Pilger eines einzigen Zieles

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Pilger und Fremdlinge sind wir ohne bleibende Stätte, noch suchend das Künftige und Bleibende, das Ziel und die ewige Ruhe, die die höchste Lebendigkeit und das Leben schlechthin ist. Aber Pilger, mit deren Schuld, die sie treibt, auch das Erbarmen Gottes geht, Pilger, die das Ziel schon in Besitz haben, da nur noch offenbar werden muß, was wir schon haben und sind, Pilger einer unendlichen Bewegung auf das Ziel und im Ziel, Pilger eines einzigen Zieles, die in Liebe eins sind durch das eine Brot des ewigen Lebens.

Karl Rahner SJ (1904 – 1984)

Barmherzigkeit: Eine mystische Perspektive

Jan Zrzavý (1890 – 1977): Der barmherzige Samariter / Foto: © wak

Im Wort „Barmherzigkeit“ hören wir dagegen die tiefgründenden Pfeiler der griechisch-orthodoxen Kirche, wenn das „Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner“ im Jesusgebet erklingt, das Kyrie eleison, und das Gefühl von Gottes Erbarmen mit mir spürbar wird, von dem Jacques Lusseyran so häufig spricht. Dieses Wort trägt ein reiches und tiefgründiges Erbe der Hingabe; es beinhaltet etwas von dieser wunderschönen schöpferischen Weite. Falls wir tatsächlich ein „besseres“ Wort fänden, würden wir all das abschütteln. Wir würden eine lange Tradition abschneiden, die existiert und die unseren persönlichen christlichen Weg vertieft. Früher oder später werdet ihr darauf stoßen; ihr werdet das Herzensgebet entdecken. Praktisch alle wachsenden oder sich weiterentwickelnden Christen tun dies. Und ihr entdeckt das echte höhere Gefühlszentrum, die Lebendigkeit des Wortes „Barmherzigkeit“.

Cynthia Bourgeault (* 1947) in ihrem Artikel: Wie und wo finden wir mystische Hoffnung?
Mehr hier: https://chalice-verlag.de/cynthia-bourgeault-wie-finden-wir-mystische-hoffnung/

Mystik verwandelt den ganzen Menschen

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Der mystische Strom verzweigt sich in alle Zentren menschlicher Lebendigkeit. Der blendende Flug der Spekulation, die Glut liebender Hingabe, die aufreibende weltzugewandte Tat sind Ausfaltungen, die menschliche Grundkräfte zur letzten Reife bringen. Immer neu, immer anders sprudelt der nieversiegende mystische Quell in Raum und Zeit. … Mystik verwandelt nicht eine Grundkraft des Menschen gesondert. Sie verwandelt den ganzen Menschen. Mystik bewirkt damit Ganzheit und Ausgeglichenheit im Kraftfeld göttlicher, menschlicher und weltlicher Bezüge. Theologie des Kopfes und Theologie des Herzens, Erkennen und Lieben, Gebet und Arbeit, sakramentales Leben und Gottunmittelbarkeit, Liturgie und Alleingang in einsamer Wüste, visionäre Ekstatik und schlichter Alltag sind jeweis nur die beiden Pole der einen mystischen Ellipse.

Josef Zapf (1926 – 2012)

Der Lebendigkeit nachlaufen

„Warum hast du es denn so eilig?“ fragte ein Rabbi ein Gemeindemitglied, das er auf der Strasse traf.
Der Mann antwortete:
„Ich laufe meiner Lebendigkeit hinterher“.
„Woher weißt du denn,“ wandte der Rabbi ein, „dass deine Lebendigkeit vor dir herläuft und du dich beeilen musst?
Vielleicht ist sie ja auch hinter dir und du brauchst nur innezuhalten.“

Rabbi Levi Yitzchak von Berditchev (1740–1809)