Wo bliebe die Poesie des Lebens?

Vivekananda (1863 – 1902) / Bild: Archiv

Der Gedanke ist die vorwärtstreibende Kraft in uns. Erfülle den Geist mit den höchsten Gedanken, hör auf sie Tag für Tag, sinne ihnen nach Mond für Mond. Achte nicht auf Schwächen; die Mißerfolge sind ganz natürlich, sind die Schönheit des Lebens. Was wäre das Leben ohne sie? Es hätte keinen Wert, wenn es keine Kämpfe gäbe: Wo bliebe da die Poesie des Lebens? Denk nicht an die Kämpfe, die Irrungen. Niemals hörte ich eine Kuh lügen, aber es ist nur eine Kuh — kein Mensch. So denke auch nicht an die Mißerfolge, diese kleinen Rückfälle; halte das Ideal tausendmal hoch, und wenn es dir tausendmal mißlingt, mach den Versuch noch einmal mehr. Das Ideal des Menschen ist, Gott in allen Dingen zu sehen. Aber, wenn du ihn nicht überall sehen kannst, sieh ihn in einem Ding, in dem, das dir am besten gefällt, und dann sieh ihn auch in einem anderen. So kommst du weiter. Unendliches Leben steht der Seele bevor. Benutze deine Zeit und du wirst dein Ziel erringen.

Vivekananda (1863 – 1902) in: Inana Yoga. Gemeinverständliche Einführung in die Gedankenwelt Indiens. Stuttgart / Heilbronn, 1923, S. 91

Er kam um von dem wahrhaftigen Licht zu zeugen

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„Er kam, um von dem Licht zu zeugen – von dem wahrhaftigen Licht, welches alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen.” Joh. 1; 7, 9

 Der Geist muß … vom inneren Licht erfüllt und überformt werden.

Wer diese Durchlichtung, Überformung und Verwandlung erreimt hat und ein in völliger Hingabe an Gott ganz in seinen innersten Grund entsunkener Mensch geworden ist, dem mag es wohl gelingen, daß ihm in diesem Leben ein Blick der höchsten Überformung durch das ungeschaffene Licht Gottes zuteil wird, in dem er Gott erkennt: „Herr, in Deinem Lichte sehe im das Licht.”

Und wenn er oft in seinen Seelengrund einkehrt und darin heimisch wird, würde ihm mancher Blick in den Gottesgrund zuteil, in dem ihm von Mal zu Mal deutlicher offenbar wird, was Gott ist.

Mit diesem innersten Grund waren große Meister wie Proclus und Plato wohl vertraut, während viele Christen weder sich selbst noch das erkennen, was in ihnen ist: weder den Seelengrund noch den Gottesgrund, weil sie statt nach innen nach außen gerichtet sind und sich mit den äußeren Wahrheiten der Religion begnügen, die sie hindern, über ihre Ichheit hinauszugelangen und den Weg nach innen zu gehen.

Damit wir fähig und bereitet werden für das Erfüllt- und Überformtwerden durch das innere Licht, müssen wir unsere ganze Liebeskraft statt nach außen nach innen lenken und in ihr entflammen, um eine würdige Stätte für den Aufgang des göttlichen Lichts zu werden. Wir müssen denken, begehren und sprechen wie Augustinus:

„Herr, Du gebietest mir, daß im Dich liebe: gib mir, was Du mir gebietest! Du gebietest mir, Dich zu lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, mit allen Kräften und von ganzem Gemüte: gib mir, Herr, daß ich Dich vor allem und über alles liebe!” Wer das mit allen Fasern seines Wesens begehrt und sich mit aller Kraft seiner Seele nach innen wendet, in dem wächst die Hitze seiner Liebe, bis ihre Glut ihm Mark und Bein verzehrt und das Feuer der Liebe so stark und strahlend wird, daß sein Herz zu leuchten beginnt und schließlich zu Gott und in Gott entflammt.

Dann antwortet Gott mit seiner Liebe und spricht sein Wort, das höher, lichtvoller und leuchtender ist als alle Menschenworte. Davon sagt Dionysius: „Wenn das ewige Wort im Seelengrund gesprochen wird und der Grund so viel liebende Hingabe und Empfänglichkeit hat, daß er das Wort – Christus -in seiner Allheit schöpferisch und vollkommen empfangen kann, dann wird der Seelengrund mit dem Wort eins und wird das Wort selbst. Wenn er auch seinem Wesen nach seine Geschaffenheit behält, ist er vom seinem Ursprung nach das Wort selbst.”

Eben dies bezeugte Jesus: „Vater, daß sie eins werden, wie wir eins sind”, und das Wort, daß Augustinus von Gott empfing: „Du sollst verwandelt werden in mich.”

Dahin gelangt man auf dem Wege der liebenden Gott-Entflammung des Herzens.

Auf diesen Weg nach innen sollen wir achtgeben. Es ist der Weg des Geistes zu Gott und Gottes zu uns. Er ist schmal und verborgen, und jene verfehlen ihn, die sich auf äußere Übung und Wirksamkeit verlassen und meinen, sich vom Ich aus Gott nähern zu können.

Nein, wenn der Mensch den Weg nach innen betritt, muß er das Ich und seine Schwächen und alle äußeren Unzulänglichkeiten lassen und sich mit der ganzen Kraft seiner Liebe Gott überlassen und hingeben, sich selber entwerden und ganz in der Liebe aufgehen. Dann mag es geschehen, daß er für Augenblicke schon in der Zeit erfährt, was er ewig sein wird, wenn die Einheit erreimt ist.

Daß uns allen dies zuteil werde, dazu helfe uns Gott!

Johannes Tauler (um 1300 – 1361) / 44. Predigtzum Fest des Heiligen Johannes des Täufers

Befreit von Trübsal und Trauer…

 

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Wenn wir das Gedächtnis entleeren, erhebt uns das nicht in den hohen Zustand der Vereinigung, aber es befreit uns von großer Trübsal und Trauer und von vielen Schwächen und Fehlern und ist daher von großem Wert.

Johannes vom Kreuz (1542- 1591)

Entferne zerstreuende Gedanken

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Entferne
die zerstreuenden Gedanken
aus deiner Vorstellungswelt
und lege alle irdischen Sorgen ab;
denn sie stören dich
und schwächen deine Kraft.

Evagrius Pontikus (4. Jh.)

Selig die Barmherzigen

Nur ein Mensch, der im Gehen des inneren Weges mit seinem eigenen Schatten konfrontiert wurde, der seinen Schwächen und seiner Sündhaftigkeit begegnet ist und vergebende Liebe erfahren hat, ist imstande, anderen gegenüber barmherzig zu sein. Seine eigene Geschichte, die zur Heilsgeschichte wurde, befähigt ihn dazu. Ist der Mensch mit seinem Innersten in Kontakt und eins mit allen Wesen, dann ist da nur noch Barmherzigkeit. Eine Barmherzigkeit, die sich niederbeugt und anderen die Füße wäscht, die Gottes Liebe transparent macht in einer Welt, die zerrissen ist und gezeichnet von Dunkelheit und Terror. In Jesus Christus sehen wir eine Barmherzigkeit, die selbst ihr Herzblut gibt für das Leben anderer.

Meister Eckhart sagt: „Das Größte, was man von Gott sagen kann, ist, dass er barmherzig ist“ – und meint damit: Gott teilt sein Leben mit dem Menschen.

Sr. M. Mechthild Fricke OP in der Zeitschrift „Kontemplation und Mystik“, Jg. 12, Heft 2/2011

Der ganze Beitrag über die Seligpreisungen findet sich hier: http://www.wsdk.de/NavigatorLinks/Forum/Seligpreisungen.htm

Nicht getrennt von Allem

Nachahmen und Vergleichen sind von Schaden. Es gibt keine zwei gleiche Buddhas – wie wunderbar! – und auch keine zwei gleiche Geschichten des Erwachens. Es bist immer genau du und genau deine Geschichte ist die richtige. Genau jetzt, genau hier, genauso wie du bist – mit allen Schwächen und Stärken deiner Persönlichkeit. Nichts kann Erwachen verhindern, nicht ist vorher zu erledigen oder zu ändern. Aber du bist frei, aufzuwachen oder noch ein wenig zu schlafen – auch das ist okay! Vielleicht hast du ja gerade einen wunderschönen Traum … und dann bist du einfach ein Buddha, der träumt…

Der Preis ist nicht hoch, es kostet einfach nur alles andere. Der Preis, der zu entrichten ist, ist die Aufgabe der ganzen Illusion von Welt, von ich, von mein, von gut und schlecht, von Wollen und Nicht-Wollen. Die Währung heißt Hingabe, heißt Akzeptanz, heißt „Dein Wille geschehe, in Deine Hände befehle ich meinen Geist”, heißt Ja, es ist okay wie es ist, wie auch immer, wie auch immer es sein mag – ich bin zufrieden, in Frieden. Der Gewinn ist unermessliches, übervolles, von Liebe überfließendes Nichts, Nichts – nicht getrennt von Allem.

Pyar Rauch (*1960)

Geheime Erleuchtung

Was man zusammenziehen will,
das muss man erst sich richtig ausdehnen lassen.

Was man schwächen will,
das muss man erst richtig stark werden lassen.

Was man beseitigen will,
das muss man erst richtig sich ausleben lassen.

Wo man nehmen will,
da muss man erst richtig geben.

Das heißt die geheime Erleuchtung.

Laotse ( 6. Jh. v.u.Z.) im Tao Te King, Vers 36