Gottes lebendiger Tempel bist du

Foto: (c) wak

Der hohe Kirchenraum ist das Gleichnis der unendlichen Ewigkeit, des Himmels, darinnen Gott wohnt. Wohl sind die Berge noch höher, unmeßbar die blaue Weite draußen. Doch  alles offen, keine Grenze darin und keine Gestalt. Hier aber ist der Raum für Gott ausgesondert. Für ihn geformt, heilig durchbildet. Wir fühlen in die ragenden Pfeiler hinauf, in die breiten, starken Wände, in die hohe Wölbung: Ja, das ist Gottes Haus, Gottes Wohnung in einer besonderen innerlichen Weise.

Und die Pforte führt den Menschen in dies Geheimnis. Sie sagt: „Wirf das Kleine ab, fort mit allem, was eng und ängstlich ist. Weg mit allem Niederdrückenden. Weit die Brust. Hinauf die Augen. Frei die Seele! Gottes Tempel ist dies, und ein Gleichnis von dir selbst. Denn Gottes lebendiger Tempel bist du ja, dein Leib und deine Seele. Mach ihn weit, mach ihn frei und hoch!“

Romano Guardini (1885 -1968) in: Von heiligen Zeichen. Mainz 1933, S. 32

Werbung

Sich vollkommen mit Gott vereinigen

Foto: (c) wak

Bei Tauler, Harphius und anderen Mystikern lesen wir, dass jeder, der geistig werden will, seine äußeren Sinne nach innen ziehen muss und dann diese inneren Sinne in die Fähigkeiten der höheren oder intellektuellen Seele erheben und sie dort verlieren oder vernichten muss.
Danach müssen diese Fähigkeiten der höheren Seele sich in ihrer Einheit sammeln, die der Anfang oder die Quelle ist, aus der diese Fähigkeiten fließen und sich ergießen. Und diese Einheit, welche allein imstande ist, sich vollkommen mit Gott zu vereinigen, muss auf Gott gerichtet werden.

Augustin Baker (1575 – 1641)

Völlige Wortlosigkeit und ein Nichtwissen

Foto: (c) wak

Je mehr wir zum Höheren hinstreben, um so mehr ersterben uns die Worte unter der zusammenfassenden Schau des nur geistig Erfaßbaren. So werden wir auch jetzt, da wir in das Dunkel eintauchen, welches höher ist als unsere Vernunft nicht in Wortkargheit, sondern in völlige Wortlosigkeit und ein Nichtwissen verfallen.

Dionysius Areopagita (5. Jh.) in: „Mystische Theologie“

Der bewiesene Nutzen von Krücken

Photo by Anna Shvets on Pexels.com

Eines Tages, mein Freund, verletzte sich ein Mann an seinem Bein. Er mußte nun mit einer Krücke gehen. Die Krücke war ihm sehr von Nutzen, sowohl beim Gehen als auch für andere Zwecke. Er brachte seiner ganzen Familie bei, Krücken zu benutzen, und sie wurden ein Bestandteil des täglichen Lebens. Jedermann wollte eine Krücke haben. Manche waren aus Elfenbein geschnitzt, andere mit Gold verziert. Man eröffnete Schulen, um die Menschen im Gebrauch der Krücken zu unterweisen, an den Universitäten wurden Lehrstühle eingerichtet, die sich mit den höheren Aspekten dieser Wissenschaft zu befassen hatten. Wenige, sehr wenige Menschen begannen schließlich, ohne Krücken zu gehen. Man hielt dies allgemein für skandalös und absurd. Und schließlich gab es ja auch viele Verwendungsmöglichkeiten für Krücken. Aber manche von ihnen beharrten auf ihrer Ansicht; sie wurden bestraft. Sie versuchten den Menschen zu zeigen, daß man eine Krücke nur dann benutzt, wenn sie nötig ist. Und daß man sich in vielen der Fälle, wo man jetzt eine Krücke benutzte, auf andere Weise besser behelfen könnte. Wenige hörten ihnen zu. Um den Vorurteilen zu begegnen, begannen einige von denen, die ohne Krücken gehen konnten, sich völlig anders zu verhalten als die etablierte Gesellschaft. Sie blieben wenige. Als man herausfand, daß – nachdem so viele Generationen die Krücken benutzt hatten – tatsächlich nur noch ein paar Menschen ohne Krücken gehen konnten, hielt die Mehrheit ihre Notwendigkeit für bewiesen.

Idries Shah (1924 – 1996)

Tiefere Schau nach innen vermitteln

… Es wäre grober Irrtum, wollte man meinen, daß jedes moderne Bild gut sein müsse, nur weil es eben modern ist, und ebenso wäre es verfehlt, würde man von vornherein einen Künstler abtun, nur weil er sich nicht der gegenwärtig vorherrschend gebräuchlichen Ausdrucksmittel bedient; maßgebend allein ist die Gesinnung, welche dem Künstler Antrieb zum Schaffen wird, denn aus ihr heraus werden sich entweder seine Werke zu Stufen entwickeln, die immer höhere geistige Erkenntnis, immer tiefers Schauen nach innen vermitteln – oder aber die ganze Produktion des Malers, der nicht mehr Künstler zu nennen ist – wird sich auf einer Ebene vollziehen, die nur in dem Streben nach besonders ergiebiger Wirtschaftlichkeit aufgesucht wird. …

Friedrich Rudolf Schwemmer in seinem Beitrag „Kunst und Kunstbetrachtung“. Erschienen in: Magische Blätter, Monatsschrift für geistige Lebensgestaltung, VII. Jahrgang, S. 52 – 62, Verlag Magische Blätter, 1926, Leipzig

Der ganze Beitrag Schwemmers ist aktuell hier zu lesen:

MAGISCHE BLÄTTER BUCH VIII
CII. JAHRGANG WINTER 2021/2022

Januar 2022: Sakralkunst

Mehr auch hier: https://verlagmagischeblaetter.eu/monatsschrift-magische-bl%C3%A4tter

Bestellungen: kontakt@verlagmagischeblaetter.eu

Gottes Sein in ihm erhöht

Foto: (c) wak

Wenn ich aber gesagt habe,
Gott sei kein Sein
und über dem Sein,
so habe ich nicht
das Sein abgesprochen,
vielmehr habe ich es
in ihm erhöht.

Nehme ich Kupfer im Golde,
so ist es dort (vorhanden )
und ist da in einer höheren Weise,
als es in sich selbst ist.

Meister Eckhart (1260 – 1328) in: Predigt 9, Deutsche Werke I, S. 107

Einen harmonischen Seinszustand erreichen

Photo by Levent Simsek on Pexels.com

Die orientalischen Tänze haben – religiös, mystisch und wissenschaftlich – nichts von ihrer tiefen Bedeutung eingebüßt, die ihnen in längst vergangener Zeit innewohnte. Heilige Tänze waren immer eines der wichtigsten Themen, die in esoterischen Schulen des Ostens gelehrt wurden. Diese Gymnastik hat ein doppeltes Ziel: Zum einen enthält und zeigt sie eine gewisse Form von Wissen, zum anderen dient sie gleichzeitig als Mittel, um einen harmonischen Seinszustand zu erreichen. […] In jener frühen Zeit diente Kunst dem Zweck eines höheren Wissens und der Religion. […] Alter heiliger Tanz ist nicht einfach ein Medium für eine ästhetische Erfahrung, sondern sozusagen auch ein Buch, das […] ein ganz bestimmtes […] Wissen enthält. Aber es ist ein Buch, das nicht alle lesen können, die dies möchten.

Der ganze Beitrag „Die Vorgeschichte der Bewegungen“ von Roger Lipsey zu Georges Gurdjieff (1866 -1949) kann hier nachgelesen werden:

MAGISCHE BLÄTTER BUCH VII
CII. Jahrgang Oktober 2021 Heft 10, Thema: DIE MUSIKALISCHE DIMENSION DES JAKOB-BÖHME-BUNDES

Mehr hier:

https://verlagmagischeblaetter.eu/monatsschrift/magische-blaetter

Bestellt werden können die Magischen Blätter hier: kontakt@verlagmagischeblaetter.eu

Allhier ist Gott im Geist eins

 

Foto: © wak

Ein großer Meister sagt, sein Münden stünde höher als sein Entspringen. Als ich aus Gott entsprang, da sprachen alle Dinge: Gott ist (da). Nun kann mich das nicht selig machen, denn hier erkenne ich als Kreatur; dagegen in dem Münden, wo ich ledig stehen will im Willen Gottes und ledig stehen des Willens Gottes und aller seiner Werke und Gottes selbst, da bin ich über allen Kreaturen und bin weder Gott noch Kreatur, sondern ich bin was ich war und was ich bleiben soll jetzt und immerdar. Da erhalte ich einen Ruck, der mich über alle Engel schwingen soll. Von diesem Ruck empfange ich so reiche Fülle, dass mir Gott nicht genug sein kann mit alledem, was er Gott ist, mit all seinen göttlichen Werken, denn mir wird in diesem Münden zuteil, dass ich und Gott eins sind. Da bin ich was ich war, und da nehme ich weder ab noch zu, denn ich bin da eine unbewegliche Ur-Sache, die alle Dinge bewegt. Allhier findet Gott keine Stätte im Menschen, denn der Mensch erlangt mit seiner Armut, was (dass) er ewiglich gewesen ist und immer bleiben soll. Allhier ist Gott im Geist eins, und das ist die tiefste Armut, die man finden kann.

Meister Eckharts mystische Schriften. In unsere Sprache übertragen von Gustav Landauer. München 21920, S 73 – 74 (In Klammern Textversion der ersten Auflage 1903. Die zweite Ausgabe wurde  von Martin Buber bearbeitet und neu herausgegeben)

Für die Wahrheit einstehen

Foto: © wak

Die Wahrheit leben heißt unter anderem, die Wahrheit bekennen und für sie einstehen, nicht in blindem Fanatismus, sondern mit der Stärke der Überzeugung und dem Vorbild der Güte, unter Inkaufnahme des Gespötts jener, denen bis dahin noch jede Spur der höheren Erkenntnis versagt geblieben ist. – Eine der großen mystischen Wahrheiten lautet: Es gibt keine höhere Erkenntnis ohne Selbsterkenntnis.

René Bütler (1923 – 2016)