1956 gab Friedrich Heer eine Sammlung mit Texten von Meister Eckhart heraus
Gott ist Geist; also muß der Geist des Menschen sich so sehr weiten, daß er Gott-Geist vernehmen kann. So fallt Eckhart von zwei Seiten her eine riesenhafte Aufgabe zu: Tröster im Geist, Tröster im Herzen, Tröster in der Verfolgung beider soll er sein. Die innige, untrennbare Verbindung von Spekulation und Seelsorge in seinem Werk, in seinem ganzen Denken und Schaffen kommt von daher. Eckhart, der Seelsorger, und Eckhart, der Spekulator, der in die tiefsten Tiefen der Gottheit schauen will, sind eine Person. Die ihm eigentümliche Mächtigkeit seiner Sprache und die ihm eigentümliche Fragwürdigkeit seines Denkens beruhen auf dieser Mischung von zwei großen Anliegen, die kaum jemals in Einem aufbereitet, aufgearbeitet werden können. Sauberes, reines Denken fordert Härte, Selbstzucht, strengste Disziplin vom Denker und den Mit-Denkenden. Das Herz aber sucht Milde, Weichheit, Wärme, Trost. Eckhart will beides vereinen: er will stahlharter Denker sein, der rücksichtslos die bunte Welt zurückdenkt in den Einen, reinen Begriff, und er weiß sich als Tröster berufen bekümmerter Herzen.
Friedrich Heer (1916 – 1983) in: Meister Eckhart. Predigten und Schriften. Ausgewählt und eingeleitet von Friedrich Heer. Frankfurt/M. / Hamburg, 1956, S. 19