Wüste und Unwissenheit aller Dinge

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Des Menschen Bewusstsein überrascht ihn noch mit seinem Lauf. Bliebe es in seinem Vermögen wirksam und hielte es sich unverhöhnt und unzerrissen von niedern und groben Dingen, es flöge höher als der höchste Himmel und ließe nimmer ab, bis er in das Allerhöchste käme und würde da gespeist und genährt von dem allerbesten Gut, das Gott ist.

Und darum ist es nützlich, dieser Möglichkeit nachzufolgen und sich frei und losgelöst zu halten, und allein dieser Dunkelheit und diesem Unwissen nachzufolgen und nachzuhängen und nachzuspüren und nicht davon abzulassen, so ist es dir wohl möglich, den zu erreichen, der alle Dinge ist. Und je mehr in dir selbst Wüste ist und Unwissenheit aller Dinge, je näher kommst du diesem. Von dieser Wüste steht bei Jeremias geschrieben: „ich will meine Freundin in die Wüste führen und in ihrem Herzen mit ihr sprechen.“ Das wahre Wort der Ewigkeit wird allein in der Ewigkeit ausgesprochen, wo der Mensch Wüste ist und seiner selbst und aller Mannigfaltigkeit entfremdet.

Meister Eckhart (1260 – 1328) in der Predigt „Von der Dunkelheit“. In: Meister Eckharts Mystische Schriften. In unsere Sprache übertragen von Gustav Landauer. 2. Auflage 1920 (zusammen mit Martin Buber) S. 25 – 26

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Auf dem Weg zur Gelassenheit

Die massiven Einschnitte in das Leben vieler Menschen durch die Corona-Pandamie und die lang andauernden Einschränkungen durch Lockdowns haben so deutlich wie sonst kaum spürbar werden lassen, dass es an Gelassenheit mangelt, an Gleichmut. Im Christentum wie im Buddhismus sind Gelassenheit und Gleichmut wesentliche Konstanten in unruhigen Zeiten. Mit dem von Meister Eckhart erstmals in den Sprachgebrauch eingeführten Begriff der „gelazenheit“ und seiner Bedeutung, kann sich der Mensch auf den Weg machen, von seiner Ichbezogenheit wegzukommen. Am Ende dieses Weges der Gelassenheit sind Ruhe, Weisheit und Hingabe zu finden. Und das über die Grenzen von Religionen und Konfessionen hinweg.

Bei Buddha und in Texten von Meister Eckhart bis Thomas Merton finden wir Gedanken über Gelassenheit und Gleichmut. Ist Gleichmut im Buddhismus Teil der Geistesschulung, wo es um Nicht-Anhaften und Unterscheidung geht, wird im Christentum betont, dass der gelassene Mensch im Jetzt lebt und sein Ego hinter sich lässt. Das hat ganz praktische Konsequenzen für das konkrete Leben im Alltag. Und es hilft, Krisenzeiten besser durchstehen zu können.  Diesen Impulsen nachzuspüren ist ebenso spannend wie lohnend.  (w.a.k.)