Du bist wie ein kostbarer Edelstein

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Ein Bruder fragte den Altvater Poimen: „Es ist eine Verwirrung über mich gekommen: ich möchte diesen Platz verlassen.” Der Greis antwortete: „Aus welchem Grund?” Und jener sagte: „Weil ich von einem Bruder Reden hören muß, die mich nicht erbauen.” Und der Greis fragte: „Ist das wahr, was du gehört hast?” Er sagte ihm: „Ja, Vater, es ist wahr, denn der Bruder, von dem ich es vernahm, ist verläßlich.” Er entgegnete ihm: „Nein, er ist nicht verläßlich, der dir das sagte; denn wenn er verläßlich wäre, dann hätte er dir nie so etwas gesagt. Auch Gott glaubte nicht, als er das Geschrei der Sodomiter hörte, sondern stieg herab und sah mit seinen eigenen Augen” (Gen 18, 20). Darauf sagte jener: „Auch ich habe mich augenscheinlich überzeugt.”

Als der Greis das hörte, blickte er auf den Boden, nahm einen kleinen Splitter und fragte ihn: „Was ist das?” Jener antwortete: „Ein Splitter!” Darauf blickte der Greis an die Decke der Zelle und fragte ihn: „Was ist das?” Jener antwortete: „Es ist ein Balken, der das Dach trägt!” Da sagte der Alte: „Bewahre in deinem Herzen, daß deine Sünden so sind, wie dieser Balken; die Sünden jenes Bruders aber, von dem du sprachst, sind wie dieser kleine Splitter.” Als der Altvater Sisoes das hörte, ward er verwundert und sprach: „Wie kann ich dich genug selig preisen, Abbas Poimen? Wahrlich, du bist wie ein kostbarer Edelstein, so voller Gnade und Herrlichkeit sind deine Worte.”

Aus den Apophthegmata Patrum – Weisung der Väter. Übersetzung von Bonifaz Miller, Trier 1986

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Von Splittern und Balken

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Den Splitter, der im Auge deines Bruders ist, den siehst du; aber den Balken, der in deinem Auge ist, den siehst du nicht. Wenn du den Balken aus deinem Auge gezogen hast, dann wirst du klarer sehen; um den Splitter aus dem Auge deines Bruders zu ziehen.

Aus dem Thomas-Evangelium

Liebe, die der Natur der Seele entspricht

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Zwiefach ist die Übung des Kreuzes, gemäß seiner Zusammensetzung aus zwei Balken. Der eine ist die geduldige Ertragung leiblicher Drangsale, und dies ist die Tat der affektiven Widerstandskraft der Seele. Der andere Teil besteht in dem feinen Wirken des Geistes durch Verkehr mit Gott in stetem Gebet und ähnlichen Übungen, die dem sinnlich-geistigen Strebevermögen angehören und die man zusammenfaßt in dem Wort Beschaulichkeit. Wie die erste Kraft die seelischen Empfindungen regelt durch nachhaltigen Eifer, so läutert die zweite das Erkennen durch den Einfluss jener Liebe, die der Natur der Seele entspricht.

Isaak von Ninive / Isaak der Syrer  (um 640 – ca. 700)