Raum für die ewigen Dinge entstehen lassen

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Es ist bezeichnend, dass die Heiligen ihre ekstatischen Visionen durch katholische Geistliche, die selbst nicht visionär veranlagt waren, überprüfen ließen, um ein autorisiertes Urteil zu bekommen, ob ihre Visionen echt seien oder nicht und ob sie von Gott oder vom Teufel stammten. Als ob ein Mensch, der wirklich von Gott erhört und von ihm erleuchtet ist, ein Bedürfnis fühlen würde, seine Offenbarung durch einen Geistlichen oder einen Wissenschaftler „untersuchen“ zu lassen!

Aber die katholische Kirche hatte Recht, wenn sie für sich beanspruchte, die Visionen der Heiligen zu prüfen, bevor sie sich dafür verbürgte und sie für heilig erklärte. Sie wusste um die gefährliche Nähe von spontanem Glauben und künstlich zustande gebrachter Ekstase. Denn die Geschichte der Mystik offenbart immer wieder Fälle, in denen die gefährliche Nähe sich zu einer bedenklichen Mischung entwickelte, zu einer Wildnis, wo gesunde, Frucht tragende Bäume zusammen mit giftigen Pflanzen aufwachsen. Die Ursache davon ist einerseits, was wir bereits nannten, dass der Intellekt häufig die Erfahrung vorwegzunehmen sucht, andererseits, dass vom ersten Augenblick an ein Gegensatz zu bestehen scheint zwischen der geschlossenen und der offenen Welt, den zeitlichen und den ewigen Dingen. Wir sehen nicht, dass dieser Unterschied derselbe ist wie der zwischen einer geschlossenen und einer offenen Dose. Wir entdecken, dass ein gewisses Maß an Verzicht notwendig ist, wenn Raum für die ewigen Dinge entstehen soll. Wenn wir ein Glas zur Hälfte mit Wasser gefüllt haben wollen und zur anderen Hälfte mit Wein, können wir das Glas nicht bis zum Rand mit einer dieser beiden Flüssigkeiten füllen. Wenn es schon voll von einer Flüssigkeit ist, werden wir etwas ausgießen müssen, damit Platz für die andere entsteht.

Johannes Anker Larsen (1874 – 1957) In: Vom wirklichen Leben. Drei Vorträge gehalten in Amersfoort, Berlin und Zürich erschienen im mym- Verlag, Berlin, 2004

Der vollständige Text ist hier nachzulesen:

MAGISCHE BLÄTTER
CI. JAHRGANG HERBST 2020
3. Quartalsausgabe August, September, Oktober, gebunden
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HEFT 9 |  Oktober 2020

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Meister Eckhart: Tröster im Geist – Tröster im Herzen

1956 gab Friedrich Heer eine Sammlung mit Texten von Meister Eckhart heraus

Gott ist Geist; also muß der Geist des Menschen sich so sehr weiten, daß er Gott-Geist vernehmen kann. So fallt Eckhart von zwei Seiten her eine riesenhafte Aufgabe zu: Tröster im Geist, Tröster im Herzen, Tröster in der Verfolgung beider soll er sein. Die innige, untrennbare Verbindung von Spekulation und Seelsorge in seinem Werk, in seinem ganzen Denken und Schaffen kommt von daher. Eckhart, der Seelsorger, und Eckhart, der Spekulator, der in die tiefsten Tiefen der Gottheit schauen will, sind eine Person. Die ihm eigentümliche Mächtigkeit seiner Sprache und die ihm eigentümliche Fragwürdigkeit seines Denkens beruhen auf dieser Mischung von zwei großen Anliegen, die kaum jemals in Einem aufbereitet, aufgearbeitet werden können. Sauberes, reines Denken fordert Härte, Selbstzucht, strengste Disziplin vom Denker und den Mit-Denkenden. Das Herz aber sucht Milde, Weichheit, Wärme, Trost. Eckhart will beides vereinen: er will stahlharter Denker sein, der rücksichtslos die bunte Welt zurückdenkt in den Einen, reinen Begriff, und er weiß sich als Tröster berufen bekümmerter Herzen.

Friedrich Heer (1916 – 1983) in: Meister Eckhart. Predigten und Schriften. Ausgewählt und eingeleitet von Friedrich Heer. Frankfurt/M. / Hamburg, 1956, S. 19

Weite und Fülle des Kosmos

Die Vorstellung von der unendlichen Weite und Fülle des Kosmos ist das Ergebnis der zum Äußersten getriebenen Mischung von mühevoller Schöpfung und freier Selbstbesinnung.

Franz Kafka (1883 – 1924)