Mit Jakob Böhme das Wesen aller Mystik schauen

Titelseite des Böhme-Buches aus dem Insel-Verlag von 1920

Mystik ist keine Disziplin, keine Rubrik aus der Geschichte der Philosophie, auch keine Abteilung der Religionswissenschaft, sondern ein Zustand, eine Lebensäußerung seelisch-geistig ganz bestimmt veranlagter Menschen. Alle Vorträge, Bücher über die Mystik leiden daran, dass ihre Verfasser glauben, „über“ der Mystik zu stehen, während eine wahrhafte Wertung nur dem darin Stehenden möglich ist. Ein „Darüberstehen“ bedingt ein zergliederndes Vorgehen der Kritik, des diskursiven Denkens, welches noch niemals der Mystik gerecht werden konnte; ein „Darinnenstehen“ bedingt die Fülle schauenden Lebens, welches in der Mystik das große Symbol der Einheit sieht, das alle Erscheinungen, Empfindungen und Gedanken durchdringt. Hier kann Jakob Böhme … ein sicherer Führer sein; diejenigen, die sich in seine Schriften zu versenken vermögen, werden bald das Wesen aller Mystik schauen.

Hans Kayser in seiner Vorbemerkung als Herausgeber des Buches Jakob Böhmes Schriften. Ausgewählt und herausgegeben von Hans Kayser. Mit der Biographie Böhmes von Abraham von Franckenberg und dem Kurzen Auszug Friedrich Christoph Oetingers. Insel-Verlag, Leipzig, 1920, S. 11

Werbung

Alkohol und mystisches Bewusstsein

Foto: (c) wak

Die Herrschaft des Alkohols über die Menschen liegt zweifellos in seiner Macht, die mystischen Fähigkeiten der menschlichen Natur anzuregen, die gewöhnlich durch die kalte Wirklichkeit und die unerbittliche Kritik der nüchternen Stunden erstickt werden. Die Nüchternheit verengt, trennt, verneint. Trunkenheit weitet, eint, bejaht. Sie bildet in der Tat einen mächtigen Antrieb zur Bejahung im Menschen. Sie führt von der kalten Außenseite in das Herz der Dinge hinein; sie eint für den Augenblick mit der Wahrheit. Nicht aus reiner Verderbtheit gehen die Menschen ihr nach. Den Armen und Ungebildeten ersetzt sie Symphonie-Konzerte und literarische Genüsse. Das trunkene Bewusstsein ist also nur eine bestimmte — freilich pathologisch bedingte — Teilerscheinung des mystischen Bewusstseins.

William James (1842 – 1910) in: Die Religiöse Erfahrung in ihrer Mannigfaltigkeit. Leipzig 1907, S. 362-363

Mehr zu Alkohol und Spiritualität hier: https://alkoholundspirit.wordpress.com/

William James: Mystik und Alkohol

Foto: © wak

Der nächste Schritt in mystische Zustände führt uns in einen Bereich, den öffentliche Meinung und philosophische Ethik immer schon als pathologisch gebrandmarkt haben, während ihn die private Praxis und bestimmte lyrische Kreise anscheinend immer noch idealisieren. Ich meine den Bewusstseinszustand, der durch Gifte und Anästhetika, besonders Alkohol erzeugt wird. Die Macht des Alkohols über die Menschheit beruht ohne Frage in seinem Vermögen, die mystischen Fähigkeiten der menschlichen Natur zu stimulieren, die in den nüchternen Stunden von den kalten Fakten und der trockenen Kritik niedergehalten werden. Nüchternheit verkleinert, unterscheidet und sagt Nein; Trunkenheit erweitert, verbindet und sagt Ja. Sie ist in der Tat der große Ja-Erreger im Menschen. Sie bringt ihren Jünger von der kalten Peripherie der Dinge zum strahlenden Herzen. Für den Moment vereint sie ihn mit der Wahrheit. Die Menschen laufen ihr nicht aus bloßer Perversität nach. Für den Armen und Ungebildeten nimmt sie den Platz ein, den für uns Symphoniekonzerte und Bücher einnehmen; und es gehört zu den unergründlichen Geheimnissen und der Tragik des Lebens, dass vielen von uns nur der Hauch und der Schimmer dessen gewährt wird, was wir in den flüchtigen Anfängen zunächst als etwas Großartiges wahrnehmen, was als Ganzes jedoch eine erniedrigende Vergiftung ist. Das trunkene Bewusstsein ist ein Stück des mystischen Bewusstseins, und unser Gesamturteil über dieses Teilstück muss in unser Urteil über das größere Ganze eingebettet sein.

William James (1842 – 1910) in: Die Vielfalt religiöser Erfahrung. Eine Studie über die menschliche Natur. Frankfurt am Main/Leipzig 1997, S. 389-390

Mehr zu Alkohol und Spiritualität hier: https://alkoholundspirit.wordpress.com/

Zehn Jahre „Mystik aktuell“

Screenshot des ersten Beitrags https://mystikaktuell.wordpress.com/2010/09/

10 Jahre „Mystik aktuell – wann, wenn nicht jetzt.“  Am 11. September 2010 ist dieser Blog online gegangen. 10 Jahre Zuspruch, Anregung, Dank, Kritik, Kommentar, Herausforderung, Dialog, Begegnung  …

Und seit dem 8. Juni 2017 hat „Mystik aktuell“ auch eine Dependance bei facebook: https://www.facebook.com/mystikaktuell

Herzlichen Dank allen Leserinnen und Lesern bei inzwischen über 555.555 Zugriffen sagt

Ihr

Werner Anahata Krebber

William James: Mystik und Alkohol

Foto: © wak

Der nächste Schritt in mystische Zustände führt uns in einen Bereich, den öffentliche Meinung und philosophische Ethik immer schon als pathologisch gebrandmarkt haben, während ihn die private Praxis und bestimmte lyrische Kreise anscheinend immer noch idealisieren. Ich meine den Bewusstseinszustand, der durch Gifte und Anästhetika, besonders Alkohol erzeugt wird. Die Macht des Alkohols über die Menschheit beruht ohne Frage in seinem Vermögen, die mystischen Fähigkeiten der menschlichen Natur zu stimulieren, die in den nüchternen Stunden von den kalten Fakten und der trockenen Kritik niedergehalten werden. Nüchternheit verkleinert, unterscheidet und sagt Nein; Trunkenheit erweitert, verbindet und sagt Ja. Sie ist in der Tat der große Ja-Erreger im Menschen. Sie bringt ihren Jünger von der kalten Peripherie der Dinge zum strahlenden Herzen. Für den Moment vereint sie ihn mit der Wahrheit. Die Menschen laufen ihr nicht aus bloßer Perversität nach. Für den Armen und Ungebildeten nimmt sie den Platz ein, den für uns Symphoniekonzerte und Bücher einnehmen; und es gehört zu den unergründlichen Geheimnissen und der Tragik des Lebens, dass vielen von uns nur der Hauch und der Schimmer dessen gewährt wird, was wir in den flüchtigen Anfängen zunächst als etwas Großartiges wahrnehmen, was als Ganzes jedoch eine erniedrigende Vergiftung ist. Das trunkene Bewusstsein ist ein Stück des mystischen Bewusstseins, und unser Gesamturteil über dieses Teilstück muss in unser Urteil über das größere Ganze eingebettet sein.

William James (1842 – 1910) in: Die Vielfalt religiöser Erfahrung. Eine Studie über die menschliche Natur. Frankfurt am Main/Leipzig 1997, S. 389-390

 

Mit diesem Beitrag ist auf „Mystik aktuell“ nun eine neue Rubrik „Alkohol und Spiritualität“ zu finden. Die alte Webseite alkoholundspirit.wordpress.com wird nicht mehr fortgeführt.