Geheimnisse der Welt erlauschen

Foto: (c) wak

Da ist … das lauschende Erleben einer Quelle. Unter dem gewaltigen Druck der Erde entspringt der Tiefe ein Strömendes als unerwartetes Geschenk. Auf einmal wird der Mensch einer tiefen Entsprechung inne: das bin ich; dies ereignet sich in meinem eigenen Leben immer wieder. Eine Quelle muß gesucht, aber auch, nachdem man sie gefunden, gefaßt, gereinigt, behütet werden, sonst versickert sie im Sand. Der Mensch sagt sich: das ist doch mein eigenes Leben.

Da ist auch die Erfahrung einer Flamme. Sie muß entzündet werden, strahlt dann Licht und zugleich Wärme aus; sie ist klein, zitternd und flackernd ; auch ist sie selbstverzehrend. Sie kann aber in einem unbeachteten Augenblick Furchtbares anrichten und Zerstörung bewirken. Unvermittelt versteht der Mensch: so ist mein eigenes Dasein; so sind meine Gedanken, Wünsche, Empfindungen und Ahnungen.

In ähnlicher Weise vermag der Mensch im stillen Lauschen des daseinsdeutenden Geheimnisses der Welt innezuwerden: des Geheimnisses der Welle, des Weges, des Baumes, des Gartens, des Hauses, des Ringes und vieler anderer „Dinge“ mehr. Durch solche Bilder tritt das „Andere“, das „Heilige“ von der Welt her in das eigene Dasein. Sie werden hineingewoben in die Empfindungen und Gedanken, in die Begriffe, in das Tun und in den Traum.

Ladislaus Boros (1927 – 1981)

Auszug aus dem Artikel „Der Schweigende Mensch und sein Gott. Meditation zum Stillwerden“, den ich in der Schweizer Jesuitenzeitschrift „Orientierung“ 33 (1969), Nr. 6 vom 31. März 1969 gefunden habe.

Aktuell erscheint im Xantener Chalice-Verlag eine Gesamtausgabe der Werke von Ladislaus Boros: https://chalice-verlag.de/fp-boros-ga00/