Wallfahrt nach Kevlaar

Kevelaerer Schluckbild / Foto: (c) wak

Vier gleiche Darstellungen des Kevelaerer Gnadenbildes sind auf diesem Druckbogen zu sehen. Sogenannte Schluckbilder wurden mit dem Kupferstich der Madonna berührt, geweiht, verkauft und von den Pilgernden gegessen. So sollten die Heilkräfte der Muttergottes im Körper der Pilgerinnen und Pilger zur Wirkung kommen.

Siehe auch das berührende Gedicht „Die Wallfahrt nach Kevlaar“ aus dem „Buch der Lieder“ von Heinrich Heine (1797 – 1856)

https://www.staff.uni-mainz.de/pommeren/Gedichte/BdL/Kevlaar.html

Vallfaren till Kevlaar / 1921…

Filmplakat / Archiv

Vallfarten till Kevlaar (Deutsch: Die Wallfahrt nach Kevlaar) ist ein schwedischer Stummfilm aus dem Jahr 1921, inszeniert von Ivan Hedqvist mit einem Drehbuch von Ragnar Hyltén-Cavallius nach Heinrich Heines Gedicht „Die Wallfahrt nach Kevlaar“ aus dem „Buch der Lieder“ von 1827. Der Film ist einer von jenen, die während der sogenannten Blütezeit des schwedischen Stummfilms (oder „dem Goldalter“ des schwedischen Films) produziert wurden.

In den 1820er Jahren überredet eine Mutter ihren Sohn, der nach dem Tod seiner Geliebten aus lauter Melancholie und Trauer bettlägerig geworden ist, sich einer Wallfahrt von Köln nach Kevelaer zur Gnadenkapelle der Mutter Gottes anzuschließen. Dort opfert der Sohn der Madonna ein Herz aus Wachs und bittet sie, seinen Herzschmerz zu heilen. Als die Nacht hereinbricht, erhebt sich die Madonna von ihrem Altarbild, tritt an das Bett des Sohnes und legt ihre Hand auf sein Herz. Als die Mutter aufwacht, stellt sie fest, dass ihr Sohn in der Nacht gestorben ist, und sie lobt die Madonna für ihre Güte.

Der Film wurde im Herbst 1920 gedreht. Die Studioszenen wurden in Filmstaden in Råsunda bei Stockholm gedreht, während einige Außenaufnahmen vor Ort in Köln und im Rheintal gedreht wurden. Die Szenen mit der Kapelle gehören zu denen, die in Råsunda aufgenommen wurden, wo eine Kulisse der originalen Kevelaerer Gnadenkapelle errichtet worden war.

Mehr Informationen zum Film hier: http://www.svenskfilmdatabas.se/en/item/?type=film&itemid=3516

Gesehen werden kann der Film hier:

https://archive.org/details/vallfarten-till-kevlaar-the-pilgrimage-to-kevlaar-1921-ivan-hedqvist

https://www.netflix.com/de/title/81382202

Der Text kann hier nachgelesen werden: https://de.wikisource.org/wiki/Die_Wallfahrt_nach_Kevlaar

Durchbruch des Nichts – Johannes Tauler und Zen

Seine Sprache ist wie ein Bergquell, der aus harten Felsen hervorbricht, wunderbar geschwängert von unbekanntem Kräuterduft und geheimnisvollen Steinkräften.
Heinrich Heine

Foto: © wak

 

„Du musst auf dein Nichts gewiesen werden und sehen, was in dir verborgen und verdeckt liegt. Bleib bei dir selber!“ Oder: „Soll Gott sprechen, so musst du schweigen, soll Gott eingehen, so müssen alle Dinge ihm den Platz räumen.“ Oder: „Du sollst dieses tiefe Schweigen oft und oft in dir haben und es in dir zu einer Gewohnheit werden lassen, so dass es durch Gewohnheit ein fester Besitz in dir werde.“ Anweisungen eines buddhistischen Zen-Meisters? So könnte man auf den ersten Blick zunächst meinen. Doch es sind die Worte eines Menschen des Spätmittelalters, eines christlichen Mystikers. Es sind Sätze von Johannes Tauler, der wahrscheinlich kurz nach 1300 geboren wurde und 1361 starb. Das ihm lange Zeit zugeschriebene Adventslied „Es kommt ein Schiff geladen …“ kennen viele. Weniger bekannt jedoch ist die tiefe mystische Schau Taulers, die in weiten Teilen ganz erstaunliche Parallelen zum Zen aufweist. Sie ist nicht in philosophisch-theologischen Abhandlungen spekulativer Mystik überliefert, sondern in knapp über achtzig Predigten, die vermutlich kurze Zeit nach dem Tode Taulers niedergeschrieben wurden.

Was ist Zen? Und was ist Mystik?

Eine Bemerkung vorab: Wer in der umfangreichen Literatur zum Zen der Frage „Was ist Zen?“ nachgeht, stößt auf mehr oder weniger einleuchtende Be-und Umschreibungen, die häufig in negativer Darstellung angeben, was Zen nicht ist. Was aber ist Zen? Diese Frage muss beantwortet werden, bevor wir Parallelen bei Tauler suchen und finden können. „Zen lehrt, dass die Buddha-Natur, oder die Möglichkeit, Erleuchtung zu erreichen, in jedem innewohnt, aber aus Unwissenheit brachliegt …“ Erreicht wird die Erleuchtung »mit einem plötzlichen Durchbruch der Grenzen des gewöhnlichen, alltäglichen, logischen Denkens« beschreibt die „New Encyclopaedia Britannica“ den Sinn des Zen. Mit den Sätzen: „Im Mittelpunkt der Zen-Praxis steht die ‚sitzende Versenkung‘ (zazen). Sie soll zur Erleuchtung (satori) führen, der plötzlich eintretenden Erkenntnis der Einheit allen Seins, des Heiligsten und des Profansten“, versucht „Meyers Enzyklopädisches Lexikon“ dem Wesen des Zen näher zu kommen.

Und ein Zweites: Was ist Mystik? Das ist wohl am klarsten und eindeutigsten mit dem zu fassen, was der Mystiker erfährt: „Durch die mystischen Berührungen wird der Mensch aus seinem verteilten, gewöhnlich-tag-täglichen Bewusstsein herausgeholt. Er wird ‚eingekehrt‘ und spürt nun, dass in seinem ‚Herzen‘ etwas geschieht. Er wird weiter aus der ‚Eigenheit‘ heraus- und in seinen ‚Grund‘ hereingezogen. Dieser plötzliche Übergang vom Durchschnittsbewusstsein, wo er selbst Herr und Meister ist, zu dem Niveau, auf dem sich der ‚ganz Andere‘ fühlen lässt, ist ein erschütterndes Erlebnis,“ schreibt Paul Mommaers. Und genau darauf gilt es, sich stets neu einzulassen.

Ganz Schüler Meister Eckharts / Foto © wak

 

Weg und Wirkung Johannes Taulers

Wahrscheinlich kurz nach 1300, so wird berichtet, ist Tauler als Sohn einer Straßburger Patrizierfamilie geboren. Früh tritt er in den Predigerorden der Dominikaner ein, widmet sich der Seelsorge und predigt etwa ab 1330 vor allem in Gemeinschaften der Dominikaner und in Häusern der Beginen. Im Zuge eines politischen Machtkampfes zwischen Kaiser und Papst muss Tauler jedoch zusammen mit den anderen Dominikanern aus Straßburg emigrieren. Er geht zunächst nach Basel ins Exil. Verschiedene Reisen führen ihn später nach Köln und an den Niederrhein, bis er 1361 in seiner Heimatstadt stirbt. Die Wirkungsgeschichte Taulers ist ebenso wechselhaft wie eindrucksvoll. Seine Predigten beeinflussten den frühen Reformatoren Martin Luther ebenso wie Luthers Gegenspieler, den revolutionären Thomas Münzer der Bauernkriege. Fast ins Schwärmen kommt im 19. Jahrhundert der Dichter Heinrich Heine in seiner „Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“, wenn er schreibt: „Hier erwähnen wir daher namentlich des Johannes Tauler … Er gehörte zu jenen Mystikern, die ich als die platonische Partei des Mittelalters bezeichnet habe… Seine Sprache ist wie ein Bergquell, der aus harten Felsen hervorbricht, wunderbar geschwängert von unbekanntem Kräuterduft und geheimnisvollen Steinkräften.“ Die geistesgeschichtliche Traditionslinie, auf die Tauler sich bezieht, beginnt mit dem spätantiken Philosophen Proklos (411 – 485 n. Chr.), also etwa um die Zeit, als Bodhidarma, der vor allem in China lebte und 528 gestorben ist, den Zen-Buddhismus begründete. Tauler zitiert Proklos als „heidnischen Lehrmeister“ mit den Worten „willst du aber noch höher kommen, so lass das vernünftige Hinschauen und Anstarren, denn die Vernunft liegt unter dir, und werde eins mit dem Einen. Und er nennt das Eine eine göttliche Finsternis, still, schweigend, schlafend, übersinnlich.“ Auf Proklos stützt sich auch Dionysius Areopagita (um 550 n. Chr.). In seiner Abhandlung über die „Unfassbarkeit Gottes“ schreibt er unter anderem: „Er allein ist der Urgrund, der allumfassende Ursprung alles Seins und Nichtseins, darin Vollkommenheit und Überschwang, die Fülle von Allem und der Verzicht auf alles und die Jenseitigkeit selbst über alles umschlossen liegt. Kein Sein und kein Nichtsein kann Ihn treffen und Ja und Nein erreichen Ihn nicht.“ Auf diese Traditionen greift Tauler zurück, die noch anzureichern sind mit Platon (428/27 – 348/47) und Plotin (um 205 – 270) und die ergänzt werden müssen mit den Kirchenvätern Augustinus (354 – 430) und Thomas von Aquin (1225/6 – 1274) sowie Dominikus (um 1170 – 1221), den Gründer des Dominikanerordens. Etwa in dieser Zeit waren übrigens innerhalb des Buddhismus in Japan die Rinzai-Schule (Eisai 1141 – 1215) und die Soto-Schule (Dogen 1200 – 1253) entstanden. Vor allem und in besonderer Weise ist jedoch der Mystiker Meister Eckhart (um 1260 – 1327) zu nennen, dessen direkter Schüler Johannes Tauler gewesen ist.

Foto: © wak

Aufstieg aus dem Grund

Für Johannes Tauler ist der Mensch immer im Aufstieg, immer in Bewegung. Denn nur so kann er zu dem Durchbruch gelangen, der ihn auf seinem Weg weiterbringt. Nicht eindimensional, sondern in drei Schichten bewegt sich nach Taulers Überzeugung der Mensch dabei von der Selbst- zur Gotteserkenntnis. Eine Passage aus der Predigt „Von der Geburt Gottes im Menschen“ verdeutlicht dies: „Die Seele hat drei edle Kräfte, in denen sie ein reines Abbild der heiligen Dreifaltigkeit ist: Gedächtnis, Verstand und freier Wille. Und mittels dieser Kräfte erfasst sie Gott und ist für ihn empfänglich, so dass sie alles dessen empfänglich werden kann, was Gott ist und hat und geben kann, und vermittels ihrer schaut sie in die Ewigkeit. Denn die Seele ist zwischen Zeit und Ewigkeit geschaffen: Mit ihrem obersten Teile gehört sie in die Ewigkeit, und mit ihrem untersten Teile, mit ihren sinnlichen, tierischen Kräften, gehört sie in die Zeit. Nun ist die Seele sowohl mit ihren obersten wie mit ihren untersten Kräften in die Zeit und die zeitlichen Dinge ausgeströmt, infolge der nahen Verwandtschaft, die die obersten Kräfte zu den untersten haben; daher wird ihr auch dieser Lauf sehr leicht, und sie ist sogar bereit, ganz in die sinnlichen Dinge auszulaufen, und geht so der Ewigkeit verlustig. Wahrhaftig, es muss notwendig ein Rücklauf geschehen, soll diese Geburt geboren werden, es muss eine kräftige Einkehr geschehen, ein Einholen, ein inwendiges Sammeln aller Kräfte, der untersten und der obersten, und so muss eine Vereinigung von aller Zerstreuung stattfinden …“

Louise Gnädinger beschreibt in ihrer Biographie des spätmittelalterlichen Mystikers Tauler, worum es ihm vor allem geht: „Im eigenen, als tief innerlich liegend empfundenen Abgrund stößt der Mensch, hat er sich den Weg dorthin einmal frei gemacht, auf den göttlichen Abgrund. Beide Abgründe, der menschliche und der göttliche, rufen einander zu und herbei, und in dem dynamisch wogenden Hin-und-Her-Rufen führt und leitet der göttliche Abgrund den menschlichen in sich hinein in den Umschwung der Gottheit“. Denn Tauler bleibt in seinen Predigten nicht dabei stehen, die Suche des Menschen nach Reichtum, Ordnung, Gestalt, Wahrheit, Wesen etc. in seiner Ganzheit zu beschreiben. Er geht weiter: „Er tastet nach der letzten Wesenstiefe im Menschen«, schreibt Josef Zapf. „Er ringt um den Überschritt in den göttlichen Grund. Dort vollzieht sich die Geburt Gottes im Menschen.“ Ganz entscheidend für diese Gottesgeburt im Menschen ist Taulers Überzeugung, dass der Mensch ein Nichts ist. Allerdings nicht in dem gemeinhin negativ verstandenen Sinn, sondern so begriffen, dass er dem eigenen Nichts auf den Grund geht. Dass er es sehen kann als Nichtigkeit und Sinnlosigkeit der Welt. Tauler meint, dass der Mensch „von Grund aus sein natürliches und sein gebrechliches Nichts erkennen“ soll. Der Mensch „muss alles lassen, dieses Lassens selbst noch ledig werden es lassen, es für nichts halten und in sein lauteres Nichts sinken.“ Tauler weiß: „Willst du in Gottes Innerstes aufgenommen, in ihn gewandelt werden, so musst du dich deiner selbst entäußern, aller Eigenheit, deiner Neigungen, aller Tätigkeit, aller Anmaßung, aller Weise, in der du dich selber besessen hast; darunter geht es nicht. Zwei Wesen und zwei Formen können nicht zugleich nebeneinander bestehen. Soll das Warme hinein, so muss das Kalte notwendigerweise hinaus. Soll Gott eintreten? Das Geschaffene und alles Eigene muss dafür den Platz räumen. Soll Gott wahrhaftig in dir wirken, so musst du in einem Zustand bloßen Erduldens sein; all deine Kräfte müssen so ganz ihres Wirkens und ihrer Selbstbehauptung entäußert sein, in einem reinen Verleugnen ihres Selbst sich halten, beraubt ihrer eigenen Kraft, in reinem und bloßem Nichts verharren. Je tiefer dieses Zunichtewerden ist, um so wesentlicher und wahrer ist die Vereinigung.“

Sich lösen von äußeren Bildern

Zu dieser Vereinigung von Gott und Mensch, die alle Trennungen aufhebt, gehört für den Seelsorger und Prediger, dass sich der Mensch von allen Bildern löst. „Man findet gar manchen, der in der bildhaften Weise sehr bewandert ist und große Freude an solcher Übung besitzt, aber keinerlei Zugang zur Innerlichkeit seiner Seele hat … Das kommt daher, dass sie zu sehr bei den sinnlichen Bildern verweilen und dabei verharren und nicht vorwärtskommen und nicht in den Grund durchbrechen, wo die lebendige Wahrheit leuchtet: denn man kann nicht zwei Herren dienen: den Sinnen und dem Geist.“ Seine Zuhörer fordert er auf, dass sie „die Bilder bald fahren lassen und mit flammender Liebe durch den mittleren in den allerinnersten Menschen hindurchdringen.“ Und wie Proklus meint Tauler: „Solange der Mensch mit den Bildern, die unter uns sind, beschäftigt ist und damit umgeht, wird er niemals in den Grund gelangen.“ Für Tauler gehört existentiell zum Gelingen des Durchbruchs die Abgeschiedenheit vom Äußeren, das Aufgeben der Anhänglichkeit an Dinge, Geschöpfe oder Gewohnheiten, der Blick der Einfachheit, die Einkehr in den Grund und der Einklang mit Gott, der Grund des Menschen und sein Nichts mit all seinen Facetten, das Erkennen des Selbst, das Schweigen, damit Gott sprechen kann …

 

Foto: © wak

 

Vom Gewahr-Werden zum Gewahr-Sein: hier und jetzt

Tauler geht es in seinen Predigten nicht um intellektuelle Anregungen, sondern er gibt praktische Anweisungen. Er mahnt seine Zuhörerinnen und Zuhörer immer wieder, ihres Selbst gewahr zu werden, aufmerksam zu werden, sich zu beachten und zu beobachten, um in diesem Prozess ihres Selbst gewahr zu sein. In der beobachtenden Teilnahme des Menschen ist er fähig, die Kräfte seines Gemütes zu erkennen und zu aktivieren, den Grund unseres Geistes. Denn das Gemüt „steht bei weitem höher und innerlicher als die Kräfte; diese haben all ihr Vermögen von ihm und sind darin und von da heraus geflossen … es erkennt sich als Gott in Gott, und dennoch ist es geschaffen.“ Und wieder zitiert Tauler hier in der 53. Predigt den spätantiken Philosophen Proklus mit den Worten: „Wir suchen auf verborgene Weise das Eine, das weit über Vernunft und Erkenntnis steht.“.

Dazu gehört auch: das Un-Erklärbare, das Un-Beschreibliche, dem wir uns ständig gegenübersehen, hat sich nicht irgendwo, sondern im konkreten Leben zu bewähren, im Hier und Jetzt. Das gilt für Zen ebenso wie für Mystik. Im Buddhismus wie bei Tauler. Entscheidend ist dafür jedoch nicht eine spirituelle Innendekoration, ein Verhüllen der inneren Wände mit frommen Tüchern. Ganz existentiell ist die Erfahrung der Tiefe des eigenen Grundes im wirkenden Grund göttlichen Seins. Bei Tauler klingt das so: „Dann soll der Mensch die Eigenschaft der Einsamkeit Gottes in der stillen Leere betrachten … Denn dort ist alles still, geheimnisvoll und leer. Darin ist nichts als die lautere Gottheit. Dorthin kam nie etwas Fremdes, kein Geschöpf, kein Bild, keine Form.“

© Werner Anahata Krebber

Seine Sprache ist wie ein Bergquell – Johannes Tauler im Mystikkreis am 6. Januar 2019

Wir haben es vielleicht noch im Ohr, das Lied „Es kommt ein Schiff geladen“, das in der Adventszeit häufig gespielt wird. Es soll von Johannes Tauler stammen, jenem Dominkaner aus Straßburg, der um 1300 in Straßburg geboren wurde und Schüler von Meister Eckhart war. Durch seine Predigten, dem Massenmedium des Mittelalters, blieb er in katholischen Kreisen ebenso präsent, wie er es in der protestantischen Kirche wurde. „Tauler hat die Menschen ungeheuer beeindruckt — auch Martin Luther. Der Tauler-Hype ging teilweise soweit, dass Predigten, die für gut befunden wurden, aber gar nicht von ihm waren, trotzdem ihm zugeschrieben wurden. Es entstand so etwas wie eine Marke Tauler.“ So ein Fachmann für geistliche Literatur. Wie Martin Luther hatte Tauler den Menschen „aufs Maul geschaut“ und sich in ihrer Sprache ihnen zugewandt.  Als Schüler des „Lesemeisters“, wie man Meister Eckhart nannte, war er der „Lebemeister“, der viele Gedanken Eckharts heruntergebrochen hat auf die nicht akademische (oder ungelehrt scheinende) Sprache und Empfindungswelt der Menschen.

„Seine Sprache ist wie ein Bergquell, der aus harten Felsen hervorbricht, wunderbar geschwängert von unbekanntem Kräuterduft und geheimnisvollen Steinkräften.“ Wohl kaum unverfänglicher als Heinrich Heine könnte jemand über Johannes Tauler sprechen und eine Brücke in die Gegenwart bauen. Doch was wollte Johannes Tauler? Ihm geht es in seinen Predigten nicht um intellektuelle Anregungen, sondern er gibt praktische Anweisungen. Er mahnt seine Zuhörerinnen und Zuhörer immer wieder, ihres Selbst gewahr zu werden, aufmerksam zu werden, sich zu beachten und zu beobachten, um in diesem Prozess ihres Selbst gewahr zu sein.

Um uns genauer anzusehen, wie aktuell die Predigten Taulers heute noch sind, werden wir uns am 6. Januar damit ausführlicher beschäftigen.

 

Organisatorisches:

Damit wir besser planen können, bitten wir um die Anmeldung bis zum 2. Januar. Vielen Dank!

Wir treffen uns an jedem ersten Sonntag im Monat im Kölner Stadtteil Sülz. An diesen Sonntagen wird für beides Zeit sein – für stilles kontemplatives Sitzen und für das Studieren mystischer Texte & Themen sowie den gemeinsamen Austausch.

Der private Kurs ist auf 12 Teilnehmer beschränkt. Kostenbeitrag: 15,– Euro

Wir freuen uns auf Euer / Ihr Kommen:

Rani Kaluza http://doingnothing.de/
Werner A. Krebber https://mystikaktuell.wordpress.com/

Informationen und Anmeldung auch hier:  https://www.facebook.com/events/1606240616144407/

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Bitte schon mal vormerken:  Am ersten Sonntag im Februar (3.2.) wird es einen Doing Nothing-Sonntag geben…

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Bisherige Themen im Kölner Mystikkreis:

– Mystik aktuell? – Texte aus Tradition und Gegenwart christlicher Mystik
– Meister Eckhart: Leben – Wirken – Aktualität
– Die Wolke des Nichtwissens
– Thomas Merton: Mönch – Poet – Rebell
– Beginen: Die Strahlkraft der Mystikerinnen Mechthild von Magdeburg, Hadewijch von Antwerpen, Marguerite Porète
– Die Katharer: (Un)Glaube im Widerspruch

 

Die Welt ist die Signatur des Wortes

Foto: © wak

Text der Lichtinstallation von Joseph Kosuth aus Heinrich Heines „Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“ (1834/52) im  „Zentrum für Internationale Lichtkunst“ in Unna.

Einen ausführlichen Artikel über das Zentrum gibt es hier: https://www.theomag.de/15/am48.htm unter dem Titel: Ein Juwel am Rande des Ruhrgebiets

Siehe auch hier: https://www.lichtkunst-unna.de/de/startseite

Die Wallfahrt nach Kevlaar

Schluckbildchen der Kevelaerer Madonna (um 1780)  Foto: © wak

Auf dem Druckbogen sind vier gleiche Darstellungen des Kevelaerer Gnadenbildes zu sehen. Sie wurden mit dem Kupferstich der Madonna berührt, geweiht, verkauft und von den Pilgernden gegessen. So sollten die Heilkräfte der Muttergottes im Körper der Pilgerinnen und Pilger wirken.
Zu sehen sind sie in der Ausstellung „Der geteilte Himmel“ im RuhrMuseum in Essen.

Siehe auch: Heinrich Heine, Die Wallfahrt nach Kevlaar

https://www.staff.uni-mainz.de/pommeren/Gedichte/BdL/Kevlaar.html

Die Heil’gen Drei Könige aus Morgenland

mueller_die_heiligen_drei_koenigeBildquelle: wikimedia / gemeinfrei

 

Die Heil’gen Drei Könige aus Morgenland,
Sie frugen in jedem Städtchen:
„Wo geht der Weg nach Bethlehem,
Ihr lieben Buben und Mädchen?“

Die Jungen und Alten, sie wußten es nicht,
Die Könige zogen weiter;
Sie folgten einem goldenen Stern,
Der leuchtete lieblich und heiter.

Der Stern blieb stehn über Josephs Haus,
Da sind sie hineingegangen;
Das Öchslein brüllte, das Kindlein schrie,
Die Heil’gen Drei Könige sangen.

Heinrich Heine im „Buch der Lieder“, Die Heimkehr XXXVII, Gedichte (1817-1826)

Johannes Tauler und Zen: Zum Durchbruch gelangen

„Seine Sprache ist wie ein Bergquell, der aus harten Felsen hervorbricht, wunderbar geschwängert von unbekanntem Kräuterduft und geheimnisvollen Steinkräften.“

Heinrich Heine über Johannes Tauler

„Du musst auf dein Nichts gewiesen werden und sehen, was in dir verborgen und verdeckt liegt. Bleib bei dir selber!“ Oder: „Soll Gott sprechen, so musst du schweigen, soll Gott eingehen, so müssen alle Dinge ihm den Platz räumen.“ Oder: „Du sollst dieses tiefe Schweigen oft und oft in dir haben und es in dir zu einer Gewohnheit werden lassen, so dass es durch Gewohnheit ein fester Besitz in dir werde.“ Anweisungen eines buddhistischen Zen-Meisters? So könnte man auf den ersten Blick zunächst meinen. Doch es sind die Worte eines Menschen des Spätmittelalters, eines christlichen Mystikers. Es sind Sätze von Johannes Tauler, der wahrscheinlich kurz nach 1300 geboren wurde und 1361 starb. Das ihm lange Zeit zugeschriebene Adventslied „Es kommt ein Schiff geladen …“ kennen viele. Weniger bekannt jedoch ist die tiefe mystische Schau Taulers, die in weiten Teilen ganz erstaunliche Parallelen zum Zen aufweist. Sie ist nicht in philosophisch-theologischen Abhandlungen spekulativer Mystik überliefert, sondern in knapp über achtzig Predigten, die vermutlich kurze Zeit nach dem Tode Taulers niedergeschrieben wurden.

Was ist Zen? Und was ist Mystik?

Eine Bemerkung vorab: Wer in der umfangreichen Literatur zum Zen der Frage „Was ist Zen?“ nachgeht, stößt auf mehr oder weniger einleuchtende Be-und Umschreibungen, die häufig in negativer Darstellung angeben, was Zen nicht ist. Was aber ist Zen? Diese Frage muss beantwortet werden, bevor wir Parallelen bei Tauler suchen und finden können. „Zen lehrt, dass die Buddha-Natur, oder die Möglichkeit, Erleuchtung zu erreichen, in jedem innewohnt, aber aus Unwissenheit brachliegt …“ Erreicht wird die Erleuchtung »mit einem plötzlichen Durchbruch der Grenzen des gewöhnlichen, alltäglichen, logischen Denkens« beschreibt die „New Encyclopaedia Britannica“ den Sinn des Zen. Mit den Sätzen: „Im Mittelpunkt der Zen-Praxis steht die ‚sitzende Versenkung‘ (zazen). Sie soll zur Erleuchtung (satori) führen, der plötzlich eintretenden Erkenntnis der Einheit allen Seins, des Heiligsten und des Profansten“, versucht „Meyers Enzyklopädisches Lexikon“ dem Wesen des Zen näher zu kommen.

Und ein Zweites: Was ist Mystik? Das ist wohl am klarsten und eindeutigsten mit dem zu fassen, was der Mystiker erfährt: „Durch die mystischen Berührungen wird der Mensch aus seinem verteilten, gewöhnlich-tag-täglichen Bewusstsein herausgeholt. Er wird ‚eingekehrt‘ und spürt nun, dass in seinem ‚Herzen‘ etwas geschieht. Er wird weiter aus der ‚Eigenheit‘ heraus- und in seinen ‚Grund‘ hereingezogen. Dieser plötzliche Übergang vom Durchschnittsbewusstsein, wo er selbst Herr und Meister ist, zu dem Niveau, auf dem sich der ‚ganz Andere‘ fühlen lässt, ist ein erschütterndes Erlebnis,“ schreibt Paul Mommaers. Und genau darauf gilt es, sich stets neu einzulassen.

Weg und Wirkung Johannes Taulers

Wahrscheinlich kurz nach 1300, so wird berichtet, ist Tauler als Sohn einer Straßburger Patrizierfamilie geboren. Früh tritt er in den Predigerorden der Dominikaner ein, widmet sich der Seelsorge und predigt etwa ab 1330 vor allem in Gemeinschaften der Dominikaner und in Häusern der Beginen. Im Zuge eines politischen Machtkampfes zwischen Kaiser und Papst muss Tauler jedoch zusammen mit den anderen Dominikanern aus Straßburg emigrieren. Er geht zunächst nach Basel ins Exil. Verschiedene Reisen führen ihn später nach Köln und an den Niederrhein, bis er 1361 in seiner Heimatstadt stirbt. Die Wirkungsgeschichte Taulers ist ebenso wechselhaft wie eindrucksvoll. Seine Predigten beeinflussten den frühen Reformatoren Martin Luther ebenso wie Luthers Gegenspieler, den revolutionären Thomas Müntzer der Bauernkriege. Fast ins Schwärmen kommt im 19. Jahrhundert der Dichter Heinrich Heine in seiner „Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“, wenn er schreibt: „Hier erwähnen wir daher namentlich des Johannes Tauler … Er gehörte zu jenen Mystikern, die ich als die platonische Partei des Mittelalters bezeichnet habe… Seine Sprache ist wie ein Bergquell, der aus harten Felsen hervorbricht, wunderbar geschwängert von unbekanntem Kräuterduft und geheimnisvollen Steinkräften.“ Die geistesgeschichtliche Traditionslinie, auf die Tauler sich bezieht, beginnt mit dem spätantiken Philosophen Proklos (411 – 485 n. Chr.), also etwa um die Zeit, als Bodhidarma, der vor allem in China lebte und 528 gestorben ist, den Zen-Buddhismus begründete. Tauler zitiert Proklos als „heidnischen Lehrmeister“ mit den Worten „willst du aber noch höher kommen, so lass das vernünftige Hinschauen und Anstarren, denn die Vernunft liegt unter dir, und werde eins mit dem Einen. Und er nennt das Eine eine göttliche Finsternis, still, schweigend, schlafend, übersinnlich.“ Auf Proklos stützt sich auch Dionysius Areopagita (um 550 n. Chr.). In seiner Abhandlung über die „Unfassbarkeit Gottes“ schreibt er unter anderem: „Er allein ist der Urgrund, der allumfassende Ursprung alles Seins und Nichtseins, darin Vollkommenheit und Überschwang, die Fülle von Allem und der Verzicht auf alles und die Jenseitigkeit selbst über alles umschlossen liegt. Kein Sein und kein Nichtsein kann Ihn treffen und Ja und Nein erreichen Ihn nicht.“ Auf diese Traditionen greift Tauler zurück, die noch anzureichern sind mit Platon (428/27 – 348/47) und Plotin (um 205 – 270) und die ergänzt werden müssen mit den Kirchenvätern Augustinus (354 – 430) und Thomas von Aquin (1225/6 – 1274) sowie Dominikus (um 1170 – 1221), den Gründer des Dominikanerordens. Etwa in dieser Zeit waren übrigens innerhalb des Buddhismus in Japan die Rinzai-Schule (Eisai 1141 – 1215) und die Soto-Schule (Dogen 1200 – 1253) entstanden. Vor allem und in besonderer Weise ist jedoch der Mystiker Meister Eckhart (um 1260 – 1327) zu nennen, dessen direkter Schüler Johannes Tauler gewesen ist.

Aufstieg aus dem Grund

Für Johannes Tauler ist der Mensch immer im Aufstieg, immer in Bewegung. Denn nur so kann er zu dem Durchbruch gelangen, der ihn auf seinem Weg weiterbringt. Nicht eindimensional, sondern in drei Schichten bewegt sich nach Taulers Überzeugung der Mensch dabei von der Selbst- zur Gotteserkenntnis. Eine Passage aus der Predigt „Von der Geburt Gottes im Menschen“ verdeutlicht dies: „Die Seele hat drei edle Kräfte, in denen sie ein reines Abbild der heiligen Dreifaltigkeit ist: Gedächtnis, Verstand und freier Wille. Und mittels dieser Kräfte erfasst sie Gott und ist für ihn empfänglich, so dass sie alles dessen empfänglich werden kann, was Gott ist und hat und geben kann, und vermittels ihrer schaut sie in die Ewigkeit. Denn die Seele ist zwischen Zeit und Ewigkeit geschaffen: Mit ihrem obersten Teile gehört sie in die Ewigkeit, und mit ihrem untersten Teile, mit ihren sinnlichen, tierischen Kräften, gehört sie in die Zeit. Nun ist die Seele sowohl mit ihren obersten wie mit ihren untersten Kräften in die Zeit und die zeitlichen Dinge ausgeströmt, infolge der nahen Verwandtschaft, die die obersten Kräfte zu den untersten haben; daher wird ihr auch dieser Lauf sehr leicht, und sie ist sogar bereit, ganz in die sinnlichen Dinge auszulaufen, und geht so der Ewigkeit verlustig. Wahrhaftig, es muss notwendig ein Rücklauf geschehen, soll diese Geburt geboren werden, es muss eine kräftige Einkehr geschehen, ein Einholen, ein inwendiges Sammeln aller Kräfte, der untersten und der obersten, und so muss eine Vereinigung von aller Zerstreuung stattfinden …“

Louise Gnädinger beschreibt in ihrer Biographie des spätmittelalterlichen Mystikers Tauler, worum es ihm vor allem geht: „Im eigenen, als tief innerlich liegend empfundenen Abgrund stößt der Mensch, hat er sich den Weg dorthin einmal frei gemacht, auf den göttlichen Abgrund. Beide Abgründe, der menschliche und der göttliche, rufen einander zu und herbei, und in dem dynamisch wogenden Hin-und-Her-Rufen führt und leitet der göttliche Abgrund den menschlichen in sich hinein in den Umschwung der Gottheit“. Denn Tauler bleibt in seinen Predigten nicht dabei stehen, die Suche des Menschen nach Reichtum, Ordnung, Gestalt, Wahrheit, Wesen etc. in seiner Ganzheit zu beschreiben. Er geht weiter: „Er tastet nach der letzten Wesenstiefe im Menschen«, schreibt Josef Zapf. „Er ringt um den Überschritt in den göttlichen Grund. Dort vollzieht sich die Geburt Gottes im Menschen.“ Ganz entscheidend für diese Gottesgeburt im Menschen ist Taulers Überzeugung, dass der Mensch ein Nichts ist. Allerdings nicht in dem gemeinhin negativ verstandenen Sinn, sondern so begriffen, dass er dem eigenen Nichts auf den Grund geht. Dass er es sehen kann als Nichtigkeit und Sinnlosigkeit der Welt. Tauler meint, dass der Mensch „von Grund aus sein natürliches und sein gebrechliches Nichts erkennen“ soll. Der Mensch „muss alles lassen, dieses Lassens selbst noch ledig werden es lassen, es für nichts halten und in sein lauteres Nichts sinken.“ Tauler weiß: „Willst du in Gottes Innerstes aufgenommen, in ihn gewandelt werden, so musst du dich deiner selbst entäußern, aller Eigenheit, deiner Neigungen, aller Tätigkeit, aller Anmaßung, aller Weise, in der du dich selber besessen hast; darunter geht es nicht. Zwei Wesen und zwei Formen können nicht zugleich nebeneinander bestehen. Soll das Warme hinein, so muss das Kalte notwendigerweise hinaus. Soll Gott eintreten? Das Geschaffene und alles Eigene muss dafür den Platz räumen. Soll Gott wahrhaftig in dir wirken, so musst du in einem Zustand bloßen Erduldens sein; all deine Kräfte müssen so ganz ihres Wirkens und ihrer Selbstbehauptung entäußert sein, in einem reinen Verleugnen ihres Selbst sich halten, beraubt ihrer eigenen Kraft, in reinem und bloßem Nichts verharren. Je tiefer dieses Zunichtewerden ist, um so wesentlicher und wahrer ist die Vereinigung.“

Sich lösen von äußeren Bildern

Zu dieser Vereinigung von Gott und Mensch, die alle Trennungen aufhebt, gehört für den Seelsorger und Prediger, dass sich der Mensch von allen Bildern löst. „Man findet gar manchen, der in der bildhaften Weise sehr bewandert ist und große Freude an solcher Übung besitzt, aber keinerlei Zugang zur Innerlichkeit seiner Seele hat … Das kommt daher, dass sie zu sehr bei den sinnlichen Bildern verweilen und dabei verharren und nicht vorwärtskommen und nicht in den Grund durchbrechen, wo die lebendige Wahrheit leuchtet: denn man kann nicht zwei Herren dienen: den Sinnen und dem Geist.“ Seine Zuhörer fordert er auf, dass sie „die Bilder bald fahren lassen und mit flammender Liebe durch den mittleren in den allerinnersten Menschen hindurchdringen.“ Und wie Proklus meint Tauler: „Solange der Mensch mit den Bildern, die unter uns sind, beschäftigt ist und damit umgeht, wird er niemals in den Grund gelangen.“ Für Tauler gehört existentiell zum Gelingen des Durchbruchs die Abgeschiedenheit vom Äußeren, das Aufgeben der Anhänglichkeit an Dinge, Geschöpfe oder Gewohnheiten, der Blick der Einfachheit, die Einkehr in den Grund und der Einklang mit Gott, der Grund des Menschen und sein Nichts mit all seinen Facetten, das Erkennen des Selbst, das Schweigen, damit Gott sprechen kann …

Vom Gewahr-Werden zum Gewahr-Sein: hier und jetzt

Tauler geht es in seinen Predigten nicht um intellektuelle Anregungen, sondern er gibt praktische Anweisungen. Er mahnt seine Zuhörerinnen und Zuhörer immer wieder, ihres Selbst gewahr zu werden, aufmerksam zu werden, sich zu beachten und zu beobachten, um in diesem Prozess ihres Selbst gewahr zu sein. In der beobachtenden Teilnahme des Menschen ist er fähig, die Kräfte seines Gemütes zu erkennen und zu aktivieren, den Grund unseres Geistes. Denn das Gemüt „steht bei weitem höher und innerlicher als die Kräfte; diese haben all ihr Vermögen von ihm und sind darin und von da heraus geflossen … es erkennt sich als Gott in Gott, und dennoch ist es geschaffen.“ Und wieder zitiert Tauler hier in der 53. Predigt den spätantiken Philosophen Proklus mit den Worten: „Wir suchen auf verborgene Weise das Eine, das weit über Vernunft und Erkenntnis steht.“.

Dazu gehört auch: das Un-Erklärbare, das Un-Beschreibliche, dem wir uns ständig gegenübersehen, hat sich nicht irgendwo, sondern im konkreten Leben zu bewähren, im Hier und Jetzt. Das gilt für Zen ebenso wie für Mystik. Im Buddhismus wie bei Tauler. Entscheidend ist dafür jedoch nicht eine spirituelle Innendekoration, ein Verhüllen der inneren Wände mit frommen Tüchern. Ganz existentiell ist die Erfahrung der Tiefe des eigenen Grundes im wirkenden Grund göttlichen Seins. Bei Tauler klingt das so: „Dann soll der Mensch die Eigenschaft der Einsamkeit Gottes in der stillen Leere betrachten … Denn dort ist alles still, geheimnisvoll und leer. Darin ist nichts als die lautere Gottheit. Dorthin kam nie etwas Fremdes, kein Geschöpf, kein Bild, keine Form.“

© Werner Anahata Krebber

 

Mehr Texte zu Mystik und Spiritualität hier:

https://mystikaktuell.wordpress.com/auf-einen-blick-spirituelle-anregungen-von-werner-a-krebber/

 

Der Mystiker Johannes Tauler und Zen

„Seine Sprache ist wie ein Bergquell, der aus harten Felsen hervorbricht, wunderbar geschwängert von unbekanntem Kräuterduft und geheimnisvollen Steinkräften.“ Heinrich Heine über Johannes Tauler

 

“Du musst auf dein Nichts gewiesen werden und sehen, was in dir verborgen und verdeckt liegt. Bleib bei dir selber!“ Oder: „Soll Gott sprechen, so musst du schweigen, soll Gott eingehen, so müssen alle Dinge ihm den Platz räumen.“ Oder: „Du sollst dieses tiefe Schweigen oft und oft in dir haben und es in dir zu einer Gewohnheit werden lassen, so dass es durch Gewohnheit ein fester Besitz in dir werde.“ Anweisungen eines buddhistischen Zen-Meisters? So könnte man auf den ersten Blick zunächst meinen. Doch es sind die Worte eines Menschen des Spätmittelalters, eines christlichen Mystikers. Es sind Sätze von Johannes Tauler, der wahrscheinlich kurz nach 1300 geboren wurde und 1361 starb. Das ihm lange Zeit zugeschriebene Adventslied „Es kommt ein Schiff geladen …“ kennen viele. Weniger bekannt jedoch ist die tiefe mystische Schau Taulers, die in weiten Teilen ganz erstaunliche Parallelen zum Zen aufweist. Sie ist nicht in philosophisch-theologischen Abhandlungen spekulativer Mystik überliefert, sondern in knapp über achtzig Predigten, die vermutlich kurze Zeit nach dem Tode Taulers niedergeschrieben wurden.

Was ist Zen? Und was ist Mystik?

Eine Bemerkung vorab: Wer in der umfangreichen Literatur zum Zen der Frage „Was ist Zen?“ nachgeht, stößt auf mehr oder weniger einleuchtende Be-und Umschreibungen, die häufig in negativer Darstellung angeben, was Zen nicht ist. Was aber ist Zen? Diese Frage muss beantwortet werden, bevor wir Parallelen bei Tauler suchen und finden können. „Zen lehrt, dass die Buddha-Natur, oder die Möglichkeit, Erleuchtung zu erreichen, in jedem innewohnt, aber aus Unwissenheit brachliegt …“ Erreicht wird die Erleuchtung »mit einem plötzlichen Durchbruch der Grenzen des gewöhnlichen, alltäglichen, logischen Denkens« beschreibt die „New Encyclopaedia Britannica“ den Sinn des Zen. Mit den Sätzen: „Im Mittelpunkt der Zen-Praxis steht die ‚sitzende Versenkung‘ (zazen). Sie soll zur Erleuchtung (satori) führen, der plötzlich eintretenden Erkenntnis der Einheit allen Seins, des Heiligsten und des Profansten“, versucht „Meyers Enzyklopädisches Lexikon“ dem Wesen des Zen näher zu kommen.

Und ein Zweites: Was ist Mystik? Das ist wohl am klarsten und eindeutigsten mit dem zu fassen, was der Mystiker erfährt: „Durch die mystischen Berührungen wird der Mensch aus seinem verteilten, gewöhnlich-tag-täglichen Bewusstsein herausgeholt. Er wird ‚eingekehrt‘ und spürt nun, dass in seinem ‚Herzen‘ etwas geschieht. Er wird weiter aus der ‚Eigenheit‘ heraus- und in seinen ‚Grund‘ hereingezogen. Dieser plötzliche Übergang vom Durchschnittsbewusstsein, wo er selbst Herr und Meister ist, zu dem Niveau, auf dem sich der ‚ganz Andere‘ fühlen lässt, ist ein erschütterndes Erlebnis,“ schreibt Paul Mommaers. Und genau darauf gilt es, sich stets neu einzulassen.

Weg und Wirkung Johannes Taulers

Wahrscheinlich kurz nach 1300, so wird berichtet, ist Tauler als Sohn einer Straßburger Patrizierfamilie geboren. Früh tritt er in den Predigerorden der Dominikaner ein, widmet sich der Seelsorge und predigt etwa ab 1330 vor allem in Gemeinschaften der Dominikaner und in Häusern der Beginen. Im Zuge eines politischen Machtkampfes zwischen Kaiser und Papst muss Tauler jedoch zusammen mit den anderen Dominikanern aus Straßburg emigrieren. Er geht zunächst nach Basel ins Exil. Verschiedene Reisen führen ihn später nach Köln und an den Niederrhein, bis er 1361 in seiner Heimatstadt stirbt. Die Wirkungsgeschichte Taulers ist ebenso wechselhaft wie eindrucksvoll. Seine Predigten beeinflussten den frühen Reformatoren Martin Luther ebenso wie Luthers Gegenspieler, den revolutionären Thomas Münzer der Bauernkriege. Fast ins Schwärmen kommt im 19. Jahrhundert der Dichter Heinrich Heine in seiner „Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“, wenn er schreibt: „Hier erwähnen wir daher namentlich des Johannes Tauler … Er gehörte zu jenen Mystikern, die ich als die platonische Partei des Mittelalters bezeichnet habe… Seine Sprache ist wie ein Bergquell, der aus harten Felsen hervorbricht, wunderbar geschwängert von unbekanntem Kräuterduft und geheimnisvollen Steinkräften.“ Die geistesgeschichtliche Traditionslinie, auf die Tauler sich bezieht, beginnt mit dem spätantiken Philosophen Proklos (411 – 485 n. Chr.), also etwa um die Zeit, als Bodhidarma, der vor allem in China lebte und 528 gestorben ist, den Zen-Buddhismus begründete. Tauler zitiert Proklos als „heidnischen Lehrmeister“ mit den Worten „willst du aber noch höher kommen, so lass das vernünftige Hinschauen und Anstarren, denn die Vernunft liegt unter dir, und werde eins mit dem Einen. Und er nennt das Eine eine göttliche Finsternis, still, schweigend, schlafend, übersinnlich.“ Auf Proklos stützt sich auch Dionysius Areopagita (um 550 n. Chr.). In seiner Abhandlung über die „Unfassbarkeit Gottes“ schreibt er unter anderem: „Er allein ist der Urgrund, der allumfassende Ursprung alles Seins und Nichtseins, darin Vollkommenheit und Überschwang, die Fülle von Allem und der Verzicht auf alles und die Jenseitigkeit selbst über alles umschlossen liegt. Kein Sein und kein Nichtsein kann Ihn treffen und Ja und Nein erreichen Ihn nicht.“ Auf diese Traditionen greift Tauler zurück, die noch anzureichern sind mit Platon (428/27 – 348/47) und Plotin (um 205 – 270) und die ergänzt werden müssen mit den Kirchenvätern Augustinus (354 – 430) und Thomas von Aquin (1225/6 – 1274) sowie Dominikus (um 1170 – 1221), den Gründer des Dominikanerordens. Etwa in dieser Zeit waren übrigens innerhalb des Buddhismus in Japan die Rinzai-Schule (Eisai 1141 – 1215) und die Soto-Schule (Dogen 1200 – 1253) entstanden. Vor allem und in besonderer Weise ist jedoch der Mystiker Meister Eckhart (um 1260 – 1327) zu nennen, dessen direkter Schüler Johannes Tauler gewesen ist.

Aufstieg aus dem Grund

Für Johannes Tauler ist der Mensch immer im Aufstieg, immer in Bewegung. Denn nur so kann er zu dem Durchbruch gelangen, der ihn auf seinem Weg weiterbringt. Nicht eindimensional, sondern in drei Schichten bewegt sich nach Taulers Überzeugung der Mensch dabei von der Selbst- zur Gotteserkenntnis. Eine Passage aus der Predigt „Von der Geburt Gottes im Menschen“ verdeutlicht dies: „Die Seele hat drei edle Kräfte, in denen sie ein reines Abbild der heiligen Dreifaltigkeit ist: Gedächtnis, Verstand und freier Wille. Und mittels dieser Kräfte erfasst sie Gott und ist für ihn empfänglich, so dass sie alles dessen empfänglich werden kann, was Gott ist und hat und geben kann, und vermittels ihrer schaut sie in die Ewigkeit. Denn die Seele ist zwischen Zeit und Ewigkeit geschaffen: Mit ihrem obersten Teile gehört sie in die Ewigkeit, und mit ihrem untersten Teile, mit ihren sinnlichen, tierischen Kräften, gehört sie in die Zeit. Nun ist die Seele sowohl mit ihren obersten wie mit ihren untersten Kräften in die Zeit und die zeitlichen Dinge ausgeströmt, infolge der nahen Verwandtschaft, die die obersten Kräfte zu den untersten haben; daher wird ihr auch dieser Lauf sehr leicht, und sie ist sogar bereit, ganz in die sinnlichen Dinge auszulaufen, und geht so der Ewigkeit verlustig. Wahrhaftig, es muss notwendig ein Rücklauf geschehen, soll diese Geburt geboren werden, es muss eine kräftige Einkehr geschehen, ein Einholen, ein inwendiges Sammeln aller Kräfte, der untersten und der obersten, und so muss eine Vereinigung von aller Zerstreuung stattfinden …“

Louise Gnädinger beschreibt in ihrer Biographie des spätmittelalterlichen Mystikers Tauler, worum es ihm vor allem geht: „Im eigenen, als tief innerlich liegend empfundenen Abgrund stößt der Mensch, hat er sich den Weg dorthin einmal frei gemacht, auf den göttlichen Abgrund. Beide Abgründe, der menschliche und der göttliche, rufen einander zu und herbei, und in dem dynamisch wogenden Hin-und-Her-Rufen führt und leitet der göttliche Abgrund den menschlichen in sich hinein in den Umschwung der Gottheit“. Denn Tauler bleibt in seinen Predigten nicht dabei stehen, die Suche des Menschen nach Reichtum, Ordnung, Gestalt, Wahrheit, Wesen etc. in seiner Ganzheit zu beschreiben. Er geht weiter: „Er tastet nach der letzten Wesenstiefe im Menschen«, schreibt Josef Zapf. „Er ringt um den Überschritt in den göttlichen Grund. Dort vollzieht sich die Geburt Gottes im Menschen.“ Ganz entscheidend für diese Gottesgeburt im Menschen ist Taulers Überzeugung, dass der Mensch ein Nichts ist. Allerdings nicht in dem gemeinhin negativ verstandenen Sinn, sondern so begriffen, dass er dem eigenen Nichts auf den Grund geht. Dass er es sehen kann als Nichtigkeit und Sinnlosigkeit der Welt. Tauler meint, dass der Mensch „von Grund aus sein natürliches und sein gebrechliches Nichts erkennen“ soll. Der Mensch „muss alles lassen, dieses Lassens selbst noch ledig werden es lassen, es für nichts halten und in sein lauteres Nichts sinken.“ Tauler weiß: „Willst du in Gottes Innerstes aufgenommen, in ihn gewandelt werden, so musst du dich deiner selbst entäußern, aller Eigenheit, deiner Neigungen, aller Tätigkeit, aller Anmaßung, aller Weise, in der du dich selber besessen hast; darunter geht es nicht. Zwei Wesen und zwei Formen können nicht zugleich nebeneinander bestehen. Soll das Warme hinein, so muss das Kalte notwendigerweise hinaus. Soll Gott eintreten? Das Geschaffene und alles Eigene muss dafür den Platz räumen. Soll Gott wahrhaftig in dir wirken, so musst du in einem Zustand bloßen Erduldens sein; all deine Kräfte müssen so ganz ihres Wirkens und ihrer Selbstbehauptung entäußert sein, in einem reinen Verleugnen ihres Selbst sich halten, beraubt ihrer eigenen Kraft, in reinem und bloßem Nichts verharren. Je tiefer dieses Zunichtewerden ist, um so wesentlicher und wahrer ist die Vereinigung.“

Sich lösen von äußeren Bildern

Zu dieser Vereinigung von Gott und Mensch, die alle Trennungen aufhebt, gehört für den Seelsorger und Prediger, dass sich der Mensch von allen Bildern löst. „Man findet gar manchen, der in der bildhaften Weise sehr bewandert ist und große Freude an solcher Übung besitzt, aber keinerlei Zugang zur Innerlichkeit seiner Seele hat … Das kommt daher, dass sie zu sehr bei den sinnlichen Bildern verweilen und dabei verharren und nicht vorwärtskommen und nicht in den Grund durchbrechen, wo die lebendige Wahrheit leuchtet: denn man kann nicht zwei Herren dienen: den Sinnen und dem Geist.“ Seine Zuhörer fordert er auf, dass sie „die Bilder bald fahren lassen und mit flammender Liebe durch den mittleren in den allerinnersten Menschen hindurchdringen.“ Und wie Proklus meint Tauler: „Solange der Mensch mit den Bildern, die unter uns sind, beschäftigt ist und damit umgeht, wird er niemals in den Grund gelangen.“ Für Tauler gehört existentiell zum Gelingen des Durchbruchs die Abgeschiedenheit vom Äußeren, das Aufgeben der Anhänglichkeit an Dinge, Geschöpfe oder Gewohnheiten, der Blick der Einfachheit, die Einkehr in den Grund und der Einklang mit Gott, der Grund des Menschen und sein Nichts mit all seinen Facetten, das Erkennen des Selbst, das Schweigen, damit Gott sprechen kann …

Vom Gewahr-Werden zum Gewahr-Sein: hier und jetzt

Tauler geht es in seinen Predigten nicht um intellektuelle Anregungen, sondern er gibt praktische Anweisungen. Er mahnt seine Zuhörerinnen und Zuhörer immer wieder, ihres Selbst gewahr zu werden, aufmerksam zu werden, sich zu beachten und zu beobachten, um in diesem Prozess ihres Selbst gewahr zu sein. In der beobachtenden Teilnahme des Menschen ist er fähig, die Kräfte seines Gemütes zu erkennen und zu aktivieren, den Grund unseres Geistes. Denn das Gemüt „steht bei weitem höher und innerlicher als die Kräfte; diese haben all ihr Vermögen von ihm und sind darin und von da heraus geflossen … es erkennt sich als Gott in Gott, und dennoch ist es geschaffen.“ Und wieder zitiert Tauler hier in der 53. Predigt den spätantiken Philosophen Proklus mit den Worten: „Wir suchen auf verborgene Weise das Eine, das weit über Vernunft und Erkenntnis steht.“.

Dazu gehört auch: das Un-Erklärbare, das Un-Beschreibliche, dem wir uns ständig gegenübersehen, hat sich nicht irgendwo, sondern im konkreten Leben zu bewähren, im Hier und Jetzt. Das gilt für Zen ebenso wie für Mystik. Im Buddhismus wie bei Tauler. Entscheidend ist dafür jedoch nicht eine spirituelle Innendekoration, ein Verhüllen der inneren Wände mit frommen Tüchern. Ganz existentiell ist die Erfahrung der Tiefe des eigenen Grundes im wirkenden Grund göttlichen Seins. Bei Tauler klingt das so: „Dann soll der Mensch die Eigenschaft der Einsamkeit Gottes in der stillen Leere betrachten … Denn dort ist alles still, geheimnisvoll und leer. Darin ist nichts als die lautere Gottheit. Dorthin kam nie etwas Fremdes, kein Geschöpf, kein Bild, keine Form.“

Werner Anahata Krebber

Gott ist identisch mit der Welt

Gott ist identisch mit der Welt. Er manifestiert sich in den Pflanzen, die ohne Bewusstsein ein kosmetisch-magnetisches Leben führen. Er manifestiert sich in den Tieren, die in ihrem sinnlichen Traumleben eine mehr oder minder dumpfe Existenz empfinden. Aber am herrlichsten manifestiert er sich in dem Menschen, der zugleich fühlt und denkt, der sich selbst individuell zu unterscheiden weiß von der objektiven Natur, und schon in seiner Vernunft die Ideen trägt, die sich ihm in der Erscheinungswelt kund geben.
Im Menschen kommt die Gottheit zum Selbstbewusstsein, und solches Selbstbewusstsein offenbart sie wieder durch den Menschen. Aber dieses geschieht nicht in dem einzelnen und durch den einzelnen Menschen, sondern in und durch die Gesamtheit der Menschen: so dass jeder Mensch nur einen Teil des Gott-Welt-Alls auffasst und darstellt, alle Menschen zusammen aber das ganze Gott-Welt-All in der Idee und in der Realität auffassen und darstellen werden.

Heinrich Heine (geboren Düsseldorf 13.12. 1797, gestorben in Paris am 17.2. 1856)
In: Religion und Philosophie in Deutschland, Zweites Buch