Durch den Funken deines Herzens in mir geboren

Hassan Basri huldigte der Mystikerin Rabia / Bild: Archiv

Es lebte zu seiner Zeit eine bekannte und sehr verehrte Mystikerin, R a b e a genannt. Hassan schätzte diese fromme und heilige Frau und huldigte ihr sehr. Er gestand oft, daß er seine überströmenden Eingebungen der Inspiration dieser Mystikerin verdankte. Er predigte einmal in der Woche, und wenn er auf das Pult stieg, suchte er nach dieser Mystikerin R a b e a.  Wenn sie nicht gegenwärtig war, stieg er herunter und predigte nicht.

Man fragte ihn einmal: „Wenn jene verehrte alte Frau nicht hier ist, was fehlt dann uns, dass du nicht predigst?“

Er antwortete: „Ich kann den göttlichen Trank, den ich für den Elefanten vorbereitet habe, nicht den Ameisen zu trinken geben.“

Und als er einmal in der Predigt ganz hingerissen war, und alle Herzen gerüttelt und erobert hatte, wandte er sich zu   R a b e a   und sprach: „O Verschleierte, dies alles ist nur durch den Funken deines Herzens in mir geboren.“

Hassan Basri (642 – 728)

Göttliches Selbst im Seelengrund

Fotographik (c) wak

Den äußeren Menschen gilt es, soweit man es vermag, mit Gelassenheit zu bezwingen und ihn einwärts zu ziehen in den inneren Menschen, so dass der äußere nach den Weisungen des inneren wirke und nicht nach den Wünschen und Begierden des Ich. Wenn dann der innere Mensch in rechter freier Gelassenheit und Nicht-Anmaßung steht, halte er sich in seinem lauteren Nicht-Ich, über sich im Nicht-Tun, indem er sich Gott läßt und Gott wirken läßt. Dann erhebt sich der innerste Mensch, der Geist, Christus, das göttliche Selbst im Seelengrund, und kann sich in seinen Ursprung zurückwenden, in seine Ungeschaffenheit im Gottesgrund, wo er ewig gewesen ist: da steht er bildlos und formlos in seiner Ungewordenheit, und da erfüllt ihn Gott mit der Kraft und dem Reichtum seiner Herrlichkeit. So groß ist die göttliche Fülle, daß von diesem Reichtum der innere Mensch ganz erfüllt, durchlichtet und durchkraftet wird und selbst der äußere Mensch noch daran teilhat.

Johannes Tauler (1300 – 1361)

Martin Luthers Randnotiz zur Predigt von Johannes Tauler

Gedenktafel in Leipziger Thomaskirche / Foto:( c) wak

Also besteht das ganze Heil
in der Aufgabe des Willens
in allen Dingen,
wie er hier lehrt,
den geistlichen
wie den weltlichen.
Und im nackten Glauben an Gott.

Randnotiz Martin Luthers (1483 – 1546) zu einer Predigt von Johannes Tauler (1300 – 1361)

… dass es Gold werden kann

Umschlagbild der Erstausgabe

…dies Erz ist Kupfer,
das hat in seiner Natur,
dass es Gold werden kann,
darum ruht es nicht,
bis es eben diese Natur erreicht.

Meister Eckhart (1260 – 1328)

Vom christlichen Standpunkte aus gesehen war die Alchemie etwas wie ein natürlicher Spiegel der offenbarten Wahrheiten: der Stein der Weisen, der die unedlen Metalle in Silber und in Gold zu verwandeln vermag, ist ein Abbild Christi, und seine Entstehung aus dem „nicht brennenden Feuer“ des Schwefels und dem „beständigen Wasser“ des Quecksilbers gleicht der Geburt des Christus- Emanuel.

Durch ihre Angleichung an den christlichen Glauben wurde die Alchemie geistig befruchtet, während das Christentum in ihr einen Weg gewann, der über die Betrachtung der Natur zur wahren Gnosis führen konnte.

Man hat oft das siebzehnte Jahrhundert als die eigentliche Blütezeit des europäischen Hermetismus bezeichnet. In Wirklichkeit aber setzt dessen Zerfall schon mit dem fünfzehnten Jahrhundert ein, in eben dem Maße, als die humanistische und grundsätzlich schon rationalistische Entwicklung des abendländischen Denkens jeder geistig intuitiven Gesamtschau den Boden entzieht. Es ist wahr, daß zunächst, um die Wende zur Neuzeit, die Elemente einer echten Gnosis, durch die einseitig gefühlsmäßige Richtung der späten christlichen Mystik auf der einen und durch den agnostischen Hang der Reformation auf der anderen Seite aus dem theologischen Bereiche verdrängt, in der spekulativen Alchemie eine Zuflucht finden. In diesen Zusammenhang gehören Erscheinungen wie die hermetischen Anklänge bei Shakespeare, Jakob Boehme und Johann Georg Gichtel.

Titus Burckhardt (1908 – 1984): Alchemie. Sinn und Weltbild. Olten / Freiburg, 1960.

Neu herausgegeben im Chalice-Verlag: https://chalice-verlag.de/alchemie-alchimie/

Die Geburt der Mystik in der menschlichen Seele

Kachel von Josef Albers / Foto: (c) wak

Als der Urmensch diese irdische Welt betrat, und seine Augen das Licht empfingen; als er zum ersten Male die mannigfache Schönheit und die reizvolle Pracht der Natur um sich herum erschaute, und als er seine Blicke, einem unschuldigen Kinde gleich, nach oben erhebend die Sonne, den Mond und die unzählbaren Gestirne in dem hohen Gewölbe des Himmels betrachtete, da bewegte sich in seinem unbefleckten Herzen ein namenloses Sehnen, ein zartes, bebendes und geheimnisvolles Gefühl der Bewunderung, der Ehrfurcht und der Dankbarkeit. Dies war die Geburt der Mystik in der menschlichen Seele!

Aus dem Vorwort zu „Leben und Sprüche der Sufi-Meister des Islams“. Aus dem Persischen übersetzt von Hossein Kazemzadeh Iranschähr (1884 – 1962)

Sanftmut und Liebe zur Welt

Foto: (c) wak

Der Mystiker liebt diese Welt, liebt den Nächsten, tut alles für ihn, aber schon nicht mehr um Lohn, nicht um Dankbarkeitserweise zu erhalten. Er tut es umsonst, er weiß nicht einmal, daß er es tut. Es freut ihn, wenn der andere sich freut, daß er für ihn da ist, ohne es zu wissen. Es bedeutet eine Sanftmut, eine Liebe zur Welt, zu den Menschen, und nicht nur zum „Nächsten“, wie man sagt; jeder Mensch ist „der Nächste“, jedes Tier, jede Pflanze. Es ist die Sehnsucht nach anderen Welten, die Sehnsucht nach der großen Einheit von Diesseits und Jenseits, Erde und Himmel, wo alle Generationen in einem da sind, alle deine Wünsche, deine Gedanken, deine Hoffnungen erfüllt sind. Wenn du dich danach sehnst, kann der Weg beginnen.

Friedrich Weinreb (1910 – 1988)

Liebe zur Wahrheit und zum Leben

Foto: (c) wak

Die Suche nach der Realität
ist die gefährlichste
aller Unternehmungen,
denn sie wird die Welt,
in der du lebst, zerstören.
Doch wenn dein Motiv
die Liebe zur Wahrheit
und zum Leben ist,
brauchst du keine Angst zu haben.

Nisargadatta Maharaj (1897 – 1981)

Abwechselnd zu Gott reiten

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Auf die Frage, wie es ihm ginge, antwortete Ibrahim:
Ich habe vier Reittiere,
auf denen ich abwechselnd reite zu Gott.
Wenn ein Glück mich trifft,
reite ich auf dem Pferde des D a n k e s.
Wenn ich eine Sünde verübt habe,
reite ich auf dem Pferde der B u ß e.
Wenn ein Leid mich überfällt,
steige ich auf das Pferd des D u l d e n s,
und wenn eine gute Tat von mir verübt wird,
dann reite ich auf dem Pferd der T r e u e!

Ibrahim Adham (8. Jh.)