Man vermag dem Worte nicht besser als mit Schweigen und Hören zu dienen. Räumst du ihm deine Seele gänzlich ein, so erfüllt es dich ohne Zweifel ganz und gar: ebensoviel wie du ihm einräumst, so viel strömt seines Wesens in dich ein, nicht mehr und nicht weniger.
Asiaten wissen, daß die wahrhaft Eingeweihten und Berufenen – denen man in Europa sozusagen nie und in Asien höchst selten begegnet – allein durch ihre stets aufrecht erhaltene Verbindung ihres irdischen Bewußtseins mit der geistigen Welt eine eminent wichtige Aufgabe für die gesamte Menschheit erfüllen, indem sie geistige Kräfte und Schwingungen für ihre weniger empfänglichen Mitmenschen gleichsam übersetzen und umformen, und ihnen damit das Finden des eigenen geistigen Selbst nicht nur erleichtern, sondern überhaupt erst ermöglichen.
Otto Hellmut Lienert (1897 – 1965) in seinem Beitrag: „Joseph Anton Schneiderfranken – Bô Yin Râ“
Der vollständige Beitrag ist hier nachzulesen:
MAGISCHE BLÄTTERBUCH IX CIII. Jahrgang Frühling 2022
Wie nun Gott in der Welt wohnet, und alles erfüllet, und doch nichts besitzet; und das Feuer im Wasser wohnet und das nicht besitzt; und wie das Licht in der Finsternis wohnet und die Finsternis doch nicht besitzet; der Tag in der Nacht und die Nacht im Tage; die Zeit in der Ewigkeit und die Ewigkeit in der Zeit: Also ist auch der Mensch geschaffen. Er ist nach der äußern Menschheit die Zeit, und in der Zeit; und die Zeit ist die äußere Welt, das ist auch der äußere Mensch. Und der innere Mensch ist die Ewigkeit, und die geistliche Zeit und Welt; welche auch stehet in Licht und Finsternis, als in Gottes Liebe, nach dem ewigen Licht; und in Gottes Zorn, nach der ewigen Finsternis: welches in ihm offenbar ist, darinnen wohnet sein Geist, entweder in der Finsternis, oder im Lichte.“
Jakob Böhme (1575 – 1624) in: Von der neuen Wiedergeburt. Zitiert von Ronald Steckel in: Texte zum Geistigen im Film. Organisation zur Umwandlung des Kinos. Sector 16, Ronnenberg 2017, S. 17
Fresko mit Katharina von Siena / wikipedia gemeinfrei
Wir waren eingeschlossen, oh ewiger Vater, im Garten deines Herzens. Du hast uns aus deinem heiligen Geist herausgezogen wie eine Blume die mit den drei Kräften unserer Seele erblüht, und in jede Kraft hast du die ganze Pflanze gesetzt, damit sie in deinem Garten Früchte tragen, damit sie zu dir zurückkehren mit den Früchten, die du ihnen gegeben hast. Und du würdest zu der Seele zurückkommen, um sie mit deiner Glückseligkeit zu erfüllen. Dort verweilt die Seele – wie der Fisch im Meer und das Meer in den Fischen.
Der Gedanke ist die vorwärtstreibende Kraft in uns. Erfülle den Geist mit den höchsten Gedanken, hör auf sie Tag für Tag, sinne ihnen nach Mond für Mond. Achte nicht auf Schwächen; die Mißerfolge sind ganz natürlich, sind die Schönheit des Lebens. Was wäre das Leben ohne sie? Es hätte keinen Wert, wenn es keine Kämpfe gäbe: Wo bliebe da die Poesie des Lebens? Denk nicht an die Kämpfe, die Irrungen. Niemals hörte ich eine Kuh lügen, aber es ist nur eine Kuh — kein Mensch. So denke auch nicht an die Mißerfolge, diese kleinen Rückfälle; halte das Ideal tausendmal hoch, und wenn es dir tausendmal mißlingt, mach den Versuch noch einmal mehr. Das Ideal des Menschen ist, Gott in allen Dingen zu sehen. Aber, wenn du ihn nicht überall sehen kannst, sieh ihn in einem Ding, in dem, das dir am besten gefällt, und dann sieh ihn auch in einem anderen. So kommst du weiter. Unendliches Leben steht der Seele bevor. Benutze deine Zeit und du wirst dein Ziel erringen.
Vivekananda (1863 – 1902) in: Inana Yoga. Gemeinverständliche Einführung in die Gedankenwelt Indiens. Stuttgart / Heilbronn, 1923, S. 91
Das Bild vom Leben spricht in schöner mystischer Übertreibung und zugleich durchaus realistisch von drei Qualitäten, die allen offen stehen:
grenzenlos glücklich,
absolut furchtlos,
immer in Schwierigkeiten.
Es gibt Menschen, die das „stille Geschrei“, das Gott ist, nicht nur hören, sondern es auch hörbar machen als die Musik der Welt, die den Kosmos und die Seele auch heute erfüllt.
Dorothee Sölle (1929 – 2003) im Schlusswort des Buches „Mystik und Widerstand“. Freiburg/ Br. 2014, S. 389
O heilende Kraft, die sich Bahn bricht! Alles durchdringst du, die Höhen, die Tiefen, den Abgrund. Du fügest und schließest alles in eins.
Durch dich fluten die Wolken, fliegen die Lüfte. Die Steine träufeln vom Saft, die Quellen sprudeln ihre Bäche hervor. Durch dich quillt aus der Erde das erfrischende Grün.
Du führst auch meinen Geist ins Weite, wehest Weisheit in ihn, und mit der Weisheit die Freude. Die Seele ist wie ein Wind, der über die Kräuter weht, und wie ein Tau, der auf die Gräser träufelt, und wie die Regenluft, die wachsen macht.
Genauso ströme der Mensch sein Wohlwollen aus auf alle, die da Sehnsucht tragen. Ein Wind sei er, indem er den Elenden hilft, ein Tau, indem er die Verlassenen tröstet, und Regenluft, indem er die Ermatteten aufrichtet, und sie mit der Lehre erfüllt wie Hungernde, indem er ihnen seine Seele gibt.
Heilig ist Gott, der Vater des Alls. Heilig ist Gott, dessen Wille durch seine eigenen Kräfte erfüllt wird. Heilig ist Gott, der erkannt werden will und von den Seinen erkannt wird. Heilig bist du, der du durch das Wort das Seiende hast entstehen lassen.
Heilig bist du, dessen Abbild die gesamte Natur ist. Heilig bist du, dem nicht die Natur seine Gestalt gegeben hat. Heilig bist du, der du jeder Kraft überlegen bist. Heilig bist du, der du erhabener als alles Erhabene bist. Heilig bist du, der du alles Lob übersteigst.
Nimm in heiligen Worten dargebrachte Opfer an von meiner Seele und meinem Herzen, das sich dir zuwendet. Du Unaussprechlicher, Unsagbarer, in Schweigen Angerufener.
Aus dem Corpus Hermeticum (2. – 3. Jh. u.Z.) / A. Hermes Trismegistos: Poimandres