selbst, vom Menschen zu Gott verschoben; was bedeuten will, dass das Ich im Selbst, der Mensch in Gott verschwindet. Es ist evident, dass Shri Ramana entweder wirklich vom Selbst weitgehend aufgesogen ist, oder doch wenigstens ernstlich und lebenslang danach strebt, sein Ich im Selbst aufzulösen. Ein ähnliches Streben verraten auch die Exercitia Spiritualia (Exerzitien des Ignatius von Loyola. wak) indem sie den „Eigenbesitz“, das Ichsein in möglichst hohem Maße der Besitznahme durch Christum unterordnen.

C.G. Jung (1875 – 1961) Über den indischen Heiligen. Einführung zu Heinrich Zimmer: Der Weg zum Selbst. Lehre und Leben des indischen Heiligen Shri Ramana Maharshi aus Tiruvannamalai, Zürich 1944

Das Buch des Wesens aller Wesen

Foto: (c) wak

Also habe ich nun geschrieben, nicht von Menschen-Lehre oder Wissenschaft aus Bücher-Lernen, sondern aus meinem eigenen Buche, das in mir eröffnet ward. Denn das Buch der edlen Bildnis – das Ebenbild Gottes – ward mir vergönnet zu lesen. Mein Buch hat nur drei Blätter. Das sind die drei Principia der Ewigkeit. Darinnen kann ich alles finden. Ich kann der Welt Grund und alle Heimlichkeit darinnen finden. Ich bedarf kein ander Buch dazu. Dann das Buch, da alle Heimlichkeit innen lieget, ist der Mensch selber: Er ist selber das Buch des Wesens aller Wesen, dieweilen er die Gleichnis der Gottheit ist; das grosse Arcanum lieget in ihme, allein das Offenbaren gehöret dem Geiste Gottes. Gott hat meine Seele in eine wunderliche Schule geführet, und ich kann mir in Wahrheit nichts zumessen, dass meine Ichheit etwas wäre oder verstünde. Denn das Werk meiner Arbeit ist nicht mein, ich habe es nur nach dem Maß, als mir es vom Herrn vergönnet wird. Ich bin nur sein Werkzeug, mit dem Er tut, was Er will.“

Jacob Böhme (1575 – 1624) in:, „Theosophische Sendbriefe“, Kap. 12 u. 20

Texte aus der Langen Nacht über Jacob Böhme von Ronald Steckel sind hier zu lesen:

MAGISCHE BLÄTTER BUCH VI

CII. Jahrgang SOMMER 2021

Thema: Die erste Ausstellung des Jakob-Böhme-Bundes

Heft 5, Mai 2021

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Raum für die ewigen Dinge entstehen lassen

Foto: © wak

Es ist bezeichnend, dass die Heiligen ihre ekstatischen Visionen durch katholische Geistliche, die selbst nicht visionär veranlagt waren, überprüfen ließen, um ein autorisiertes Urteil zu bekommen, ob ihre Visionen echt seien oder nicht und ob sie von Gott oder vom Teufel stammten. Als ob ein Mensch, der wirklich von Gott erhört und von ihm erleuchtet ist, ein Bedürfnis fühlen würde, seine Offenbarung durch einen Geistlichen oder einen Wissenschaftler „untersuchen“ zu lassen!

Aber die katholische Kirche hatte Recht, wenn sie für sich beanspruchte, die Visionen der Heiligen zu prüfen, bevor sie sich dafür verbürgte und sie für heilig erklärte. Sie wusste um die gefährliche Nähe von spontanem Glauben und künstlich zustande gebrachter Ekstase. Denn die Geschichte der Mystik offenbart immer wieder Fälle, in denen die gefährliche Nähe sich zu einer bedenklichen Mischung entwickelte, zu einer Wildnis, wo gesunde, Frucht tragende Bäume zusammen mit giftigen Pflanzen aufwachsen. Die Ursache davon ist einerseits, was wir bereits nannten, dass der Intellekt häufig die Erfahrung vorwegzunehmen sucht, andererseits, dass vom ersten Augenblick an ein Gegensatz zu bestehen scheint zwischen der geschlossenen und der offenen Welt, den zeitlichen und den ewigen Dingen. Wir sehen nicht, dass dieser Unterschied derselbe ist wie der zwischen einer geschlossenen und einer offenen Dose. Wir entdecken, dass ein gewisses Maß an Verzicht notwendig ist, wenn Raum für die ewigen Dinge entstehen soll. Wenn wir ein Glas zur Hälfte mit Wasser gefüllt haben wollen und zur anderen Hälfte mit Wein, können wir das Glas nicht bis zum Rand mit einer dieser beiden Flüssigkeiten füllen. Wenn es schon voll von einer Flüssigkeit ist, werden wir etwas ausgießen müssen, damit Platz für die andere entsteht.

Johannes Anker Larsen (1874 – 1957) In: Vom wirklichen Leben. Drei Vorträge gehalten in Amersfoort, Berlin und Zürich erschienen im mym- Verlag, Berlin, 2004

Der vollständige Text ist hier nachzulesen:

MAGISCHE BLÄTTER
CI. JAHRGANG HERBST 2020
3. Quartalsausgabe August, September, Oktober, gebunden
ISBN.Nr. 978 -3-948594-03-9

HEFT 9 |  Oktober 2020

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