Rainer Maria Rilke: Buddha

Buddharelief von Vincenzo Kavod Altepost

Schon von ferne fühlt der fremde scheue
Pilger, wie es golden von ihm träuft;
so als hätten Reiche voller Reue
ihre Heimlichkeiten aufgehäuft.

Aber näher kommend wird er irre
vor der Hoheit dieser Augenbraun:
denn das sind nicht ihre Trinkgeschirre
und die Ohrgehänge ihrer Fraun.

Wüßte einer denn zu sagen, welche
Dinge eingeschmolzen wurden, um
dieses Bild auf diesem Blumenkelche

aufzurichten: stummer, ruhiggelber
als ein goldenes und rundherum
auch den Raum berührend wie sich selber.

Rainer Maria Rilke (1875 -1926) in: Neue Gedichte. Erster Teil, 1907, S. 70

Mehr zur Spiritualität des Keramikers Vincenzo Kavod Altepost in seinem empfehlenswerten Buch „Grundlegende Gutheit – Innere Freude“:

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Die Stille einer Ikone ist nicht leer

Foto: (c) wak

Die Ikone ist stumm. Es gibt weder offene Münder noch andere physische Details, die ein Geräusch implizieren. Aber die Stille einer Ikone ist nicht leer. Die Stille und das Schweigen der Ikone schaffen in den eigenen vier Wänden ebenso wie in der Kirche einen Raum, der ständig zum Gebet einlädt. Die tiefe und lebendige Stille, die eine gute Ikone auszeichnet, ist nichts weniger als die Stille Christi. Sie ist das genaue Gegenteil der eisigen Stille des Grabes. Es ist die Stille des kontemplativen Herzens Mariens, die Stille der Verklärung, die Stille der Auferstehung, die Stille des fleischgewordenen Wortes.

Jim Forest (* 1941)

Sinnvoll reden und richtig schweigen

Foto: © wak

Sinnvoll reden kann nur,
wer auch schweigen kann,
sonst faselt er;
richtig schweigen kann nur,
wer auch zu sprechen vermag,
sonst ist er stumm.
In beiden Geheimnissen
lebt der Mensch;
ihre Einheit drückt sein Wesen aus.

Romano Guardini (1885 -1968)

Das Tal der Erkenntnis

Wenn der Wanderer in dieses Tal eingetreten ist, verschwindet er wie die Erde unter seinen Füssen. Er wird verloren sein,denn das einzigeWesen wird offenbar sein. Er wird stumm sein, denn das einzige Wesen wird reden. Der Teil wird das Ganze werden, oder vielmehr er wird weder Teil noch Ganzes sein. Es wird eine Gestalt ohne Körper und Seele sein . . Was ist der Verstand? Er ist an der Schwelle des Tores geblieben, wie ein blindgeborenes Kind. Wer etwas von diesem Geheimnis gefunden hat, wendet das Haupt vom Reiche beider Welten ab…
Das Wesen, das ich verkündige, ist nicht gesondert da; die ganze Welt ist dieses Wesen; Sein oder Nichtsein, es ist immer dieses Wesen. …

Fariduddin Attar (* um 1136 – † 1220 oder 3. November 1221)
„Das Tal der Erkenntnis“ in „Die sieben Täler“ (Aus dem „Gespräch der Vögel“)

Wer hat ihn geschaut?

Wie kann man erkennen, dass jemand ihn geschaut hat? Wer ihn geschaut hat, besitzt vier Merkmale. Erstens, er hat die Gefühle eines kleinen Jungen; zweitens, er benimmt sich wie ein Unhold; drittens, er ist bewegungslos wie ein Ding; viertens, er verhält sich wie ein Narr. Wer ihn geschaut hat, fühlt sich wie ein kleiner Junge. Er ist jenseits aller festen Verhaltensweisen, er fühlt sich an keine gebunden. Dann macht er keinen Unterschied zwischen Heiligem und Unheiligem – wie ein Unhold. Dann lacht er einmal und weint dann wieder, wie ein Narr; manchmal ist er wie ein Herr gekleidet, kurz darauf läuft er, seine Kleider unterm Arm, nackt umher, wie ein Verrückter. Manchmal sitzt er auch nur stumm da wie ein Ding.

Ramakrishna (1836-1886)