Schweigen ist eine mystische Tätigkeit

Cover eines Buches von Dorothee Sölle

Schweigen ist eine mystische Tätigkeit. Dieses Schweigen ist das, was nach den Worten kommt. Es ist nicht das Schweigen derer, die noch gar keine Worte gefunden haben. Es gibt ein Schweigen vor der Rede und es gibt ein Schweigen danach. Aber hier ist das Schweigen danach gemeint. Die Leute verstehen dieses Schweigen. Es ist vielleicht wirksamer als vieles Reden

Dorothee Sölle (1929 – 2003). Mystik und Widerstand. Vortrag vom 9. Juni 1983 in der Kirche zu Predigern, Zürich

http://doi.org/10.5169/seals-143077

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Auftun und Hineingehen ist nur ein Moment

Meister Eckhart-Tür an der Erfurter Predigerkirche / Foto: (c) wak

Im Buch der Geheimnisse steht geschrieben, dass unser Herr dem Volke entbot: „Ich stehe vor der Tür und klopfe und warte, wer mich einlässt, mit dem will ich schmausen.“ Du brauchst ihn nicht zu suchen, nicht da und nicht dort: er ist nicht entfernter als vor der Türe des Herzens, da steht er und harrt und wartet, wen er bereit findet, der ihm auftue und ihn einlasse. Du brauchst ihn nicht in der Ferne zu rufen: ihn kommt das Warten, bist du auftust, härter an als dich. Er bedarf deiner tausendmal mehr als du seiner: das Auftun und das Hineingehen ist nur ein Moment.

Meister Eckhart (1260 – 1328) in seiner Predigt „Von der Dunkelheit“

In: Meister Eckharts Mystische Schriften. In unsere Sprache übertragen von Gustav Landauer. Bearbeitet und neu herausgegeben von Martin Buber. 2. Auflage 1920. S. 27

Über unsere Mühen lachen

Ramana Maharshi / Bild: Archiv

Wir bilden uns ein, dass es etwas gäbe, das unsere Wirklichkeit vor uns verbirgt, und dass dies zerstört werden müsse, bevor wir die Wirklichkeit gewinnen können. Das ist geradezu lächerlich. Und es wird ein Tag heraufdämmern, an dem diejenigen, die auf der Suche nach Befreiung zu mir kommen, über ihre vergangenen Mühen lachen werden?

Ramana Maharshi (1879 – 1950)

Siehe auch hier: RAMANA – Hommage à Ramana Maharshi https://verlagmagischeblaetter.eu/hoerbuecher/ueber-die-wirklichkeit

Er ist in allem was ist…

Photo by Rafael Fonseca Almazu00e1n on Pexels.com

Vor aller Zeit, vor allen Welten,
Vor dem Anbruch eines jeden Zeitalters, vor dem Anbruch einer jeden Welt,
ist Gott! Und Er bleibt
Jenseits aller kommenden Zeitalter, und jenseits
Aller ungedachten Welten, die noch sein mögen!
Er ist, in allem, was ist, in allem, was noch nicht ist:
Noch heute wohnt Er im Ton des Akkords
Der morgen von den Saiten meiner Harfe erklingt.

Namdev (ca. 1270 – 1350)

Verweile nur um dich zu stärken

Bild: Archiv

Bedenke: Ein Stück des Weges
liegt hinter dir,
ein anderes Stück
hast du noch vor dir.

Wenn du verweilst,
dann nur, um dich zu stärken,
nicht aber um aufzugeben.

Aurelius Augustinus / Augustinus von Hippo (354 – 430)

Die Welt vor dem Hintergrund Gottes betrachten

Titus Brandsma in seiner Häftlingskleidung / Foto: Archiv

Wir dürfen keine Trennung
zwischen Gott und der Welt
in unserem Herzen vornehmen,
wir müssen vielmehr
die Welt stets
vor dem Hintergrund Gottes betrachten.

Titus Brandsma OCarm (1881 – 1942 im Konzentrationslager Dachau). Er wurde am 15. Mai 2022 heiliggesprochen. Mehr zu ihm hier: https://www.domradio.de/artikel/titus-brandsma-wird-im-vatikan-heiliggesprochen

Meister Eckhart: Mystiker auf Messers Schneide

Gedenktafel am Erfurter Predigerkloster für Meister Eckhart (1260 – 1328) / Foto: (c) wak

Es ist das unvermeidbare Schicksal der Mystik und ihrer Heiligen, zwischen Aufschwung und Absturz, zwischen religiöser Klassizität und kirchlicher Verdammung wie auf Messers Schneide hingehen zu müssen. Das tragische Schicksal des Meisters selbst liegt in diesem Sachverhalt beschlossen. Der in Gott ruhende Meister Eckehart ist aber auch im geistesgeschichtlichen Sinn kein Gewesener. Er ist vielmehr mit der ganzen Wucht seiner Gotteskindschafts-Verkündigung ein kaum erst geahnter Künftiger, ein geistig erst Kommender.

Dieser allgegenwärtig in Gott ruhende Meister Eckehart hat bei Lebzeiten seine Gegner in heiliger Einfalt nicht „erkannt“. Er spricht auch heute noch zu ihnen mit jedem seiner kämpferischen Worte:

„Die ihr euch an mir wie auch immer ärgert, ihr kennt euch selbst nicht, ihr kennt mich nicht. Denn: ihr kommt im Umkreis wahren Gotterlebens gar nicht vor.“

Friedrich Alfred Schmid Noerr in seiner Einleitung zu Meister Eckehart: Vom Wunder der Seele. Eine Auswahl aus den Traktaten und Predigten. Stuttgart 1963, S. 10-11