Das Sprechen der Mystiker

Kirchenfenster von Josef Albers / Foto: (c) wak

Das Sprechen der Mystiker ist von zwei Grundzügen bestimmt: einmal dem inneren Drang, sich mitteilen zu müssen, da die Gewalt des Erfahrenen übermäßig ist; zum anderen von der Not, das, was man eigentlich sagen möchte, nicht angemessen ausdrücken zu können, da es alle Maße des Begreifens, Fühlens und Sprechens übersteigt. Von da her erklärt sich die innere Bewegung, die alle mystischen Texte durchströmt, die Fülle der Bilder, mit denen man das im Grunde Unsagbare zu umschreiben versucht; andererseits aber auch die Helligkeit und Durchsichtigkeit der geistigen Sprache aus dem Bemühen heraus, der Höhe des Gegenstandes — Gott, Seele und die Vereinigung beider — gerecht zu werden. Die Mystiker sehen sich also gedrängt, von etwas sprechen zu müssen, von dem sie wissen, daß es sich eigentlich dem Worte entzieht, da es „über alle Worte und Weise, ja über alles, das man nennen und begreifen kann“, hinausgeht. Meister Eckhart hat einmal in einer Predigt gesagt: „Wenn hier [in der Kirche] niemand gewesen wäre, so würde ich {diese Predigt] dem Opferstock gepredigt haben.“ So hören wir denn die Mystiker immer wieder von dem inneren Zwang sprechen, der sie von der Seligkeit der unio künden läßt, wie auch von dem Wissen, daß der Gegenstand ihrer Rede jedes Wort übersteigt. Große, weiträumige Bewegung im Gefüge der Sätze und Abschnitte, ferner Fülle der Bilder und endlich eine hohe Abstraktion sind die Folge der inneren Lage des Mystikers, wenn er sich mitteilt. Selbst unsere übersetzten Texte vermögen von der großartigen Verfassung dieser Rede noch einen Eindruck zu geben.

Einleitungskapitel: Das unangemessene Wort. In: Eckhart, Tauler, Seuse. Ein Textbuch aus der altdeutschen Mystik. Ausgewählt, übersetzt und mit Einführung, Erläuterungen und Bibliographien herausgegeben von Hermann Kunisch. Hamburg 1958, S. 11

Wille und Schicksal

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Der Streit um Willensfreiheit und Schicksalszwang gilt nur für den, der um den Grund nicht weiß, der beider Wurzel ist.
Wer das Selbst erkannt hat, einzig Wurzel und Grund von Freiheit und Schicksal, ist jenseits beider. Wie sollt er um sie streiten?

Ramana Maharshi (1879 – 1950) in „Vierzig Verse“ / Vers 19