Nicht das, was die Vernunft einsieht, sättigt sie oder ist ihr Ziel. Aber auch nicht das, was sie durchaus nicht versteht, vermag sie zu sättigen, sondern vielmehr das, was sie durch Nicht-Einsehen erkennt.
Theophilus, der Erzbischof, kam einmal in die Wüste. Die Brüder versammelten sich und baten Abba Pambo: Halte vor dem Vater eine Ansprache, damit er Gewinn habe. Der Alte aber sagte zu ihnen: Wenn er aus meinem Schweigen keinen Nutzen zieht, dann kann er es auch nicht aus einer Rede.
Beim Tod eines jeden Lebewesens kehrt der Geist in die Geisterwelt und der Körper in die Körperwelt zurück. Dabei verändern sich aber immer nur die Körper. Die Geisterwelt ist ein einziger Geist, der wie ein Licht hinter der Körperwelt steht und durch jedes entstehende Einzelwesen wie durch ein Fenster hindurchscheint. Je nach Art und Größe des Fensters dringt weniger oder mehr Licht in die Welt. Das Licht aber bleibt unverändert.
Solange wir einer spirituellen Sichtweise nachfolgen, die Erlösung, Wunder, Befreiung verspricht, sind wir mit der „goldenen Kette der Spiritualität“ festgebunden. Es könnte ganz schön sein, eine derartige Kette, mit ihren eingelegten Edelsteinen und verschlungenen Einkerbungen, zu tragen: aber trotzdem macht sie uns zu einem Gefangenen. Die Menschen glauben, sie können die goldene Kette als Schmuckstck tragen, ohne von ihr gefesselt zu werden, aber sie täuschen sich. Solange unsere Betrachtung von Spiritualität auf einer Bereicherung des Egos beruht, handelt es sich um spirituellen Materialismus, was eher ein selbstmörderischer als ein schöpferischer Prozess ist.
Chögyam Trungpa (1939 – 1987) in: Der Mythos Freiheit und der Weg der Meditation. Reinbek 2006, S. 19 – 20
Betrachten wir einen Augenblick den konkreten mystischen Weg. Die Wand der Vorstellungen, Begriffe, Bilder und Affekte wird beim Mystiker durchbrochen: Gott schenkt ihm, und er selbst erfährt, eine evidente Anwesenheit. Er hat das Gefühl, dass er sich selbst dabei vergisst, dass nunmehr die andere Anwesenheit alles ist. Er ist glücklich – denn besitzt er nicht den Unvergleichlichen? Dann aber, früher oder später, aber mit einer Art von Unvermeidlichkeit, geschieht ihm das überhaupt Unbegreiflichste (es geschieht ihm, wir verlassen also keineswegs das Gebiet der Erfahrung). Die Anwesenheit verschwindet, unheilbar, offenbar unwiderruflich; mit derselben Freiheit, mit der sie gekommen war. Das All wird von neuem Nichts.
Paul Mommaers: Was ist Mystik? Frankfurt/M. 1996, S. 63
In Eckhart und seiner Schule hat sich nichts Geringeres vollzogen als die Geburt einer neuen Religion, eine völlige Umschöpfung des bisherigen christlichen Glaubens, zu der sich die lutherische Reformation verhält wie eine Erderschütterung zu einer geologischen Umbildung oder wie ein reinigendes und befruchtendes Gewitter zu einem irdischen Klimawechsel, der eine neue Fauna und Flora ins Leben ruft. Hätte diese Bewegung sich durchgesetzt, so wäre für Europa ein neues Weltalter angebrochen; sie ist aber von der Kirche unterdrückt worden, und dass dies so vollständig gelang, spricht weniger gegen die Kirche, die nur in ganz logischer Wahrung ihrer Interessen handelte, als gegen die europäische Menschheit, die offenbar für eine solche grundstürzende Erneuerung noch nicht reif war.
Egon Friedell (1878 – 1938) in: Kulturgeschichte der Neuzeit, München 1969, S. 162
Wir sind gewohnt, wenn wir das Wesen der Dinge verstehen wollen, zu denken und sie auseinander zu nehmen sowie nach Gründen zu suchen. Dadurch kann man auch teilsweise zum Wesen der Dingen kommen und verstehen, was das eigentlich ist. Aber nicht die Begriffe und Wörter abschaffen, sondern durch Begriffe und Wörter hindurch zum Wesen der Dinge durchdringen. Durch Meditation kann man das lernen, aber es braucht viel Zeit.
Wir brauchen eine neue Offenbarung, eine, die die Hinfälligkeit derer verkündet, denen wir anhängen, aber die, denen wir anhängen, sind da, ihr tödliches Gewicht verbündet sich mit dem Verhängnis, das uns zermalmt, Ordnung und Chaos bilden ein Ganzes, das wir nicht zu zerbrechen vermögen. Die Anarchisten und die Nihilisten sind die letzten vernünftigen und sensiblen Menschen unter den Tauben, die marschieren, und den Blinden, die kämpfen, aber es genügt im jetzigen Zeitalter weder, Recht zu haben, noch zu fühlen, um irgendetwas zu verändern, die Ordnung muss durch eine Ordnung und nicht durch eine Unordnung ersetzt werden und die Moral durch eine Moral und nicht durch Unmoral, so wie der Glaube durch einen Glauben ersetzt werden muss, und nicht bloß durch eine Leere und die toten Götter durch neugeborene Gottheiten. Wir brauchen keine Aufwiegler, sondern Propheten, wir brauchen religiöse Genies auf der Höhe dieser Zeiten und unserer Werke,
Albert Caraco (1919 – 1971) hat das apokalyptische Empfangsszenario in seinem Text „Brevier des Chaos“ von 1982 beschrieben. Zitiert ist es in: Liebe und Zorn Eine Lange Nacht über den Mystiker und Theosophen Jacob Böhme von Ronald Steckel
Texte aus der Langen Nacht über Jacob Böhme sind hier zu lesen:
MAGISCHE BLÄTTER BUCH VI
CII. Jahrgang SOMMER 2021
Thema: Die erste Ausstellung des Jakob-Böhme-Bundes