Simone Weil zum „Vaterunser“

Foto: (c) wak

Die unendliche Süße dieses griechischen Textes hat mich so sehr ergriffen, dass ich mich mehrere Tage lang nicht davon abhalten konnte, ihn immer wieder zu wiederholen. In der folgenden Woche begann ich mit der Weinlese. Ich rezitierte jeden Tag vor der Arbeit das Vaterunser auf Griechisch und wiederholte es sehr oft im Weinberg. Seitdem habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, es jeden Morgen einmal mit absoluter Aufmerksamkeit durchzusprechen. …

Manchmal kommt es vor, dass ich es aus purem Vergnügen noch einmal sage, aber ich mache es nur, wenn ich den Impuls wirklich verspüre. Die Wirkung dieser Übung ist außergewöhnlich und überrascht mich jedes Mal aufs Neue, denn obwohl ich sie jeden Tag erlebe, übertrifft sie bei jeder Wiederholung meine Erwartungen. Manchmal reißen die allerersten Worte meine Gedanken aus meinem Körper und transportieren sie an einen Ort außerhalb des Raums, wo es weder Perspektive noch Standpunkt gibt. Die Unendlichkeit der gewöhnlichen Wahrnehmungserweiterungen wird durch eine Unendlichkeit im zweiten oder manchmal dritten Grad ersetzt. Gleichzeitig herrscht Stille, die jeden Teil dieser Unendlichkeit der Unendlichkeit ausfüllt, eine Stille, die keine Abwesenheit von Klang ist, sondern Gegenstand einer positiven Empfindung ist, positiver als die des Klangs. Geräusche, wenn überhaupt welche, erreichen mich erst, nachdem ich diese Stille durchbrochen habe. Manchmal ist Christus auch während dieser Rezitation oder in anderen Momenten persönlich bei mir anwesend, aber seine Gegenwart ist unendlich realer, bewegender, klarer als bei dem ersten Mal, als er von mir Besitz ergriff.

Simone Weil (1909 – 1943) in einem Brief an Pater Perrin

Mehr zu ihr hier von Ronald Steckel: https://www.ardaudiothek.de/episode/das-innere-licht/schwerkraft-und-licht-4-6/rbbkultur/10433357/

Unser menschliches Dasein ist ein Gasthaus

Darstellung von Rumi

 

Unser menschliches Dasein ist ein Gasthaus.
Allmorgendlich eine Neuankunft.

Eine Freude, ein Moment der Traurigkeit,
eine Gewohnheit, ein Geistesblitz
stehen unerwartet vor der Tür.

Heiße sie willkommen und bitte sie alle herein!
Und sei es eine Bande von Sorgen,
die rücksichtslos durchs Haus dir fegen
und es all seines Mobiliars berauben.

Selbst solchen Gästen erweise die Ehre.
Womöglich schaffen sie in dir nur Raum
für neue Freude.

Dem düsteren Gedanken, der Scham, der Hinterlist,
öffne ihnen die Tür und lass sie lachend ein.

Sei dankbar für jeden, der kommt,
denn ein jeder ist dir von oben gesandt,
um dir den Weg zu weisen.

Dschelaluddin Rumi / Mevlana (1207-1273) zugeschrieben

Eine der revolutionärsten Lehren

Foto: © wak

H. G. Wells (1866 – 1946 ) in seinem Vorwort zu dem Buch „Über Gott und die Welt. Revolutionäre Texte aus dem Neuen Testament.“ Zürich 1973, S. 13

In sein lauteres Nichts sinken

 

Foto: © wak

 

Wenn der Mensch in der Übung der inneren Einkehr steht,
hat das menschliche Ich für sich selbst nichts.
Das Ich hätte gerne etwas
und es wüsste gerne etwas
und es wollte gerne etwas.

Bis dieses dreifache Etwas in ihm stirbt,
kommt es den Menschen gar sauer an.

Das geht nicht an einem Tag und auch nicht in kurzer Zeit.
Man muss dabei aushalten,
dann wird es zuletzt leicht und lustvoll.

Soll Gott sprechen,
so musst du schweigen,
soll Gott eingehen,
so müssen alle Dinge ihm den Platz räumen.

Du sollst dieses tiefe Schweigen oft und oft in dir haben
und es dir zur Gewohnheit werden lassen,
so dass es durch Gewohnheit ein fester Besitz in dir werde.

Der Mensch muss alles lassen,
dieses Lassens selbst noch ledig werden,
es lassen, es für nichts halten
und in sein lauteres Nichts sinken

Johannes Tauler (1300 – 1361)

Mit dem Atem das Positive nähren

Wir können unsere Achtsamkeit mit dem Atem verbinden. Dadurch schaffen wir uns in kurzer Zeit einen Anker, eine neue zentrierende Gewohnheit, die uns im täglichen Leben genau da hilft, wo Transformation nötig ist. Diese Achtsamkeit richtet sich auf die Gesamtheit des Erfahrens in diesem Moment: auf das Positive und – sofern gerade vorhanden – mit liebevollem Blick auch auf das Negative, das sich in diesem liebevollen Licht verwandeln kann. Diese Fokussierung auf den Atem kann ganz einfach auch im Alltag zwischendurch praktiziert werden. So ist auf sanfte Weise Wandel möglich.

Pyar Rauch (*1960)

Das ganze Interview, das Marlies Burghardt mit Pyar geführt hat, kann unter dem Titel „Transformation – Das Positive nähren“ hier nachgelesen werden:

https://www.sein.de/transformation-das-positive-naehren/

Unser Dasein ist ein Gasthaus

Unser menschliches Dasein ist ein Gasthaus.
Allmorgendlich eine Neuankunft.

Eine Freude, ein Moment der Traurigkeit,
eine Gewohnheit, ein Geistesblitz
stehen unerwartet vor der Tür.

Heiße sie willkommen und bitte sie alle herein!
Und sei es eine Bande von Sorgen,
die rücksichtslos durchs Haus dir fegen
und es all seines Mobiliars berauben.

Selbst solchen Gästen erweise die Ehre.
Womöglich schaffen sie in dir nur Raum
für neue Freude.

Dem düsteren Gedanken, der Scham, der Hinterlist,
öffne ihnen die Tür und lass sie lachend ein.

Sei dankbar für jeden, der kommt,
denn ein jeder ist dir von oben gesandt,
um dir den Weg zu weisen.

Dschelaluddin Rumi / Mevlana (1207-1273) zugeschrieben

Als Wahrheit annehmen

Glaube nichts auf bloßes Hörensagen hin; glaube nicht an Überlieferungen, weil sie alt und durch viele Generationen bis auf uns gekommen sind; glaube nichts auf Grund von Gerüchten, oder weil die Leute viel davon reden; glaube nicht, bloß weil man dir das geschriebene Zeugnis irgend eines alten Weisen vorlegt; glaube nie etwas, weil Mutmaßungen dafür sprechen oder weil langjährige Gewohnheit dich verleitet, es für wahr zu halten; glaube nichts auf die bloße Autorität deiner Lehrer und Geistlichen hin.

Was nach eigener Erfahrung und Untersuchung mit deiner Vernunft übereinstimmt und zu deinem eigenen Wohle und Heile wie zu dem aller anderen Wesen dient, das nimm als Wahrheit an und lebe danach.

Gautama Buddha (ca. 563-483 v. u.Z.)