Bewegung und Ruhe

Jesus sprach:
Wenn sie zu euch sagen: „Woher kommt ihr?“, dann sagt zu ihnen: „Wir kommen aus dem Licht, daher, wo das Licht aus sich selbst heraus geboren ist. Es hat sich erzeugt, und es hat sich in ihrem Bild offenbart.“
Wenn sie zu euch sagen: „Wer seid ihr?“, dann sagt: „Wir sind seine Söhne und Töchter, und wir sind die Auserwählten des lebendigen Vaters.“
Wenn sie euch fragen: „Welches ist das Zeichen eures Vaters in euch?“, sagt zu ihnen: „Es ist Bewegung und Ruhe.“

Aus dem Thomas-Evangelium

„Lieblinge unseres Gottes“

Die Dualisten der ganzen Welt glauben natürlich an einen persönlichen Gott, den sie sich als ein dem Menschen ähnliches Wesen vorstellen, der – gleich einem gewaltigen Machthaber in dieser Welt – dem einen gewogen ist und einem anderen nicht. Willkürlich ist er einem Volke zugeneigt und überhäuft es mit Segnungen. Natürlicherweise muss der Dualist zu der Überzeugung kommen, Gott habe Günstlinge, und er hofft, einer von ihnen zu sein. Fast jede Religion hegt diese Vorstellung: „Wir sind die Lieblinge unseres Gottes, und nur wer unseren Glauben annimmt, kann Seine Gunst erlangen.“

Manche Dualisten meinen in ihrer Engherzigkeit, nur die wenigen von Gott Auserwählten könnten erlöst werden, während die übrigen trotz aller Versuche verworfen seien. Jede dualistische Religion ist auf diese Art mehr oder weniger engherzig, und es liegt daher in der Natur der Sache, dass sie sich gegenseitig bekämpfen müssen, was sie auch stets getan haben. Außerdem sind die Dualisten populär, weil sie sich an die Eitelkeit der ungebildeten Massen wenden, die sich darin gefallen, auf ihre ausschließlichen Vorrechte zu pochen. Der Dualist glaubt nicht an die Möglichkeit von Moral ohne einen Gott mit der Rute in der Hand, der stets bereit ist, zu strafen. Die gedankenlosen Massen sind gewöhnlich Dualisten, und da diese armen Menschen seit Jahrtausenden in allen Ländern verfolgt worden sind, ist ihre Erlösungsidee die Freiheit von der Furcht vor Strafe. Zum Erstaunen mancher Geistlicher im Westen haben wir keinen Teufel in unserer Religion. Aber wir halten das für das Beste, denn die größten Männer, die diese Welt gesehen hat, sind für jene erhabene, überpersönliche Idee eingetreten.

Swami Vivekananda (1863 – 1902)