Er las gerne in den Büchern deutscher Mystiker…

Joseph Anton Schneiderfranken / Bô Yin Râ (1876 – 1943)

Er las gerne in den Büchern deutscher Mystiker (obwohl er die Bezeichnung „Mystiker“ nicht schätzte); er liebte außer Eckehart, Tauler und dem Verfasser des „Büchleins vom vollkommenen Leben“ besonders Jakob Böhme und Angelus Silesius. Die schlichte Tiefe von Matthias Claudius hat ihn angezogen, aber auch der Schwung eines Schiller, die Erkenntniskraft eines Dante, die skurrile Phantasie eines Spitteler. Einem Sanatoriumsbesitzer, der ihn um Rat fragte, an welche Bücher er sich halten sollte, empfahl er Goethe, Schiller, Jean Paul, Novalis, Hölderlin, Stifter, Dante, Eckehart, Tauler, Erasmus, Luther (Tischreden) und die Bhagavadgita. Diese kurze Liste zeigt sofort eine schlichte Größe der Wahl, gerade weil sich gar keine entlegenen Funde und Leckerbissen darin bemerkbar machen, sondern nur ein Schrifttum auftritt, in welchem das Reine, das Wahre oft bis zur Vollendung Gestalt wird. Nichts ist darunter, das schwelgerisch oder affektiert wäre. Die eigentliche Belletristik ließ er links liegen, nicht nur bei dieser Liste, sondern bei der eigenen Lektüre.

Einen zog der Meister offenbar allen Dichtern vor. Es war Goethe, dessen Inspiriertheit er unmittelbar mit „Schülerschaft“ begründete. Die schier unbegreifliche sprachliche Erneuerung allweltlicher Wirklichkeit in nicht wenigen Gedichten jenes Gewaltigen ließen ihn immer wieder dazu greifen.

Rudolf Schott (1891 – 1977): Bô Yin Râ. Leben und Werk. Kobersche Verlagsbuchhandlung Bern, 2. Ausgabe 1979, S. 43