Gelassenheit in schrecklicher Unsicherheit

Cover der 1956 erschienen Sammlung

Der Seelsorger Eckhart kämpft lebenslänglich und in fast jeder Predigt gegen dieses Sekuritätsbedürfnis: Greift nicht so gierig nach Gott! Alles Jagen und Rennen nach Gnadenmitteln, Sakramenten, Messen, Wallfahrten, guten Werken nützt euch nichts, wenn ihr diese Sucht nicht aufgebt, wenn ihr nicht gelassen ausgeht aus eurem engen, ängstlichen und gierigen Ich, wenn ihr nicht auf den Genuß der Dinge, der Welt verzichtet und dann Gott hereinlaßt in den Raum, den ihr ihm erst freimachen müßt. Der Mensch der Gegenwart lächelt über das metaphysische Sekuritätsbedürfnis des mittelalterlichen Menschen und übersieht dabei, daß das „neurotische Sicherheitsbedürfnis“ des modernen Menschen, sein Sicherheitswahn mindestens ebenso lebensgefährlich und lebensgefährdend ist wie die Sicherheitsneurose des Mittelalters. Soziologen …, Politiker …, Theologen aller Konfessionen heute…, haben im gegenwärtigen neurotischen Sicherheitsbedürfnis der Massen, der Völker, der Politiker, der Gewerkschaftsführer, der Kirchenmänner die schwerste Bedrohung des Weltfriedens und des inneren Friedens festgestellt. Die zwischenmenschlichen Beziehungen sind nur noch schwieriger geworden, seitdem sich das Verlangen nach totaler Sicherheit vom Himmel auf die Erde verlagert hat. Der totale Staat, die totalitären Ideologien, die harten und „weichen“ Methoden der Gleichschaltung, die Bedrohung der Freiheit, die immer weiter gehende Liquidierung der Freiheitsräume und Freiheitszeiten: das alles wurzelt im Heilsheischen des heutigen Menschen, der vor dem Risiko, vor dem Leben in der Unsicherheit flieht. Meister Eckharts echte Gegenwartsbedeutung beruht nicht zuletzt auf seinem seelsorgerischen Bemühen, seinen Brüdern und Schwestern Gelassenheit zu lehren: ein Leben gottfroh, ja gottselig mitten in den schrecklichen Unsicherheiten seiner Zeit.

Meister Eckhart. Predigten und Schriften. Ausgewählt und eingeleitet von Friedrich Heer, Frankfurt/M. 1956, S. 21-22

Wirklichkeit Gottes

Im Schweigen überschreiten wir die Schwelle zum Reich der unabgeleiteten, ohne Ursache verursachenden Wirklichkeit. Wir steigen hinab zum Grund, bis zu jenem Punkt, an dem Gottes Gegenwart erfahrbar wird. Freilich bezeugt diese Wirklichkeit nicht den Gott der Philosophen oder den logisierten Gott der Theologen, sondern jene feurige Gottheit, die uns mit ihrem Gluthauch anfällt und die das Vergängliche in uns gleichsam ausbrennt. Es ist jene Wirklichkeit Gottes, über die sich kein kluges Geschwätz mehr anstellen lässt und über die es keine Gottesbegriffe, keine Gottesbilder mehr geben kann.

Alfons Rosenberg (1902 – 1985)

Im Schweigen überschreiten wir die Schwelle

Im Schweigen überschreiten wir die Schwelle zum Reich der unabgeleiteten, ohne Ursache verursachenden Wirklichkeit. Wir steigen hinab zum Grund, bis zu jenem Punkt, an dem Gottes Gegenwart erfahrbar wird. Freilich bezeugt diese Wirklichkeit nicht den Gott der Philosophen oder den logisierten Gott der Theologen, sondern jene feurige Gottheit, die uns mit ihrem Gluthauch anfällt und die das Vergängliche in uns gleichsam ausbrennt. Es ist jene Wirklichkeit Gottes, über die sich kein kluges Geschwätz mehr anstellen lässt und über die es keine Gottesbegriffe, keine Gottesbilder mehr geben kann.

Alfons Rosenberg (1902 – 1985)