Die Gestalt eines stillen Menschseins zu verwirklichen bedeutet, Gott selbst als Gegenwart Christi spürbar zu machen. Der hörende, zuhörende, lauschende und horchende Mensch ist der Ort, an dem die Verwandlung geschieht: Viel Not, Leid, bange Verzweiflung wird von überallher in seine Seele strömen; er wird aber offenbleiben und die Dunkelheiten in seinem eigenen Dasein sammeln. Leise wird er immer wieder dieses Dasein dem Licht des Geheimnisses öffnen, damit der menschgewordene Gott aus all dem eine neue Schöpfung gestaltet. Noch nie hat unsere Welt so viele stille Menschen gebraucht wie heute, und es gab deren vielleicht noch nie so wenige. Wem heute die Erfahrung der Stille geschenkt wird, der mag dafür danken, sie wohlbewahren und sorgen, daß sie fruchtbar werde. Wer aber nichts davon weiß, der soll mit dem Ernst des Täglichen anfangen.
Ladislaus Boros (1927 – 1981)
Auszug aus dem Artikel „Der Schweigende Mensch und sein Gott. Meditation zum Stillwerden“, den ich in der Schweizer Jesuitenzeitschrift „Orientierung“ 33 (1969), Nr. 6 vom 31. März 1969 gefunden habe.
Aktuell erscheint im Xantener Chalice-Verlag eine Gesamtausgabe der Werke von Ladislaus Boros: https://chalice-verlag.de/fp-boros-ga00/