… wenn dein Herz fest ist, dann magst du untätig weilen beim Nicht-Handeln, und alle Dinge wandeln sich selber. Lass fahren deinen Leib; spei aus deine Sinneseindrücke; werde gleichgültig und vergiss die Außenwelt; komm in Übereinstimmung mit dem Uranfang; löse dein Herz; entlass deinen Geist; kehre zurück ins Unbewusste: dann kehren alle Wesen zurück zu ihrer Wurzel.
Dschuang Dsi. Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Aus dem Chinesischen verdeutscht und erläutert von Richard Wilhelm. Jena 1912 / Buch 11, Kapitel 4, S. 80
Vor aller Zeit, vor allen Welten, Vor dem Anbruch eines jeden Zeitalters, vor dem Anbruch einer jeden Welt, ist Gott! Und Er bleibt Jenseits aller kommenden Zeitalter, und jenseits Aller ungedachten Welten, die noch sein mögen! Er ist, in allem, was ist, in allem, was noch nicht ist: Noch heute wohnt Er im Ton des Akkords Der morgen von den Saiten meiner Harfe erklingt.
Für den Mystiker ist alles miteinander verbunden: Es gibt keinen Zustand, der von einem anderen losgelöst ist. Ein Mechanismus läuft immer in Beziehung zu einem anderen Mechanismus, wie unterschiedlich und unzusammenhängend sie auch erscheinen mögen. Um Einsicht in die Dinge zu gewinnen, dringt der Mystiker in die Tiefen des gesamten Mechanismus des Universums.
Er zeigte mir ein kleines Ding, so groß wie eine Haselnuss, das in meiner Hand lag, und es erschien mir rund wie eine Kugel. Ich schaute es an und dachte: „Was mag das sein?“ – Und es wurde mir die allgemeine Antwort: „Das Geschaffene.“ Ich staunte, dass es bestehen konnte; denn ich dachte, es könne, so gering wie es war, leicht in nichts vergehen. Und mein Verstehen erhielt die Antwort: Es besteht und wird ewig bestehen, weil Gott es liebt; und so hat alles das Sein durch die Liebe Gottes.
In diesem kleinen Ding da sah ich dreierlei: Erstens, dass Gott es geschaffen hat; zweitens, dass Gott es liebt; drittens, das Gott es erhält.
Wer immer du seist, wenn du strebst, zu erheben den Ruhm dieser Tore, Staune nicht an das Gold und den Aufwand, sondern die Arbeit.
Edel erstrahlt das Werk, doch das Werk, das edel erstrahlet, Möge erleuchten die Geister, dass sie eingehen durch die wahren Lichter. Zum wahren Licht, wo Christus das wahre Tor ist. Wie es der Welt innewohnt, gibt das goldene Tor zu erkennen: Der schwache Geist erhebt sich zum Wahren durch das Materielle Und sehnend erhebt er sich durch das Licht aus seiner Versunkenheit.
Inschrift, die Abt Suger (um 1081 – 1151) an der Westfront der Abtei St. Denis anbringen ließ.
Wenn du ins Heiligtum des Schweigens eingetreten bist, werden sich dir die Pforten des Himmelreiches deiner Seele öffnen. Du wirst eine Herrlichkeit schauen, die kein irdisches Auge wahrnahm. Du wirst einer Melodie lauschen, die sonst kein menschliches Ohr zu vernehmen vermag. Dann wirst du eine seelische Wiedergeburt und göttliche Seligkeit erleben und wünschen, daß du von diesem himmlischen Schweigen nie getrennt werden mögest.
Hossein Kazemzadeh Iranschähr (1884 – 1962) in: Die Heilkraft des Schweigens
Titelseite des Böhme-Buches aus dem Insel-Verlag von 1920
Mystik ist keine Disziplin, keine Rubrik aus der Geschichte der Philosophie, auch keine Abteilung der Religionswissenschaft, sondern ein Zustand, eine Lebensäußerung seelisch-geistig ganz bestimmt veranlagter Menschen. Alle Vorträge, Bücher über die Mystik leiden daran, dass ihre Verfasser glauben, „über“ der Mystik zu stehen, während eine wahrhafte Wertung nur dem darin Stehenden möglich ist. Ein „Darüberstehen“ bedingt ein zergliederndes Vorgehen der Kritik, des diskursiven Denkens, welches noch niemals der Mystik gerecht werden konnte; ein „Darinnenstehen“ bedingt die Fülle schauenden Lebens, welches in der Mystik das große Symbol der Einheit sieht, das alle Erscheinungen, Empfindungen und Gedanken durchdringt. Hier kann Jakob Böhme … ein sicherer Führer sein; diejenigen, die sich in seine Schriften zu versenken vermögen, werden bald das Wesen aller Mystik schauen.
Hans Kayser in seiner Vorbemerkung als Herausgeber des Buches Jakob Böhmes Schriften. Ausgewählt und herausgegeben von Hans Kayser. Mit der Biographie Böhmes von Abraham von Franckenberg und dem Kurzen Auszug Friedrich Christoph Oetingers. Insel-Verlag, Leipzig, 1920, S. 11
Meditation ohne Erkenntnis mag zwar eine Zeit lang wohltuend wirken; verfehlt jedoch ihr eigentliches Ziel. Selbst wenn man Gold oder Silber noch so sehr schmilzt: Sobald das Feuer erlischt verhärten sie wieder.
Man kann den geistlichen Bildern von Bô Yin Râ die Wirkung von Ikonen zusprechen. Sobald man sich in eines der Bilder vertieft, besteht die Möglichkeit, die einzelnen Bildbereiche zu durchwandern und immer neue Geistesräume zu erleben. Bô Yin Râ spricht von der Magie der Zeichen. Solche Zeichen sind Codeworte, die in uns selbst Bewusstseinslagen aufschliessen. Das ist mehr als alles Intellektuelle oder ästhetische Erfassen. Diese Art der Bildverkündigung berührt die Tiefe unseres Seins, unseren geistigen Organismus. Wir können uns dadurch von mancherlei Verkrampfung und innerer Verriegelung befreien. Bezeichnend ist, was Bô Yin Râ am Schluss seines Buches „Welten“, das einen Zyklus von 20 geistlichen Bildern enthält, sagt:
„Dass du dir selbst in vollem Maße zur Freude werden mögest, dazu gebe ich dir alle Lehre!“
Bô Yin Râ – Vortrag zu seinem 100. Geburtstag und zur Gedenkausstellung seiner Gemälde und seines Lehrwerks im Schlossmuseum in Aschaffenburg. Gehalten am 20. 11. 1976 von Prof. Max Nuss – Darmstadt
Der komplette Vortrag von Max Nuss (1893-1979) kann hier nachgelesen werden:
MAGISCHE BLÄTTER BUCH VIII CII. JAHRGANG WINTER 2021/2022
Dieses Geheimnis duldet keine Kompromisse! Es verträgt keine Retusche! Ich kann es nur aus seiner letzten Transzendenz verstehen und verkünden! Aber aus seiner Fülle kann ich an alle sprechen! Funkspruch an alle Welt! Im Stalle von Bethlehem ist Platz für alle. Deren Auge sucht! Deren Herz hämmert! Deren Geist aufklingt! Die „guten Willens“ sind! Denen der Egoismus, die Brutalität, die Gemeinheit nicht Letztes ist. Bei Dostojewski bricht die Wirtshausszene in die Einladung des Erlösers aus: „Kommet alle zu mir“! Platz für alle! An der Krippe des „Kyrios“! So sollen die Geistigen der Erde, wohin sie an Konfession, wohin sie an Partei, wohin sie an Lebensstil sich stellen mögen, in die „Arbeitsgemeinschaft“ des Nazareners treten! Sie sollen hier vor Anker gehen! Über diesen Leuchtturm ragt kein anderer lichtgewaltig! Kein Strom riß je in die Geschichte tieferes Bett! Keine Symphonie ließ je, wie diese, die Sphären erbeben! Wie immer die Menschen, die heutigen, die zukünftigen, die Offenbarung zum Problem gestaltend, vor Weihnachten stehen mögen, sie sollen ganz in die Nähe, ganz in den Radius, ganz in die Dynamik des Tages treten!
Carl Sonnenschein (1876 – 1929) in „Notizen“, Band 8, S. 73 ff. vom 25. Dezember 1927
Zitiert habe ich diese Passage in meinem Buch „Den Menschen Recht verschaffen. Carl Sonnenschein – Person und Werk“. EchterVerlag, Würzburg 1996, S. 110
Mit diesen Gedanken wünsche ich allen Leserinnen und Lesern meines Blogs „Mystik aktuell“ gute Weihnachtstage.