Das Wissen über eine Sache ist nicht die Sache selbst

René Magritte, Die Erinnerungen eines Heiligen    Foto: © wak

Das Wissen über eine Sache ist nicht die Sache selbst. Sie erinnern sich an das, was wir von Al-Ghazzali in der Vorlesung zur Mystik erfahren haben – dass es nicht dasselbe ist, ob wir die Ursachen von Trunkenheit verstehen, ob wir selbst betrunken sind. Eine Wissenschaft könnte alles über die Ursachen und Elemente von Religion in Erfahrung bringen und dürfte sogar eine Entscheidung darüber treffen, welche Elemente dank ihrer grundsätzlichen Übereinstimmung mit anderen Wissenszweigen qualifiziert wären, als wahr betrachtet zu werden; und doch könnte der beste Mann in dieser Wissenschaft gerade der sein, der mit dem persönlichen Frommsein die meisten Schwierigkeiten hat.

William James (1842 – 1910) in: „Die Vielfalt religiöser Erfahrung“, Vorlesung XX

Alkohol und mystisches Bewusstsein

Foto: (c) wak

Die Herrschaft des Alkohols über die Menschen liegt zweifellos in seiner Macht, die mystischen Fähigkeiten der menschlichen Natur anzuregen, die gewöhnlich durch die kalte Wirklichkeit und die unerbittliche Kritik der nüchternen Stunden erstickt werden. Die Nüchternheit verengt, trennt, verneint. Trunkenheit weitet, eint, bejaht. Sie bildet in der Tat einen mächtigen Antrieb zur Bejahung im Menschen. Sie führt von der kalten Außenseite in das Herz der Dinge hinein; sie eint für den Augenblick mit der Wahrheit. Nicht aus reiner Verderbtheit gehen die Menschen ihr nach. Den Armen und Ungebildeten ersetzt sie Symphonie-Konzerte und literarische Genüsse. Das trunkene Bewusstsein ist also nur eine bestimmte — freilich pathologisch bedingte — Teilerscheinung des mystischen Bewusstseins.

William James (1842 – 1910) in: Die Religiöse Erfahrung in ihrer Mannigfaltigkeit. Leipzig 1907, S. 362-363

Mehr zu Alkohol und Spiritualität hier: https://alkoholundspirit.wordpress.com/

William James: Mystik und Alkohol

Foto: © wak

Der nächste Schritt in mystische Zustände führt uns in einen Bereich, den öffentliche Meinung und philosophische Ethik immer schon als pathologisch gebrandmarkt haben, während ihn die private Praxis und bestimmte lyrische Kreise anscheinend immer noch idealisieren. Ich meine den Bewusstseinszustand, der durch Gifte und Anästhetika, besonders Alkohol erzeugt wird. Die Macht des Alkohols über die Menschheit beruht ohne Frage in seinem Vermögen, die mystischen Fähigkeiten der menschlichen Natur zu stimulieren, die in den nüchternen Stunden von den kalten Fakten und der trockenen Kritik niedergehalten werden. Nüchternheit verkleinert, unterscheidet und sagt Nein; Trunkenheit erweitert, verbindet und sagt Ja. Sie ist in der Tat der große Ja-Erreger im Menschen. Sie bringt ihren Jünger von der kalten Peripherie der Dinge zum strahlenden Herzen. Für den Moment vereint sie ihn mit der Wahrheit. Die Menschen laufen ihr nicht aus bloßer Perversität nach. Für den Armen und Ungebildeten nimmt sie den Platz ein, den für uns Symphoniekonzerte und Bücher einnehmen; und es gehört zu den unergründlichen Geheimnissen und der Tragik des Lebens, dass vielen von uns nur der Hauch und der Schimmer dessen gewährt wird, was wir in den flüchtigen Anfängen zunächst als etwas Großartiges wahrnehmen, was als Ganzes jedoch eine erniedrigende Vergiftung ist. Das trunkene Bewusstsein ist ein Stück des mystischen Bewusstseins, und unser Gesamturteil über dieses Teilstück muss in unser Urteil über das größere Ganze eingebettet sein.

William James (1842 – 1910) in: Die Vielfalt religiöser Erfahrung. Eine Studie über die menschliche Natur. Frankfurt am Main/Leipzig 1997, S. 389-390

Mehr zu Alkohol und Spiritualität hier: https://alkoholundspirit.wordpress.com/

Das Wissen über eine Sache ist nicht die Sache selbst

Foto: © wak

Das Wissen über eine Sache ist nicht die Sache selbst. Sie erinnern sich an das, was wir von Al-Ghazzali in der Vorlesung zur Mystik erfahren haben – dass es nicht dasselbe ist, ob wir die Ursachen von Trunkenheit verstehen, ob wir selbst betrunken sind. Eine Wissenschaft könnte alles über die Ursachen und Elemente von Religion in Erfahrung bringen und dürfte sogar eine Entscheidung darüber treffen, welche Elemente dank ihrer grundsätzlichen Übereinstimmung mit anderen Wissenszweigen qualifiziert wären, als wahr betrachtet zu werden; und doch könnte der beste Mann in dieser Wissenschaft gerade der sein, der mit dem persönlichen Frommsein die meisten Schwierigkeiten hat.

William James (1842 – 1910) In: Die Vielfalt religiöser Erfahrung, Vorlesung XX

William James: Mystik und Alkohol

Foto: © wak

Der nächste Schritt in mystische Zustände führt uns in einen Bereich, den öffentliche Meinung und philosophische Ethik immer schon als pathologisch gebrandmarkt haben, während ihn die private Praxis und bestimmte lyrische Kreise anscheinend immer noch idealisieren. Ich meine den Bewusstseinszustand, der durch Gifte und Anästhetika, besonders Alkohol erzeugt wird. Die Macht des Alkohols über die Menschheit beruht ohne Frage in seinem Vermögen, die mystischen Fähigkeiten der menschlichen Natur zu stimulieren, die in den nüchternen Stunden von den kalten Fakten und der trockenen Kritik niedergehalten werden. Nüchternheit verkleinert, unterscheidet und sagt Nein; Trunkenheit erweitert, verbindet und sagt Ja. Sie ist in der Tat der große Ja-Erreger im Menschen. Sie bringt ihren Jünger von der kalten Peripherie der Dinge zum strahlenden Herzen. Für den Moment vereint sie ihn mit der Wahrheit. Die Menschen laufen ihr nicht aus bloßer Perversität nach. Für den Armen und Ungebildeten nimmt sie den Platz ein, den für uns Symphoniekonzerte und Bücher einnehmen; und es gehört zu den unergründlichen Geheimnissen und der Tragik des Lebens, dass vielen von uns nur der Hauch und der Schimmer dessen gewährt wird, was wir in den flüchtigen Anfängen zunächst als etwas Großartiges wahrnehmen, was als Ganzes jedoch eine erniedrigende Vergiftung ist. Das trunkene Bewusstsein ist ein Stück des mystischen Bewusstseins, und unser Gesamturteil über dieses Teilstück muss in unser Urteil über das größere Ganze eingebettet sein.

William James (1842 – 1910) in: Die Vielfalt religiöser Erfahrung. Eine Studie über die menschliche Natur. Frankfurt am Main/Leipzig 1997, S. 389-390

 

Mit diesem Beitrag ist auf „Mystik aktuell“ nun eine neue Rubrik „Alkohol und Spiritualität“ zu finden. Die alte Webseite alkoholundspirit.wordpress.com wird nicht mehr fortgeführt.

 

Ursachen und Elemente von Religion in Erfahrung bringen

René Magritte, Die Erinnerungen eines Heiligen    Foto: © wak

Das Wissen über eine Sache ist nicht die Sache selbst. Sie erinnern sich an das, was wir von Al-Ghazzali in der Vorlesung zur Mystik erfahren haben – dass es nicht dasselbe ist, ob wir die Ursachen von Trunkenheit verstehen, ob wir selbst betrunken sind. Eine Wissenschaft könnte alles über die Ursachen und Elemente von Religion in Erfahrung bringen und dürfte sogar eine Entscheidung darüber treffen, welche Elemente dank ihrer grundsätzlichen Übereinstimmung mit anderen Wissenszweigen qualifiziert wären, als wahr betrachtet zu werden; und doch könnte der beste Mann in dieser Wissenschaft gerade der sein, der mit dem persönlichen Frommsein die meisten Schwierigkeiten hat.

William James (1842 – 1910)  in: „Die Vielfalt religiöser Erfahrung“, Vorlesung XX

Mystik und Alkohol

Der nächste Schritt in mystische Zustände führt uns in einen Bereich, den öffentliche Meinung und philosophische Ethik immer schon als pathologisch gebrandmarkt haben, während ihn die private Praxis und bestimmte lyrische Kreise anscheinend immer noch idealisieren. Ich meine den Bewusstseinszustand, der durch Gifte und Anästhetika, besonders Alkohol erzeugt wird. Die Macht des Alkohols über die Menschheit beruht ohne Frage in seinem Vermögen, die mystischen Fähigkeiten der menschlichen Natur zu stimulieren, die in den nüchternen Stunden von den kalten Fakten und der trockenen Kritik niedergehalten werden. Nüchternheit verkleinert, unterscheidet und sagt Nein; Trunkenheit erweitert, verbindet und sagt Ja. Sie ist in der Tat der große Ja-Erreger im Menschen. Sie bringt ihren Jünger von der kalten Peripherie der Dinge zum strahlenden Herzen. Für den Moment vereint sie ihn mit der Wahrheit. Die Menschen laufen ihr nicht aus bloßer Perversität nach. Für den Armen und Ungebildeten nimmt sie den Platz ein, den für uns Symphoniekonzerte und Bücher einnehmen; und es gehört zu den unergründlichen Geheimnissen und der Tragik des Lebens, dass vielen von uns nur der Hauch und der Schimmer dessen gewährt wird, was wir in den flüchtigen Anfängen zunächst als etwas Großartiges wahrnehmen, was als Ganzes jedoch eine erniedrigende Vergiftung ist. Das trunkene Bewusstsein ist ein Stück des mystischen Bewusstseins, und unser Gesamturteil über dieses Teilstück muss in unser Urteil über das größere Ganze eingebettet sein.

William James (1842 – 1910) in: Die Vielfalt religiöser Erfahrung. Eine Studie über die menschliche Natur. Frankfurt am Main/Leipzig 1997, S. 389-390

 

Mehr zu Alkohol und Spiritualität hier:

https://alkoholundspirit.wordpress.com/

Die Sache selbst

Das Wissen über eine Sache ist nicht die Sache selbst. Sie erinnern sich an das, was wir von Al-Ghazzali in der Vorlesung zur Mystik erfahren haben – dass es nicht dasselbe ist, ob wir die Ursachen von Trunkenheit verstehen, ob wir selbst betrunken sind. Eine Wissenschaft könnte alles über die Ursachen und Elemente von Religion in Erfahrung bringen und dürfte sogar eine Entscheidung darüber treffen, welche Elemente dank ihrer grundsätzlichen Übereinstimmung mit anderen Wissenszweigen qualifiziert wären, als wahr betrachtet zu werden; und doch könnte der beste Mann in dieser Wissenschaft gerade der sein, der mit dem persönlichen Frommsein die meisten Schwierigkeiten hat.

William James, die Vielfalt religiöser Erfahrung, Vorlesung XX