Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen

„Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen“, hieß es schon bei Notker von St. Gallen im 8. Jahrhundert. Das hat sich bis heute nicht geändert. Gestorben wird 365/366 Tage im Jahr. Und die Verdrängung geschieht ebenso oft. Dem will eine Seite gegensteuern, auf die ich dieser Tage gestoßen bin. Sie hat mich sehr angesprochen, weil ich die gleichen Beobachtungen gemacht habe wie Judith Peller, die „deintodundich“ ins Leben gerufen hat.

deintodundich.Screenshot: http://www.deintodundich.de/

 

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Es ist ein Ros entsprungen…

advent4Foto: © wak

 

Es ist ein Ros entsprungen
aus einer Wurzel zart,
wie uns die Alten sungen,
von Jesse kam die Art
und hat ein Blümlein bracht
mitten im kalten Winter,
wohl zu der halben Nacht.

Das Röslein, das ich meine,
davon Jesaia sagt,
hat uns gebracht alleine
Marie die reine Magd.
Aus Gottes ewgem Rat
hat sie ein Kind geboren
wohl zu der halben Nacht.

Michael Praetorius (1609) /  Jesaja 11,1a

Antwort

der Mandelbaum blühte
im Winter

als Franz von Assisi
ihn berührte.

Vielleicht
berührte er ihn

mit seiner Frage,
mit seiner Bitte

zu ihm zu sprechen
von Gott.

Tief genug
hatten sie einander

berührt,
einander verstanden,

und so standen sie
beide

in voller Blüte,
mitten

im Winter:

der Heilige
und der Baum

 

(Hannah Buchholz 2009 / 2014)

Erschienen in:

hb_schlaflos

Hannah Buchholz: Schlaflos. Gedichte. München 2014, S. 151

http://linden.kutv.de/Lyrik-Kunst-und-Text/Buchholz-Hannah-Schlaflos::2.html

Im Kreis sind Anfang und Ende eins

Gott ist Tag und Nacht, Winter und Sommer,
Krieg und Frieden, Überfluss und Mangel.

Das Wasser des Meeres ist zugleich rein und ungenießbar:
Es ist genießbar und gesund für Fische,
aber ungenießbar und tödlich für die Menschen.

Tag und Nacht sind ihrem Wesen nach eins.
Der Weg nach oben und der Weg nach unten
Ist ein und derselbe.

Selbst Schlafende arbeiten und helfen mit
Bei dem, was im Universum vor sich geht.
In einem Kreis
Sind Anfang und Ende eins.

Heraklit (544 bis 483 v.u.Z.)

Nachahmung der Lehre

Im Winter verlangst du nach Pelzkleidung,
aber wenn der Sommer kommt,
wird sie dir zur Last
und du legst sie achtlos beiseite.

So ist es mit der Nachahmung der Lehre.
Sie hält die Leute warm bis zu dem Tag,
an dem die Sonne sie wärmt.

Dschelal ed-Din Rumi, auch Dschelaluddin Rumi (1207-1273)