Die Liebe zum Nächsten
soll in allem, was du tust, überströmen,
soll wachsen und zunehmen,
und an ihr sollst du die andere Liebe prüfen,
die nach innen gekehrt ist
zu Gott in seinen Ursprung.
Johannes Tauler (1300 – 1361) in seiner Predigt 76
Achte gut auf diesen Tag,
Denn er ist das Leben –
das Leben allen Lebens.
In seinem kurzen Ablauf
liegt alle Wirklichkeit des Daseins:
Die Wonne des Wachsens,
Die Größe der Tat,
Die Herrlichkeit der Kraft.
Denn das Gestern ist nichts als ein Traum
Und das Morgen nur eine Illusion –
Das Heute jedoch, recht gelebt
macht jedes Gestern
zu einem Traum voller Glücks
Und jedes Morgen
Zu einer Vision voller Hoffnung.
Darum gib acht auf diesen Tag.
Autor:
Unbekannter Verfasser; in Sanskrit geschrieben um ca. 1200 v.u.Z.
Zugeschrieben:
Kalidasa (5. Jahrhundert); indischer Dramatiker, Epiker und Dichter
Dschalal ad-Din Muhammad Rumi beziehungsweise Mevlana wird dieser Text ebenfalls zugeschrieben. Rumi schrieb allerdings die meisten Texte in persischer Sprache, andere in Türkisch und Griechisch.
Geschichte und Quelle:
Der Hinweis auf die frühe Sanskrit-Version findet sich in „Masterpieces of Religious Verse“, das James Dalton Morrison 1948 herausgegeben hat auf S. 301. Er verweist auch auf die Zuschreibung für Kalidasa.
Allein es gibt ein Erlebnis, das aus der Seele selber in ihr wächst, ohne Berührung und ohne Hemmung, in nackter Eigenheit. Es wird und vollendet sich jenseits des Getriebes, vom Anderen frei, dem Anderen unzugänglich. Es braucht keine Nahrung, und kein Gift kann es erreichen. Die Seele, die in ihm steht, steht in sich selber, hat sich selber, erlebt sich selber – schrankenlos. Nicht mehr, weil sie sich ganz an ein Ding der Welt hingegeben, sich ganz in einem Ding der Welt gesammelt hat, erlebt sie sich als die Einheit, sondern weil sie sich ganz in sich eingesenkt hat, ganz auf ihren Grund getaucht ist, Kern und Schale, Sonne und Auge, Zecher und Trank zugleich. Dieses allerinnerlichste Erlebnis ist es, das die Griechen Ekstasis, das ist Hinaustreten, nannten.
In: Ekstatische Konfessionen. Gesammelt von Martin Buber. Veränderte Neuausgabe, Leipzig 1921, S. 12 (Einleitung: Ekstase und Bekenntnis)
Achte gut auf diesen Tag,
denn er ist das Leben –
das Leben allen Lebens.
In seinem kurzen Ablauf
liegt alle Wirklichkeit
und Wahrheit des Daseins,
die Wonne des Wachsens,
die Herrlichkeit der Kraft.
Denn das Gestern ist nichts als ein Traum
und das Morgen nur eine Vision.
Das Heute jedoch – recht gelebt –
macht jedes Gestern
zu einem Traum voller Glück
und das Morgen
zu einer Vision voller Hoffnung.
Drum achte gut auf diesen Tag.
Aus dem Sanskrit / 5. Jahrhundert – Kalidasa zugeschrieben
Wer nach dem SINN dem Menschenherrscher hilft,
zwingt nicht mit Waffen die Welt.
Seine Art ist es, den Rückzug zu lieben.
Wo Kämpfer geweilt, wachsen Disteln und Dornen.
Hinter den großen Heeren her kommt sicher böse Zeit.
Der Tüchtige will Entscheidung und nichts mehr.
Er wagt nicht Eroberung mit Gewalt.
Entscheidung, ohne sich zu brüsten,
Entscheidung, ohne sich zu rühmen,
Entscheidung, ohne stolz zu sein,
Entscheidung, weil’s nicht anders geht,
Entscheidung, ferne von Gewalt.
Sind die Geschöpfe stark geworden, altern sie.
Denn das ist Wider-SINN.
Und Wider-SINN ist nah dem Ende.
Laotse (ca. 6. Jh. v.u.Z.) in: Tao Te King. Das Buch des Alten vom Sinn und Leben. Aus dem Chinesischen verdeutscht und erläutert von Richard Wilhelm. Jena 1911, S. 32
… es gibt ein Erlebnis, das aus der Seele selber in ihr wächst, ohne Berührung und ohne Hemmung, in nackter Eigenheit. Es wird und vollendet sich jenseits des Getriebes, vom Andern frei, dem Andern unzugänglich. Es braucht keine Nahrung und kein Gift kann es erreichen. Die Seele, die in ihm steht, steht in sich selber, hat sich selber, erlebt sich selber – schrankenlos. Nicht mehr weil sie sich ganz an ein Ding der Welt hingegeben, sich ganz in einem Ding der Welt gesammelt hat, erlebt sie sich als die Einheit, sondern weil sie sich ganz in sich eingesenkt hat, ganz auf ihren Grund getaucht ist. Kern und Schale, Sonne und Auge, Zecher und Trank zugleich. Dieses allerinnerlichste Erlebnis ist es, das die Griechen Ekstasis, das ist Hinaustreten, nannten.
Martin Buber in: Ekstatische Konfessionen. Gesammelt von Martin Buber. Jena, 1909, S. XII / XIII
Das Pferd macht Mist in dem Stall, und obgleich der Mist Unsauberkeit und üblen Geruch an sich hat, so zieht doch dasselbe Pferd denselben Mist mit großer Mühe auf das Feld; und daraus wächst der edle schöne Weizen und der edle süße Wein, der niemals so wüchse, wäre der Mist nicht da. Nun, dein Mist, das sind deine eigenen Mängel, die du nicht beseitigen, nicht überwinden noch ablegen kannst, die trage mit Mühe und Fleiß auf den Acker des liebreichen Willens Gottes in rechter Gelassenheit deiner selbst. Streue deinen Mist auf dieses edle Feld, daraus sprießt ohne allen Zweifel in demütiger Gelassenheit edle, wonnigliche Frucht auf.
6. Predigt: „Mein Joch ist sanft und meine Bürde leicht“ (Matth. 11,29)
Aus: JOHANNES TAULER (1300 – 1361), PREDIGTEN; übertragen und herausgegeben von Georg Hofmann, Einsiedeln 1979
Die ganze Predigt von Johannes Tauler kann hier nachgelesen werden:
MAGISCHE BLÄTTER BUCH VIII
CII. JAHRGANG WINTER 2021/2022
November 2021: Mystiker, die B.Y.R. empfohlen hat
Mehr auch hier: https://verlagmagischeblaetter.eu/monatsschrift-magische-bl%C3%A4tter
Bestellungen: kontakt@verlagmagischeblaetter.eu
„Steh auf, Jerusalem, und werde Licht!“ Gott begehrt und bedarf in aller Welt nur eines Dinges; das begehrt er aber so sehr, als ob er seinen ganzen Fleiß darauf verwendete, dies einzige nämlich, dass er den edlen Grund, den er in dem edlen Geist des Menschen gelegt hat, ledig und bereit finde, sein göttliches Werk darin zu vollbringen; …
Was soll nun der Mensch dazutun, dass Gott diesen lieblichen Grund erleuchten und darin wirken könne? Er soll aufstehen; „Surge“, sagt das Wort, „steh auf“; dies lautet, als ob der Mensch dabei mitwirken solle; der Mensch muss aufstehen von allem, was nicht Gott ist, von sich selber und von allen Geschöpfen; von diesem Aufstehen entsteht in dem Grund ein ungestümes Begehren nach Entblößung und Befreiung von allem, was den Menschen von Gott fernhält, und je mehr das abgelegt wird, um so mehr wächst jenes Begehren, geht über sich selbst hinaus und dringt gar oft bei Berührung des bloßen Grundes durch Fleisch und Blut und Mark.
Aus der 5. Predigt: „Surge et illuminare, Jerusalem“ von Johannes Tauler (1300 – 1361)
Die ganze Predigt von Johannes Tauler kann hier nachgelesen werden:
MAGISCHE BLÄTTER BUCH VIII
CII. JAHRGANG WINTER 2021/2022
November 2021: Mystiker, die B.Y.R. empfohlen hat
Mehr auch hier: https://verlagmagischeblaetter.eu/monatsschrift-magische-bl%C3%A4tter
Bestellungen: kontakt@verlagmagischeblaetter.eu
O heilende Kraft, die sich Bahn bricht! Alles durchdringst du, die Höhen, die Tiefen, den Abgrund. Du fügest und schließest alles in eins.
Durch dich fluten die Wolken, fliegen die Lüfte. Die Steine träufeln vom Saft, die Quellen sprudeln ihre Bäche hervor. Durch dich quillt aus der Erde das erfrischende Grün.
Du führst auch meinen Geist ins Weite, wehest Weisheit in ihn, und mit der Weisheit die Freude. Die Seele ist wie ein Wind, der über die Kräuter weht, und wie ein Tau, der auf die Gräser träufelt, und wie die Regenluft, die wachsen macht.
Genauso ströme der Mensch sein Wohlwollen aus auf alle, die da Sehnsucht tragen. Ein Wind sei er, indem er den Elenden hilft, ein Tau, indem er die Verlassenen tröstet, und Regenluft, indem er die Ermatteten aufrichtet, und sie mit der Lehre erfüllt wie Hungernde, indem er ihnen seine Seele gibt.
Hildegard von Bingen (1098-1179) zugeschrieben