Gott ist wirklich gegenwärtig

Simone Weil / Foto: Archiv

In allem, was das reine und echte Gefühl des Schönen in uns weckt, ist Gott wirklich gegenwärtig. Es gibt gleichsam eine Inkarnation Gottes in der Welt, deren Merkmal die Schönheit ist.
Das Schöne ist der Experimentalbeweis, dass die Inkarnation möglich ist.
Deshalb ist jede Kunst höchsten Ranges ihrem Wesen nach religiöse Kunst (was man heutzutage nicht mehr weiß). Eine gregorianische Melodie ist ebenso sehr ein Zeugnis als der Tod eines Märtyrers.

Simone Weil (1909 – 1943) in: Schwerkraft und Gnade. Berlin 2021, S. 163

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Alles liegt an der Liebe

Alles liegt an der Liebe. Hat jemand Böses getan, so bleibt es ihm; das Gute wird der Liebe zugeschrieben. … Die Liebe zieht auch alles Gute an sich, das im Himmel in den Engeln und den Heiligen ist und in aller Märtyrer Leiden; und ferner all das Gute, das die Geschöpfe Himmels und der Erden in sich haben und wovon ein so großer Teil verlorengeht oder doch verloren scheint. Die Liebe lässt es nicht verlorengehen. Die Lehrmeister und die Heiligen sagen, dass im ewigen Leben eine gar große Liebe herrsche; wenn (dort) eine Seele erkenne, dass eine andere mehr Liebe besitze als sie selbst, so freue sich diese Seele darüber so sehr, als ob sie diese Liebe selbst besitze. Und je mehr ein Mensch (auf Erden in seiner Haltung) jener Seele gleicht, umso herrlicher wird sein Glück im ewigen Leben sein.

Johannes Tauler (1300 – 1361) in seiner Predigt „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist“ (Luk. 6, 36 f.)

Es kribbelt und wibbelt weiter…

Foto: © wak

 

Die Flut steigt bis an den Arrarat,
Und es hilft keine Rettungsleiter,
Da bringt die Taube Zweig und Blatt –
Und es kribbelt und wibbelt weiter.

Es sicheln und mähen von Ost nach West
Die apokalyptischen Reiter,
Aber ob Hunger, ob Krieg, ob Pest,
Es kribbelt und wibbelt weiter.

Ein Gott wird gekreuzigt auf Golgatha,
Es brennen Millionen Scheiter,
Märtyrer hier und Hexen da,
Doch es kribbelt und wibbelt weiter.

So banne dein Ich in dich zurück
Und ergib dich und sei heiter,
Was liegt an dir und deinem Glück?
Es kribbelt und wibbelt weiter.

Theodor Fontane (1819 – 1898)