Mystik lesen – Pfade zum Selbst | work in progress…

Es gibt so viele Definitionen von Mystik, wie es Menschen gibt, die sich damit beschäftigen. Denn in der Mystik geht es um den Sinn des Lebens. Und deshalb bringt jeder seine persönliche Lebenshaltung mit ein.

Friedrich Heiler (1892 – 1967)

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Sehen mit dem Dritten Auge ist die Sichtweise der Mystiker. Sie lehnen das Erste Auge nicht ab. Die sinnlichen Wahrnehmungen bedeuten ihnen etwas. Aber sie wissen, es gibt mehr. Sie lehnen auch das Zweite Auge nicht ab. Aber sie verwechseln Wissen nicht mit Tiefe und bloße korrekte Information nicht mit der Transformation des Bewusstseins selbst. Der mystische Blick baut auf das Erste und Zweite Auge auf – aber er reicht weiter. Er ereignet sich immer dann, wenn aufgrund eines wunderbaren „Zufalls“ der Raum unseres Herzens, der Raum unseres Verstandes sowie unsere Körperwahrnehmung gleichzeitig geöffnet und nicht-resistens sind. Ich nenne dies gern Präsenz. Präsenz wird als ein Moment tiefer innerer Verbundenheit erfahren und sie zieht uns unweigerlich in das nackte und ungeschützte Hier und Jetzt hinein.

Richard Rohr (*1943) in: Pure Präsenz. Sehen lernen wie die Mystiker. München, 2010

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Der Fromme von morgen wird ein ‚Mystiker‘ sein, einer, der etwas ‚erfahren‘ hat, oder er wird nicht mehr sein, weil die Frömmigkeit von morgen nicht mehr durch die im Voraus zu einer personalen Erfahrung und Entscheidung einstimmige, selbstverständliche öffentliche Überzeugung und religiöse Sitte aller mitgetragen wird, die bisher übliche religiöse Erziehung also nur noch eine sehr sekundäre Dressur für das religiöse Institutionelle sein kann. Die Mystagogie muss von der angenommenen Erfahrung der Verwiesenheit des Menschen auf Gott hin das richtige ‚Gottesbild‘ vermitteln, die Erfahrung, dass des Menschen Grund der Abgrund ist: dass Gott wesentlich der Unbegreifliche ist; dass seine Unbegreiflichkeit wächst und nicht abnimmt, je richtiger Gott verstanden wird, je näher uns seine ihn selbst mitteilende Liebe kommt.“

Karl Rahner: Frömmigkeit früher und heute. In: Schriften zur Theologie VII, Einsiedeln 1971, S. 22-23

 

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Die Mystiker haben immer wieder betont, dass höhere Erkenntnis und das gelebte höhere Wissen die große Befreiung bewirken. Befreiung wovon? Es ist die Befreiung von den zahllosen Fesseln, die unser Ich davon abhalten, dem Selbst entgegenzugehen, um mit diesem eins zu werden. Höhere Erkenntnis, das heißt Erkenntnis der Existenz einer absoluten Wirklichkeit, ist das sicherste Mittel für eine solche Befreiung.

René Bütler (1923 – 2016)

 

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Ein Buch aufschlagen
und die Worte finden,
die mich be/treffen.

w.a.k.

 

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Mystik lesen – Pfade zum Selbst. Überschrift über einen Text, der für jede und jeden mit anderem Inhalt gefüllt wird.
w.a.k.

 

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Buchtipp VI – Jeder Mensch ist ein Mystiker (Abraham H. Maslow)

Cover des Buches von Abraham H. Maslow

 

Abraham H. Maslow

Jeder Mensch ist ein Mystiker
Impulse für die seelische Ganzwerdung

Peter Hammer Verlag / 186 Seiten, 17,90 €
ISBN: 978-37795-0488-7
Wuppertal 2014

 

„Das schlanke Büchlein, das Sie in Händen halten, enthält mehr Explosionsstoff als ganze Bibliotheken. Es hat mit einem Schlag eine bisher ungeahnte, innige Verknüpfung zwischen Wissenschaft und Religion aufgedeckt. Und doch waren diese umwälzenden Einsichten Abraham Maslows bisher niemandem in deutscher Sprache zugänglich.“ So David Steindl-Rast in seiner Einführung. Denn das hat sich glücklicherweise geändert, als Erhard Doubrawa dieses Buch von Abraham H. Maslow im Peter Hammer-Verlag publiziert hat. Doch worum geht es hier?

Das vorliegende Buch „Jeder Mensch ist ein Mystiker“ enthält gleich mehrere Perlen. Da ist zum Einen der Vortrag, den Maslow 1961 hielt und der hier unter dem Titel „Was Gipfelerlebnisse uns lehren“ nachzulesen ist. Zum Zweiten ist es sein Buch „Religionen, Werte und Gipfelerlebnisse“, das 1964 erschien und hier nun nachzulesen ist.

Maslow berichtet in seinem Vortrag von Erfahrungen, die er lernen durfte. Beispielsweise, dass „mystische Erfahrungen“ meist nichts mit Religion im normalen, übernatürlichen Sinn zu tun haben. Und dass sie eine natürliche und keine übernatürliche Erfahrung waren, so dass er sie dann als „Gipfelerlebnisse“ bezeichnete. Maslow sieht zwar durchaus unterschiedliche Intensitäten von Gipfelerlebnissen. Aber seinen Forschungen nach ist er sicher, „dass sich alle Gipfelerlebnisse bis zu einem gewissen Grad verallgemeinern lassen. Die Stimuli sind sehr unterschiedlich, die subjektive Erfahrung ist tendenziell ähnlich. Oder um es anders auszudrücken: Unser Hochgefühl gleicht sich, wir beziehen es nur aus unterschiedlichen Quellen, bei weniger starken Leuten vielleicht aus ‚Rock and Roll‘, Drogen und Alkohol. Ich bin mir dessen umso sicherer, nachdem ich Literatur über die mystischen Erfahrungen, das kosmische Bewusstsein, ozeanische Erfahrungen, ästhetische Erfahrungen, kreative Erfahrungen, Liebeserfahrungen, elterliche Erfahrungen, sexuelle Erfahrungen und Erfahrungen der Erkenntnis konsultiert habe. Sie alle überschneiden sich, nähern sich der Ähnlichkeit und sogar der Identität an.“

Und noch etwas fiel ihm auf: „Gipfelerlebnisse sprudeln aus vielen Quellen und jede Art Mensch kann sie haben.“ Und sein Zitat am Schluss des Vortrages ist gleichzeitig eine sehr treffende Überleitung zu dem nachfolgenden Buch „Religionen, Werte und Gipfelerlebnisse“. Er sagt am Ende seines Vortrages: „Es muss inzwischen denen klar geworden sein, die mit der Literatur der mystischen Erfahrungen vertraut sind, dass diese Gipfelerlebnissen diesen sehr ähneln und sich mit ihnen überlappen, aber nicht mit ihnen identisch sind. Was ihre wahre Beziehung ist, weiß ich nicht… Alle mystische Erfahrung, wie sie klassisch beschrieben wird, wurde mehr oder weniger durch Gipfelerlebnisse erlangt.“

In „Religionen, Werte und Gipfelerlebnisse“ schreibt Maslow unter anderem so etwas wie sein „Credo“: „Die wahre Religion ist auf den höheren Ebenen der persönlichen Entwicklung durchaus kompatibel mit Rationalität, Wissenschaft und sozialer Leidenschaft. Nicht nur das, sondern sie kann im Prinzip ganz einfach gesunde Sinnlichkeit, gesunden Materialismus und Egoismus mit natürlicher Transzendenz, Spiritualität und Werthaltung integrieren.“

Das sind nur wenige der so lesenswerten Aspekte in Maslows Buch „Jeder Mensch ist ein Mystiker“. Die beiden großen Texte werden ergänzt durch Anhänge, bei denen es um religiöse Aspekte der Gipfelerlebnisse geht, um die Frage von Verlässlichkeit, um Wahrnehmung etc.

Vorangestellt ist dem Buch die beeindruckende Einführung von David Steindl-Rast, in der er unter anderem schreibt: „Das Herz jeder Religion ist ja die Religion des Herzens. Nur Rückkehr in die mystischen Tiefen des Herzens kann eine Religion wieder religiös machen.“ Ebenfalls sehr lesenswert ist das Nachwort von Erhard Doubrawa, der im gleichen Verlag „Heilende Texte“ von Meister Eckhart herausgegeben hat. Doubrawa  gibt am Ende zu bedenken: „Ob mystische Erfahrungen von unserem Gegenüber überhaupt ausgesprochen werden können, hängt stark von unserer eigenen Haltung solchen Erfahrungen gegenüber ab.“

Noch etwas muss dringend erwähnt werden: Die Lektüre dieses Buches hat in besonderer Weise die hervorragende Übersetzung von Karola Tembrins so reich werden lassen. Ihre Anmerkungen und Fußnoten sind sehr klug und erweitern das Leseerlebnis um kenntnisreiche Hinweise.

Zum Schluss möchte ich im Geise von Maslow dem Rat von Doubrawa folgen: Halten wir uns offen für mystische Erfahrungen – eigene und die anderer. Dieses Buch kann dazu in hervorragender Weise behilflich sein.

  ©  Werner A. Krebber