Abstinent, trocken oder nüchtern?

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Wer mit Alkohol mißbräuchlich zu tun hat, der weiß in seinem Innersten: Alkoholiker ist man lebenslang! Irritiert? Nicht nötig! Blicken wir gemeinsam darauf, was es wirklich auf sich hat mit abstinent, trocken und nüchtern.

Abstinent:
Das Wort Abstinenz ist aus dem lateinischen Wort „abstinere“ abgeleitet, das sich enthalten, sich fernhalten bedeutet. Für Abstinenz können beispielsweise ideologische wie gesellschaftliche Aspekte eine Rolle spielen wie die Abstinenzbewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts zeigen. Abstinenz ist allerdings erst einmal die einfache Beschreibung dafür, nicht mehr zu trinken, keinen Alkohol mehr zu konsumieren. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Aber ist es damit schon getan, „trocken“ zu werden? Ist mit Abstinenz allein der „Schalter“ schon umgelegt? Ich denke, dass nicht…

Trocken:
Vom Wort her bedeutet „trocken“ nur „ohne Feuchtigkeit“. Für den Alkoholiker ist diese Feuchtigkeit Bier, Sekt, Wein, Schnaps. Ist er „trocken“, so verzichtet er auf diese Spirituosen, trinkt sie nicht – er ist dann ein „trockener Alkoholiker“.
Aber es gilt auch: wer „trocken“ ist, ist damit nicht gleich „nüchtern“. Wird doch sprichwörtlich gesagt, dass jemand, der eine „trockene Leber“ hat, gern mal einen trinkt; klingt fast wie ein Paradoxon…

Nüchtern:
„Durch Alkoholgenuss nicht beeinträchtigt“ – mit dieser Formulierung beschreibt ein Wörterbuch der Deutschen Sprache den Begriff „Nüchtern“. Klarer und deutlicher kann es wohl nicht formuliert werden. Konkret heißt das vor allem: innere Klarheit.

Um zu dieser Klarheit zu kommen, der inneren Nüchternheit, ist Meditation ein täglicher Wegbegleiter.

In seinem Buch „Mut und Gnade“ schreibt Ken Wilber (*1949): „Ich möchte aber hervorheben, dass Meditation an sich eine spirituelle Praxis ist und immer war. Sie mag christlich, buddhistisch, hinduistisch, taoistisch oder muslimisch sein – immer ist sie der Weg der Seele nach innen, wo sie schliesslich ihr Einssein mit dem Göttlichen findet.“ Nur auf den ersten Blick scheint das eine Einbahnstraße auf dem Weg nach innen zu sein. Doch dieser verkürzte Blick täuscht. Denn aus dem Weg nach innen wird – wie beim Labyrinth – der Weg nach außen.

Mir persönlich hilft da immer jener Text, den Reinhold Niebuhr (1892 – 1971) uns hinterlassen hat:

Gott gebe mir die Gelassenheit,
Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Werner A. Krebber

Mehr zum Zusammenhang von Alkohol, Alkoholismus und Spiritualität hier: https://alkoholundspirit.wordpress.com/

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William James: Mystik und Alkohol

Foto: © wak

Der nächste Schritt in mystische Zustände führt uns in einen Bereich, den öffentliche Meinung und philosophische Ethik immer schon als pathologisch gebrandmarkt haben, während ihn die private Praxis und bestimmte lyrische Kreise anscheinend immer noch idealisieren. Ich meine den Bewusstseinszustand, der durch Gifte und Anästhetika, besonders Alkohol erzeugt wird. Die Macht des Alkohols über die Menschheit beruht ohne Frage in seinem Vermögen, die mystischen Fähigkeiten der menschlichen Natur zu stimulieren, die in den nüchternen Stunden von den kalten Fakten und der trockenen Kritik niedergehalten werden. Nüchternheit verkleinert, unterscheidet und sagt Nein; Trunkenheit erweitert, verbindet und sagt Ja. Sie ist in der Tat der große Ja-Erreger im Menschen. Sie bringt ihren Jünger von der kalten Peripherie der Dinge zum strahlenden Herzen. Für den Moment vereint sie ihn mit der Wahrheit. Die Menschen laufen ihr nicht aus bloßer Perversität nach. Für den Armen und Ungebildeten nimmt sie den Platz ein, den für uns Symphoniekonzerte und Bücher einnehmen; und es gehört zu den unergründlichen Geheimnissen und der Tragik des Lebens, dass vielen von uns nur der Hauch und der Schimmer dessen gewährt wird, was wir in den flüchtigen Anfängen zunächst als etwas Großartiges wahrnehmen, was als Ganzes jedoch eine erniedrigende Vergiftung ist. Das trunkene Bewusstsein ist ein Stück des mystischen Bewusstseins, und unser Gesamturteil über dieses Teilstück muss in unser Urteil über das größere Ganze eingebettet sein.

William James (1842 – 1910) in: Die Vielfalt religiöser Erfahrung. Eine Studie über die menschliche Natur. Frankfurt am Main/Leipzig 1997, S. 389-390

Mehr zu Alkohol und Spiritualität hier: https://alkoholundspirit.wordpress.com/

William James: Mystik und Alkohol

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Der nächste Schritt in mystische Zustände führt uns in einen Bereich, den öffentliche Meinung und philosophische Ethik immer schon als pathologisch gebrandmarkt haben, während ihn die private Praxis und bestimmte lyrische Kreise anscheinend immer noch idealisieren. Ich meine den Bewusstseinszustand, der durch Gifte und Anästhetika, besonders Alkohol erzeugt wird. Die Macht des Alkohols über die Menschheit beruht ohne Frage in seinem Vermögen, die mystischen Fähigkeiten der menschlichen Natur zu stimulieren, die in den nüchternen Stunden von den kalten Fakten und der trockenen Kritik niedergehalten werden. Nüchternheit verkleinert, unterscheidet und sagt Nein; Trunkenheit erweitert, verbindet und sagt Ja. Sie ist in der Tat der große Ja-Erreger im Menschen. Sie bringt ihren Jünger von der kalten Peripherie der Dinge zum strahlenden Herzen. Für den Moment vereint sie ihn mit der Wahrheit. Die Menschen laufen ihr nicht aus bloßer Perversität nach. Für den Armen und Ungebildeten nimmt sie den Platz ein, den für uns Symphoniekonzerte und Bücher einnehmen; und es gehört zu den unergründlichen Geheimnissen und der Tragik des Lebens, dass vielen von uns nur der Hauch und der Schimmer dessen gewährt wird, was wir in den flüchtigen Anfängen zunächst als etwas Großartiges wahrnehmen, was als Ganzes jedoch eine erniedrigende Vergiftung ist. Das trunkene Bewusstsein ist ein Stück des mystischen Bewusstseins, und unser Gesamturteil über dieses Teilstück muss in unser Urteil über das größere Ganze eingebettet sein.

William James (1842 – 1910) in: Die Vielfalt religiöser Erfahrung. Eine Studie über die menschliche Natur. Frankfurt am Main/Leipzig 1997, S. 389-390

 

Mit diesem Beitrag ist auf „Mystik aktuell“ nun eine neue Rubrik „Alkohol und Spiritualität“ zu finden. Die alte Webseite alkoholundspirit.wordpress.com wird nicht mehr fortgeführt.

 

Ein Gebet kann…

segenFoto: © wak

 

Ein Gebet kann
nicht das Wasser zum trockenen Feld bringen,
nicht eine zerbrochene Brücke instand setzen,
noch eine zerstörte Stadt wieder aufbauen;
aber ein Gebet kann trockene Erde tränken,
ein gebrochenes Herz heilen
und einen geschwächten Willen wieder stärken.

Abraham Joshua Heschel (1907 – 1972)

Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen

Wir steigen in dieselben Flüsse, und tun es doch nicht.
Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen.

Alles fließt, nichts ruht.
Alles vergeht, nichts dauert.
Kaltes wird warm, Warmes wird kalt.
Feuchtes trocknet, und Trockenes wird feucht.
Durch Krankheit wird Gesundheit schön;
durch das Schlechte wird das Gute gut;
durch Hunger: Sättigung;
durch Mühe: Schlaf.

Lebendig oder tot sein,
schlafend oder wach, jung oder alt – alles ist eins.
Das eine schlägt jeweils ins andere um,
und umgekehrt –
mit einer schnellen, unverhofften Wendung.

Erst werden die Dinge auseinandergesprengt,
dann werden sie wieder zusammengefügt.
Alles kommt zu seiner Zeit.

Heraklit (544 bis 483 v.u.Z.)

Fischen in einem trockenen Loch

Für die Zukunft zu planen,
gleicht dem Fischen
in einem trockenen Loch;
nie läuft etwas,
wie du es dir wünschst.

Gib also all dein ehrgeiziges Planen auf.
Wenn du unbedingt an etwas denken musst –
dann denk an die Ungewissheit
deiner Todesstunde.

Gyalse Rinpoche (1743-1811)

Gib ehrgeiziges Planen auf

Für die Zukunft zu planen,
gleicht dem Fischen in einem trockenen Loch;
nie läuft etwas, wie du es dir wünschst.

Gib also all dein ehrgeiziges Planen auf.
Wenn du unbedingt an etwas denken musst –
dann denk an die Ungewissheit deiner Todesstunde.

Gyalse Rinpoche (1743-1811)

Alles kommt zu seiner Zeit

Wir steigen in dieselben Flüsse, und tun es doch nicht.
Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen.

Alles fließt, nichts ruht.
Alles vergeht, nichts dauert.
Kaltes wird warm, Warmes wird kalt.
Feuchtes trocknet, und Trockenes wird feucht.
Durch Krankheit wird Gesundheit schön;
durch das Schlechte wird das Gute gut;
durch Hunger: Sättigung;
durch Mühe: Schlaf.

Lebendig oder tot sein,
schlafend oder wach, jung oder alt – alles ist eins.
Das eine schlägt jeweils ins andere um,
und umgekehrt –
mit einer schnellen, unverhofften Wendung.

Erst werden die Dinge auseinandergesprengt,
dann werden sie wieder zusammengefügt.
Alles kommt zu seiner Zeit.

Heraklit (544 bis 483 v.u.Z.)